Die detailreiche Darstellung der Geschichte des FC Bayern ist für eingefleischte Fans des Vereins und andere Fußballenthusiasten eine schöne Fundgrube. Wirklich spannend wird das Buch jedoch durch die Einbettung der Fußball- in die Sozialgeschichte Deutschlands. Im Gegensatz zum nationalistisch-gemeinschaftstiftenden Turnen kommt mit dem aus England importierten Fußball nämlich nicht nur ein neues Sportgerät auf den europäischen Kontinent. Es ist auch ein Stück bürgerlich-liberaler Geist, der mit der Wettbewerbsorientierung ins Kaiserreich schwappt. Turnvater Jahn forderte dagegen die selbstlose Härtung des Körpers junger deutscher Männer durch das Training an Geräten, um gegen die französische Herrschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts kämpfen zu können. In dieser nationalen Gemeinschaft der Deutschen hatten Juden, wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen, in der Regel keinen Platz. Der Fußball eröffnete dagegen, als noch junge Sportart, die Möglichkeit zur Integration. Als Teil der wettbewerbsorientieren englischen „sports“ begleitet der Aufstieg des Fußballs den Aufstieg der bürgerlichen Klasse im sich entwickelnden Kapitalismus. Einher geht das liberale Versprechen, dass wirtschaftlicher Erfolg und nicht Herkunft oder Volkszugehörigkeit entscheidend sei für den Wohlstand in der neuen Gesellschaftsordnung. Zusammen mit der in Teilen des kontinentaleuropäischen Bürgertums anzutreffenden Anglophilie, die das Englische mit Attributen wie Weltoffenheit und Modernität verknüpfte, war der neue Sport für junge bürgerliche und eben auch jüdische Männer zusätzlich attraktiv– auch für jene, die später beim FC Bayern wichtige Rollen spielen sollten.
Amateure und Antisemiten
Vornehmlich entlang der Biografien eben dieser jüdischen Männer – wie Walther Bensemann, den Gründer des Kicker, oder Kurt Landauer, den langjährigen Präsidenten des FC Bayern – rekonstruiert Schulze-Marmeling die Geschichte. Über die breit dargestellte Auseinandersetzungen im Deutschen Fußball-Bund um den Einsatz von bezahlten Profispielern wird deutlich, dass im Fußball und der Sportpolitik der Verbände letztlich immer gesellschaftliche Konflikte und Strömungen ihren Widerhall finden. In der „Frage der Professionalisierung und der Kommerzialisierung“ macht der Autor dann auch das „hauptsächliche Schlachtfeld zwischen konservativen Ideologen und liberalen Modernisierern“ aus. Ein Schlachtfeld, auf dem übrigens noch lange gekämpft wurde: Nachdem Verbot von bezahlten Berufsspielern im Nationalsozialismus wurden durch den DFB erst 1949 wieder Vertragsspieler mit gedeckeltem Gehalt erlaubt. Die freie Gestaltung der Bezahlung ermöglichte der Verband erst 1972. Schon während der Zeit der Weimarer Republik wurde diese Auseinandersetzung auf Seiten der Befürworter des Amateurfußballs zum Teil mit antisemitischem Ton geführt. Unter der NS-Herrschaft erfolgte die „konsquente Reamateurisierung des Profifußballs“ dann auch ausdrücklich als Maßnahme gegen die „Verjudung“ des Sports. Schulze-Marmeling stellt in diesem Zusammenhang heraus, dass die Etablierung des Profifußballs in Weimar dabei keineswegs ein maßgeblich von Juden betriebenes Projekt war. Vielmehr „geriet so ziemlich jeder ambitionierte Verein in Konflikt mit den Amateurbestimmungen“. Die Maßnahmen gegen jüdische Spieler und Funktionäre nach 1933 könne man so – wie in der offiziellen DFB-Geschichtsschreibung – auch nicht als lediglich gegen die großen Vereine gerichteten „Konkurrenzantisemitismus“ entschuldigen.
Erinnerungslücken
Die Reinwaschung vom Politischen, die Verdrängung der Verstrickung von Organisationen und Funktionären des Sports in die Ausgrenzung und Vertreibung der Juden zieht sich dabei – bis heute – durch den bundesdeutschen Nachkriegsfußball. Klickt man etwa auf den Internetseiten der großen Vereine durch die Übersichten zur Vereinsgeschichte, klafft dort zwischen 1933 und 1945 meist eine auffällige Lücke. Zumindest im Internet macht der FC Bayern hier keine Ausnahme – von der Vertreibung des langjährigen Präsidenten Kurt Landauer durch die Nazis findet sich dort kein Wort. Dafür tut sich auf dem Rasen etwas, nicht zuletzt auch wegen aktiver Fußballfans. Seit 2006 veranstalten Ultras der „Schickeria“ jedes Jahr ein antirassitisches Fußballturnier um den „Kurt-Landauer-Pokal“. Dieses Stück Erinnerungspolitik und Inklusion von unten zeigt dabei ganz offen: Fußball ist politisch. Auch im positiven Sinne.
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