Bildung soll im Zentrum der Minderheitenregierung stehen. Diesen Eindruck unterstreicht die Koalition damit, dass wieder eine Ministerin im Bildungsbereich die Stellvertretung der Ministerpräsidentin übernimmt. Bildung soll anders werden in NRW, dass offenbart ein Blick in den Koalitionsvertrag zwischen SPD und den Grünen.
Erste Stunde: Revisionismus
Gerade in der Schulpolitik möchte sich die neue Landesregierung möglichst weit von ihren VorgängerInnen abgrenzen und plant eine Generalrevision der schwarz-gelben Projekte. Sei es die Abschaffung der Kopfnoten, die Wiedereinführung der Grundschulbezirke, die Drittelparität in den Schulen, die Entzerrung des Abiturs nach 12 Jahren, oder die geplante Einführung der Gemeinschaftsschulen und damit ein längeres gemeinsames Lernen: Von der Handschrift der ehemaligen Schulministerin Barbara Sommer möchte sich Sylvia Löhrmann möglichst deutlich unterscheiden. Aber nicht erst mit der Einschulung beginnt der Revisionswille der neuen Landesregierung: Das von ExpertInnen und PraktikerInnen kritisierte Kinderbildungsgesetz (KIBIZ), das die Erziehung der Jüngsten in den Kindertagesstätten und Kindergärten regelt, soll auf den Prüfstand. Die Landeregierung setzt bildungspolitische Schwerpunkte: Sie möchte ein längeres gemeinsames Lernen, eine Förderung des Ganztagsunterrichts und bessere Qualität der Schulen. Hierzu wird sie die durch rückläufige Schülerzahlen frei werdenden Finanzmittel im Schulsystem belassen und somit für kleinere Klassen und eine bessere Betreuung sorgen. Neue Wege gehen möchte sie auch bei der Verzahnung von freien Trägern der Jugendhilfe, Sportvereinen und kultureller Bildung mit dem Schulsystem. Eigentlich müsste der Landesregierung eine Mehrheit für diese Pläne im Parlament gewiss sein, denn schließlich ist auch die Linke für eine Reform der Schulreform von schwarz- gelb.
Nebelhörner
Wo man bei der Schulpolitik der neuen Landesregierung noch klare Ziele und deutliche Maßnahmen finden konnte, bleibt die Hochschulpolitik unklar. Lediglich ein Ziel, nämlich die Abschaffung der Gebühren, ist eindeutig definiert; genauso wie der Wille, die Einnahmeausfälle der Hochschulen zu kompensieren. Damit sind die eindeutigen hochschulpolitischen Vorgaben der Koalitionäre auch schon abgearbeitet. Natürlich möchte man die Qualität der Lehre verbessern, natürlich setzt man auf einen konstruktiven Dialog mit den Hochschulleitungen und Studierendenvertretungen und natürlich möchte man alle Bildungspotenziale erschließen. Wie dies gelingen soll, wird jedoch maßgeblich von der Arbeitsweise der neuen Innovationsministerin Svenja Schulze abhängen. Schulze kennt den Hochschulbetrieb und vor allem die Ruhr-Universität aus eigener Anschauung: Sie studierte an der Bochumer Alma Mater und war 1990/91 die AStA-Vorsitzende. Ob dies aber ausreicht, um die ausstehenden Fragen zu beantworten und die notwendigen Reformen anzustoßen, bleibt unklar, schließlich ist schon im ersten Projekt Zwietracht zwischen Rot-Grün und der Linken entstanden. Abschaffen will man die ungeliebten Gebühren: Während SPD und Bündnis 90/Die Grünen erst zum Wintersemester 2011/12 die Streichung planen, möchte die Linke lieber direkt auf die Gebühren verzichten. Im Landtag führte dies dazu, dass kein Antrag auf Abschaffung der Studienbeiträge die notwendige Mehrheit fand. Wenn an diesem Projekt aber schon so viel Zwist entsteht, wird die Frage der Reform des Hochschulgesetzes die nicht-Koalitionäre eher weiter auseinandertreiben. Die Korrektur des Bologna-Prozesses klingt auf dem Papier gut. Solange der Landespolitik aber das nötige Handwerkszeug fehlt, um wirksam in die Hochschulen eingreifen zu können, werden Reduzierung der Studieninhalte, der Prüfungsdichte oder die Streichung der Anwesenheitspflichten lediglich zum rhetorischen Forderungskatalog der Ministerin gehören. So wird die neue Hochschullandschaft im Wesentlichen die alte sein, bis Rot-Grün und die Linke sich über einen möglichen modus vivendi verständigt haben. Wenn dies gelingt, könnten die Hochschulen bei der Demokratisierung ihrer Entscheidungsprozesse mit den Schulen irgendwann gleichziehen.
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