An den Stränden der Maghrebländer ist zunehmend ein neues Paarphänomen zu beobachten. Europäische Frauen mittleren bis hohen Alters flirten mit sehr viel jüngeren Männern. Er macht ihr Komplimente, sie zahlt den Kaffee. Manchmal hält die Beziehung an, und die gegenseitigen Zuwendungen weiten sich aus, so dass es am Ende um eine europäische Aufenthaltserlaubnis und sogar um den Wechsel der Staatsbürgerschaft geht. Wenn die Beziehung scheitert, heißt es dann, es handele sich um „Bezness“. Der Begriff ist zusammengesetzt aus dem französischen Wort baisier („Küsschen“) und Business. Er bezeichnet eine wechselseitig an Profit orientierte Beziehung zwischen Einheimischen und TouristInnen. Amouröse Ebenen vermischen sich mit Nutznießertum und können dabei sämtliche Stadien vom harmlosen Urlaubsflirt bis hin zur handfesten Ehe durchlaufen.
Die wohl bestbesuchte Seite zu diesem Thema heißt 1001geschichte.de und sagt angeblichen bzw. tatsächlichen „Beznessern“ den Kampf an. Die Seite wird betrieben von Evelyne Kern, nach eigenen Angaben selbst „Bezness“-Opfer, die sich die Betreuung von Opfern auf die Fahnen geschrieben hat. Das Problem: Mit „Schwarzen Listen“ angeblicher Täter und einseitiger Aufarbeitung öffnet die Seite nicht nur ultra-rechten Rhetoriken und Ressentiments die Türen, sondern kuschelt auch mit rechten islamfeindlichen Medien wie dem in der Szene einflussreichen Blog Politically Incorrect und dem extrem rechten Kopp-Verlag. Die Erfahrungsberichte werden häufig benutzt, um tendenziös rassistische sowie fremden- und muslimfeindliche Berichterstattung anzufüttern.
Fast reflexartig fällen BeobachterInnen ihr Urteil, mit dem sie dem männlichen Part die alleinige Verantwortlichkeit für das Scheitern der Beziehung auferlegen. Dann scheint es legitim, die Beweggründe auf Egoismus herunterzubrechen und die ungleichen Verhältnisse zwischen den Beteiligten zugunsten der betroffenen europäischen Frauen zu vereinfachen. Doch entmachtet diese Deutungsweise die betroffenen Menschen auf eine Weise, die verhindert, die Geschichten angemessen aufzuarbeiten.
Die Seite verfügt nicht nur über ein Spendenkonto und besagte „Schwarze Liste“, sondern schmückt sich auch damit, dank etwa 3.000 meist weiblichen UserInnen am Tag Europas größtes Forum seiner Art zu sein. In der Sidebar finden sich hunderte von „wahren Geschichten“, ausnahmslos alle aus der Perspektive der Europäerinnen erzählt. Einseitige Herangehensweisen wie diese verkennen nicht nur die Mehrdimensionalität von transkontinentalen Kontakten, sondern kreieren per se nur eindeutige Täter-Opfer-Verhältnisse. Wo genau hierbei allerdings die Grenzen zwischen geplantem Betrug und Beziehungen verlaufen, die eben auch an zwischenmenschlichen Problemen scheitern können, lässt sich in vielen der geschilderten Fällen nicht so genau sagen. So fallen Beispiele gelungener Beziehungen unter den Desktop und schwinden zunehmend aus dem vorstellbaren Wahrnehmungsspektrum von Betroffenen und BeobachterInnen.
Ganz unschuldig sind BetreiberInnen und UserInnen der Seite nicht daran, dass auf 1001Geschichten.de und den Trittbrettfahrerseiten die Suche nach den Absichten, Ursachen und Gründen nach den immer gleichen Mustern mit häufig rassistischem Tenor verläuft. Für die Verantwortliche, Evelyne Kern, ist Bezness „eine Straftat, die als solche in Europa nicht geahndet wird, weil entsprechende Gesetze fehlen.“ Gerade deshalb verwundert es, dass sie mit ihrer Plattform nicht auf Aufklärung und Prävention setzt. Viele der Betroffenen wissen schlicht wenig bis nichts über die realen Verhältnisse, die in den Ländern herrschen, in die sie reisen.
So liegt beispielsweise der Anteil der unter 35-Jährigen in Tunesien, Ägypten, Marokko und Algerien zwischen 60 und 70 Prozent. Auch die gut ausgebildete junge Bevölkerung kämpft mit extrem hohen Arbeitslosenzahlen. Bei den 25-Jährigen bewegt sie sich zwischen 40 und 50 Prozent. Will ein Afrikaner in ein europäisches Land reisen, muss er immer ein kostenpflichtiges Visum beantragen, das nicht selten abgelehnt wird. Während Billigflieger wie Ryanair europäische Reisende fast täglich für wenig Geld auf ihren Nachbarkontinet bringen, sind den meisten AfrikanerInnen Urlaube aufgrund hoher rechtlicher Einreisehürden, aber auch wegen ihrer finanziellen Situation kaum möglich – selbst, wenn es sich um das Nachbarland Spanien handelt.
Nur wenige Kilometer von der Europäischen Union entfernt, auf der anderen Seite der Meerenge von Gibraltar, verdient ein ungelernter Arbeiter etwa 10 Euro am Tag. Aber selbst, wer einen Job im Hauptwirtschaftszweig der Tourismusbranche findet, kommt nur selten über 200 Euro im Monat. Gleichzeitig wird in kaum einem anderen Wirtschaftssektor deutlicher, welches Gefälle im Lebensstandard zwischen dem privilegiertem Europa und Afrika herrscht. TouristInnen nehmen häufig genug nicht wahr, dass sie – freiwillig oder nicht – direkte ProfiteurInnen dieser Verhältnisse sind. Hinzu kommt, dass selbst unter gleichberechtigteren Machtverhältnissen Beziehungen aus einem Strauß an Motivationen eingegangen werden, von denen Liebe nur eine ist. Wer nicht nur das ignoriert, sondern auch nicht wahrnimmt, selbst einE ProfiteurIn ungleicher globaler Machtverhältnisse zu sein, ist um so verwunderter, wenn man schließlich selbst in Strategien verwickelt wird, mit denen die Verlierer dieser Verhältnisse möglicherweise versuchen, ihre Stituation zu verbessern.
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