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Empörung über gesprühte Tags und Sprüche im öffentlichen Raum sind ein beliebtes Feld, um sich lächerlich zu machen. Erst zu Beginn dieses Jahres hatte ein Redakteur der Nürnberger Zeitung für eine ähnliche Diskussion gesorgt. Ohne einen Anhaltspunkt über UrheberInnen und Bedeutung zu haben, behauptete er in einem Zeitungsartikel, ein junger Türke habe offenbar die Wände der gesamten Stadt mit dem Schriftzug „ACAB“ verschandelt. Dies sei ein türkischer Vorname und „einige türkische Jugendliche“, so behauptete der Redakteur, hätten „ein Bedürfnis, nur ja die Vorurteile zu verstärken und Öl in das von Sarrazin entfachte Feuer zu gießen.“ Er wusste nicht, dass dieses Kürzel bundesweit in fast allen Städten zu sehen ist und für „All Cops Are Bastards“ steht. Ein Fehler, der Wellen schlug, denn damit offenbarte er unfreiwillig die eigenen rassistischen Vorurteile.

Bei der Debatte, die Pfarrer Wessel in Bochum angestoßen hatte, verlief es ähnlich. Ebenfalls ohne einen näheren Anhaltspunkt, gab er sich öffentlich wilden Spekulationen über Urheber und Bedeutung hin und entwarf darüber hinaus ein eigenwilliges Schreckensszenario. Denn Wessel behauptet, derzeit entstehe „eine multikulturelle Horde“, die dabei sei, „ihr Stammesbewusstsein zu entwickeln“. Damit gab er Menschen ein Forum, die jetzt im Blog der Christuskirche fordern, das „Rassenthema“ „ressentimentfrei“ zu diskutieren und die es begrüßen, dass sich „Deutsche“ angeblich gegen „die irrsinnige Politik der Masseneinwanderung zur Wehr setzen“.

Verantwortungslose Vorverurteilung

In aller Deutlichkeit hat sich das Bochumer Forum für Antirassismus und Kultur e.V. von der ihrer Ansicht nach unsachlichen Diskussion über das Graffito distanziert. So beklagt das Forum, dass in dieser Debatte von einer Herangehensweise Gebrauch gemacht werde, „mit der versucht wird, zu implizieren, es gäbe eine breite Masse, die deutschenfeindlich ist und zudem als rassistisch verortet wird“. Und es attestiert „defizitäre Kenntnisse sowohl in historischer als auch in gesellschaftspolitischer Hinsicht, was den Begriff des Rassismus betrifft.“ Vor allem, weil nicht einmal feststeht, wer hinter dieser Schmiererei steht, kritisiert das Forum den Hang zur Vorverurteilung, „die jedem demokratischen und rechtsstaatlichen Verständnis widerspricht. Das ist, gelinde formuliert, verantwortungslos.“ Zudem entbehre der Begriff der „Deutschenfeindlichkeit“ jeglicher sachlichen Grundlage. Deswegen, so erklärt der antirassistische Verein, diene er innerhalb der Debatte in erster Linie dazu, zu polemisieren.

Sozialwissenschaftliche Rassismus-Definitionen gehen davon aus, dass in unserer Gesellschaft zu jeder Zeit bestimmte Macht- und Herrschaftsverhältnisse bestehen, mit welchen einhergeht, dass Minderheiten strukturell benachteiligt sind. Das bedeutet nicht, dass Minderheiten keine Macht haben. Es meint nur, dass sie tendenziell keine Herrschaftsposition einnehmen und dass dies von der Mehrheit der Gesellschaft auch nicht gewollt ist. Indem Pfarrer Wessel etwa im Rahmen seiner Argumentation auf Zeitungsartikel über angeblich migrantische Gewalt verlinkt, greift der Geistliche selbst auf Argumentationsstrategien zurück, die vor allem ein breites Spektrum rassistischer Positionen bedienen. Er selbst versteht sich jedoch – wie der Redakteur der Nürnberger-Zeitung im ACAB-Fall – als gegen Rechts engagiert und deswegen nicht als Steigbügelhalter für rassistische Vorurteile. Beide Fälle zeigen: Das eigene Selbstverständnis erspart weder die kritische Auseinandersetzung mit dem Thema noch schützt es vor den eigenen Vorverurteilungen.

Menschen versuchen sich kontinuierlich abzugrenzen, indem sie Bilder eines Anderen konstruieren, um damit das Eigene auf- und das vermeintlich Andere abzuwerten. Wenn dabei allerdings Minderheiten von Mehrheiten ausgegrenzt werden, dann wird Rassismus zu einem ideologischen Instrument eben dieser Praxis. Wessel hält MigrantInnen vor, sie würden sich zu häufig in eine Opferrolle begeben, während diese Menschen nicht nur durch die Gesetzgebung einer ständigen Ausgrenzung ausgesetzt sind. Deswegen endet die Stellungnahme des Forums für Antirassismus folgendermaßen: „Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft eine Opferposition zuzuschreiben, ist nicht nur verantwortungslos, sondern gefährlich. Es ist eine Schande, sich dort zu positionieren, wo man den Beifall jener erntet, die, sobald ihnen diese Macht zustünde, den Rassismus in seiner bittersten Form praktizieren würden.“

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