An diesem Freitagabend haben die Proteste einen anderen Charakter. Der Platz füllt sich langsamer. Nicht die Massenorganisationen haben mobilisiert, sondern soziale Initiativen und Einzelpersonen haben sich via Facebook und Mundpropaganda weitgehend spontan zusammengetan, um den Protest auch in der Zeit bis zur nächsten Großdemo am 29. September sichtbar bleiben zu lassen. Die letzten Transparente werden gemalt, es gibt angeregte Diskussionen. Etwa 500 Menschen versammeln sich auf dem Platz, ohne große Bühne und Lautsprecheranlage. Was sie antreibt, ist die Wut gegen die rigiden Sparpläne der Regierung, und gegen die als undemokratisch empfundene Machtabgabe an Brüssel. Dieser Wut wird mitunter drastisch Ausdruck verliehen: „Troika – Mörder und Faschisten!“, skandiert die Menge immer wieder. Ein Demonstrant hält einen kleinen Galgen in die Luft.
Vielfalt des Protestes
Viele Leute, die sich hier versammeln, dürften im Alltag wohl eher wenig miteinander zu tun haben. AnarchistInnen mit schwarzer Fahne stehen direkt neben Anzugträgern mit Krawattennadeln, eine Gruppe Punks diskutiert mit einem Parteikommunisten. Kinder laufen zwischen den Umstehenden herum. Die inzwischen unvermeidlichen Guy-Fawkes-Masken sind ebenso präsent wie kitschige Che- Guevara-Devotionalien. Diese Vielfalt wirkt sich jedoch nicht auf diejenigen aus, die heute ans offene Megaphon treten. Neun von zehn RednerInnen sind ältere Männer, lediglich eine junge Frau wird sprechen. Gerade mal eine Handvoll PolizistInnen stehen abseits der Szene und langweilen sich.
„Unser Land ist zerstört, unsere Politiker machen einen schlechten Job! Die Grenze ist erreicht“, wettert ein Redner mit heiserer Stimme. „Wir wollen ein Zeichen setzten, die Bevölkerung kann nicht mehr!“, ruft ein anderer. Dazwischen werden Protestsongs und Parolen angestimmt, „IWF raus“ etwa. Ein kleiner Junge bekommt das Megafon in die Hand gedrückt. „Ich möchte eine Zukunft haben“, lässt man ihn sagen.
„Alle Parteien sind gleich, geben das aber nicht zu!“, empört sich der dritte Redner. „Sie tun nichts, um die Krise des Kapitalismus zu lösen!“ Dann endlich spricht die erste und einzige Frau des Abends. Was sie zu sagen hat, unterscheidet sich wesentlich vom mitreißenden Gepolter ihrer Vorredner. Sie weist auf die konkreten, teils lebensbedrohlichen Folgen der Verarmung für die Bevölkerung hin. Dazu gehören unter anderem eine Steigerung der Kriminalitätsrate, der Anstieg häuslicher Gewalt, unter dem vor allem Frauen leiden, sowie ein Anstieg der Suizidrate.
Patriotische Töne
Einer derjenigen, die sich heute am offenen Megafon den Fernsehkameras stellen, ist kein Unbekannter in Portos Politszene. Ze, der bärtige Aktivist der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft AIT-SP, widerspricht einem Redner der kommunistischen Partei, der in seinem Protest auf Patriotismus setzt. Zur Zeit der rechtsautoritären Einparteien-Diktatur unter dem Machthaber António de Oliveira Salazar saß Ze als angeblicher Vaterlandsverräter und wegen Aktionen gegen die portugiesischen Kolonialkriege vier Jahre im Gefängnis. „Portugal war Jahrhunderte lang ein kolonialer Ausbeuter, da können wir doch jetzt nicht einfach so von der Nation schwafeln“, ärgert er sich. Die Großdemonstrationen vom vergangenen Wochenende hat er mit gemischten Gefühlen erlebt. „Es ist wichtig, dass die Leute sich wehren. Aber manchmal habe ich auch den Eindruck, dass die von der kommunistischen Gewerkschaft CGTP und den Oppositionsparteien organisierten Massenveranstaltungen auch einfach eine Art Ventil für die Unzufriedenheit darstellen.“ Seine Hoffnung setzt er auf die Wiederbelebung von öffentlichen Vollversammlungen, in der sich die Bevölkerungen der einzelnen Städte assoziieren sollen, um ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Von März des vergangenen Jahres bis zu den Wahlen im Oktober hatte sich in Porto bereits eine Vollversammlungs-Bewegung gebildet. An den regelmäßigen Plena nahmen bis zu 250 Menschen teil. Jetzt hofft Ze zusammen mit anderen Aktivist*innen, mit der Organisation von Stadtteilversammlungen an diese Erfahrungen anknüpfen zu können. Und wie die Perspektiven für den Kampf gegen die Sozialkürzungen in Portugal insgesamt aussehen? „Aktuell ist die Mehrheit der Bevölkerung vor allem frustriert und desillusioniert“, sagt Ze. „Die Wut bricht sich nicht so Bahn wie in Griechenland oder Spanien, auch wenn das Einige bereits fordern.
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