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„Alles Spanner!“, so kommentiert ein Mittfünfziger kopfschüttelnd das Geschehen. Und tatsächlich: Kaum am Dortmunder Hauptbahnhof angekommen, stürzt sich eine ebenso riesige wie aufdringliche Fotografen-Schar auf die meist knapp bekleideten Protestwilligen. „Kannst du für mich einmal posen?“, „Stell dich mal so hin!“. Man fühlt sich dem ordinären Voyeurismus der Medienmeute ausgeliefert, ständig wird man fotografiert.
Nein, wir sind nicht bei einer Castingshow. Am vergangenen Wochenende fanden bundesweit zahlreiche so genannte Slutwalks statt – auch in Dortmund versammelten sich mehrere hundert profeministische DemonstratInnen. Das Motto: No means No! Es geht um sexuelle Selbstbestimmung, um das Recht auf den eigenen Körper. Eigentlich geht es um Michael Sanguinetti. Anfang des Jahres hatte der Polizist aus Toronto Studentinnen der kanadischen York University nämlich geraten, sich nicht „wie Schlampen anzuziehen, um nicht zu Opfern zu werden“. Aus dem darauf folgenden Sturm der Entrüstung sind international die Slutwalks entstanden. Die Idee: Man trifft sich als „Schlampe“ gekleidet zum Protest, um aus der diffamierenden Beleidigung eine selbstbewusste, eine „normale Eigenbezeichnung zu machen“, wie es Melanie Gerlach von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes erklärt.

Kritik aus dem eigenen Lager

Doch diese Strategie ist nicht unumstritten. Die Lesben/Bi/Trans*-Organisation LesMigraS und die Berliner Huren-Organisation Hydra wandten sich im Vorfeld der Slutwalks in einem offenen Brief kritisch an die OrganisatorInnen. Sie merkten an, dass die Bezeichnung „Schlampe“ jeden Menschen unterschiedlich trifft. Bei Sexarbeiterinnen zum Beispiel löse der Begriff durch ihre alltäglichen Erfahrungen „Schmerz und Beschämung durch die Abwertung“ aus,
ganz anders, als bei Frauen etwa aus der Mittelschicht. Auch fühlten sich erstere durch die Veranstaltung nicht genügend repräsentiert. Da sie durch ihre Lebensumstände von Machtstrukturen und gesellschaftlicher Partizipation eher ausgeschlossen seien, beschleiche sie das Gefühl, „dass unsere aktive Teilnahme nur oberflächlich erwünscht ist“, wie es in dem Schreiben von LesMigraS heißt. Daher gehe man „vorsichtig“ mit der Demo der „eher weißen deutschen Mittelklasse“ um. Auf einem Transparent heißt es dann auch: „Schlampe bedeutet freier Mensch“. Deutlicher wird die Kontroverse an diesem Samstag nicht auf den Punkt gebracht.

Gemischte Gesellschaft

Auf den Punkt, zumindest auf ihren, bringen es dann auch eine Handvoll Menschen hinter einem Stand der Freien Christengemeinde Dortmund e.v. „Frauen haben eine Mitschuld“, so der einhellige Tenor der flyerverteilenden
Religions-AktivistInnen. Sexy Kleidung, so eine ältere Dame, trage nun mal zu sexualisierter Gewalt bei, „Ich als Frau sage das!“. Na dann. Positiver hingegen fällt auf, dass von den knapp 400 Demonstrierenden ein großer Anteil männlich sozialisiert ist. Auch mischen sich viele ältere „Normalos“ solidarisch unter den radikal-bunten Haufen. „Antisexismus und Feminismus sind keine Themen von Frauen für Frauen, sie müssen auch von den Männern getragen werden!“, fasst ein Redner der Gruppe Macker Massaker aus Mühlheim den Ansatz zusammen. Und so wird es am Ende doch noch eine gelungene und kraftvolle Demonstration. Es scheint noch viel Klärungsbedarf innerhalb der Bewegung zu geben, zeitweise wirkt das Gesamtbild etwas uneinheitlich, unkoordiniert. Dass aber genau diese Ordnung und Einheit auch Gegenstand der Kritik ist, wurde beim diesjährigen Slutwalk Ruhr auf ebenso kreative wie radikale Weise deutlich gemacht.

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