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Trotzdem finden die Sabotageakte in der sensationslüsternen Presse ein riesiges Echo. In der Szene, der sich die TäterInnen mutmaßlich zugehörig fühlen, werden sie allerdings praktisch überall abgelehnt. Alternative Medien geißeln die Sachbeschädigungen als willkürlich, unpolitisch und unmoralisch. Sogar in linksradikalen Webforen wimmelt es von missgünstigen Kommentaren, Anfeindungen, Beleidigungen. Und, wer hätte das gedacht, bei der nationalbolschewistischen Jungen Welt geht die Abgrenzung sogar so weit, dass die Tageszeitung das „Cui Bono?“ aus der verschwörungstheoretischen Mottenkiste herausholt: Dort scheint gar die Möglichket auf, BahnmitarbeiterInnen hätten die Anschläge selbst verübt, damit die Sicherheitsbehörden ihre Befugnisse erweitern können.

Böse, schnelle Moderne!

So viel Ablehnung, obwohl das BekennerInnenschreiben ein politischer Rundumschlag zu sein scheint: Da geht es um Arbeitszwang, Interventionskriege, Hartz IV, Finanzkrise, Atomkraft, Alternativlosigkeiten, Datenschutz und mehr. Insgesamt arbeitet sich der Text viel an Symptomen der Moderne ab. Er wirft viele Fragen auf, bietet wenig Lösungsmöglichkeiten. Außer eben der „Entschleunigung“, die die mutmaßlichen TäterInnen mit der Sabotage des öffentlichen Personenverkehrs für sich in Anspruch nehmen – ein Topos, der bereits in der Kulturkritik der 1920er Jahre eine Rolle spielte, und zwar sowohl in emanzipatorischen als auch in stramm kulturkonservativen Kreisen. Ein Unbehagen in Bezug auf die Geschwindigkeit bestimmter gesellschaftlicher Prozesse – das war schon damals der kleinste gemeinsame Nenner. Heute wirken Teile der Erklärungen der Bahn-SaboteurInnen ebenfalls wie ein Gemeinschaftspamphlet von Attac, Linkspartei, Datenschutz-AktivistInnen und IG Metall-Jugend.

Populismus 2.0?

Allerdings schwingt neben ernst zu nehmender Kritik vielleicht auch noch ein zweites Moment bei der linken Ablehnung mit: Nämlich das Unbehagen, dass die Kabelbrände bei der Bahn vielleicht doch eine Art populistische Wirkung haben könnten – wenn auch eine etwas andere, als die ScharfmacherInnen von CSU und Deutscher Polizeigewerkschaft sich erhoffen. Was die Ökonomie der Aufmerksamkeit angeht, sind Teile der linken Szene nämlich zu Recht enttäuscht: Da opfert man den Großteil seiner Freizeit in spröden Theoriezirkeln, bei langatmigen autonomen Plena und mit dem Wälzen dicker Bücher. Und dann kommen irgendwelche dahergelaufenen Riotkids, schmeißen ein paar Brandsätze auf Gleise und ganz Deutschland redet drüber. Dagegen interessiert es einen Innenminister Lothar de Maizière nicht, was ein paar Philosophie-StudentInnen auf ihrem Plenum per Handheben beschließen. Das angeblich revolutionäre Subjekt, die ArbeiterInnenschaft nämlich, wird sich nach Feierabend auch nicht die „Graswurzelrevolution“ im Ohrensessel durchlesen und am nächsten Tag die Chefin verjagen. Aber viele von ihnen werden in der nächsten Ausgabe der Bildzeitung von dem Sabotageakt erfahren. Und vielleicht, niemand kann die Deutsche Bahn so richtig leiden, sogar „klammheimliche Freude“ (Meskalero) empfinden.

Wutbürgertum

Unterstellt man den TäterInnen jedenfalls ein solches Kalkül, wirken die im Internet veröffentlichten BekennerInnenschreiben nicht mehr ganz so willkürlich. Erinnern wir uns: Eben jene Freude, mal mehr, mal weniger klammheimlich, kam auf, als der unaussprechliche isländische Vulkan „Eyjafjallajökull“ vergangenes Jahr den europäischen Flugverkehr zum Erliegen brachte – insbesondere bei jenen, die sich teure Flugreisen eh nicht leisten konnten oder wollten. Kein Wunder, dass die Erklärungen der mutmaßlichen SaboteurInnen nun mit den Namen von Isländischen Vulkanen unterzeichnet wurden. Zugegeben, die „Die-da-oben“-Metaphorik funktioniert beim Lahmlegen von S-Bahnstrecken deutlich schlechter als während des Vulkan-Naturereignisses, bei dem im Fernsehen Scharen von ManagerInnen zu sehen waren, die auf den Flughäfen am Boden der Tatsachen bleiben mussten und ihre wichtigen Termine verpassten. Möglicherweise setzen die Bahn-SaboteurInnen trotz alledem auf eine relativ neue und relativ deutsche WutbürgerInnen-Mentalität: Sabotage? Gerne – so lange es mich nicht betrifft. AutofahrerInnen gibt es bei uns schließlich genug.

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