Mit dem Bologna-Prozess sollten inkompatible Abschlüsse innerhalb Europas der Vergangenheit angehören. Die Leistungen, die zur Verleihung eines deutschen Diploms führten, sollten vergleichbar zu denen sein, mit denen in England der Master of Science verliehen wurde – so die Vision der BildungspolitikerInnen. Mittlerweile ist Bologna auf dem harten Boden der Realität angekommen: Noch etwas mehr als sechs Monate bleiben den Hochschulen, um einen einheitlichen Hochschulraum zu verwirklichen. Die bsz wird den Countdown bis zum Jahresende in einer lockeren Reihe „Reformen alla Bolognese“ begleiten und Schwerpunkte des größten Reformvorhabens im Hochschulwesen seit Wilhelm von Humboldt beleuchten. Sie will kritisch hinterfragen und Experten zu Wort kommen lassen, um die Frage zu klären, ob die Verwirklichung des Bologna-Prozesses einen Grund zu feiern gibt.

Von Lissabon nach Bologna

Schon vor der BildungsministerInnen-Konferenz in Bologna 1999 gab es zwei Übereinkommen auf multinationaler Ebene, die den Weg ebneten für einen einheitlichen Hochschulraum. Der Europarat und die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) legten bereits 1997 das erste völkerrechtliche Abkommen zur wechselseitigen Anerkennung von Studienabschlüssen vor. Das Lissabon-Abkommen verpflichtet die Unterzeichner-Staaten die Hochschulabschlüsse anderer Unterzeichner grundsätzlich anzuerkennen und ein transparentes Verfahren zu definieren, wie ein in einem Land begonnenes Studium in einem anderen beendet werden kann. Ein Jahr später ergriffen die vier größten Staaten der Europäischen Union, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Deutschland und Italien, die Initiative und forderten in der Sorbonne-Erklärung eine unbürokratische Methode der Leistungsanerkennung und eine Steigerung der studentischen Mobilität. Die Grundlage dafür sollte ein Kreditsystem sein – die Idee des European Credit Transfer System (ECTS) war geboren. Nur etwas mehr als zwei Jahre nach dem Lissabon-Abkommen war es dann soweit, dass die 29 Teilnehmer-Staaten die Bologna-Erklärung verfassten. Seitdem haben sich 17 weitere Staaten dem Bologna-Prozess angeschlossen. Im Zwei-Jahres- Rhythmus wurde seitdem der Prozess verstetigt, weiterentwickelt und über seine Umsetzung diskutiert.

Was will der Bologna-Prozess eigentlich?

Grundlegend für die Reformen an den europäischen Hochschulen waren drei Ziele:
die Steigerung der Mobilität von Lehrenden und Lernenden
die Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit
die Steigerung der Beschäftigungsfähigkeit von HochschulabsolventInnen.

Im Vergleich zum amerikanischen Hochschulsystem mit seinen Elite-Universitäten befürchteten die europäischen Bildungsverantwortlichen ins Hintertreffen zu gelangen, wenn die Hochschulbildung weiterhin nationaler Kleinstaaterei unterworfen wäre. Sowohl die unterschiedlichen Bezeichnungen der Bildungsabschlüsse als auch deren kaum vergleichbare Wertigkeit waren und sind immense Hemmnisse auf dem europäischen Arbeitsmarkt. Um diesen zu begegnen, wurden vereinheitlichte Abschlüsse vereinbart, die wiederum auf einheitlichen Studienzyklen beruhen. Undergraduate studies und graduate studies zogen in deutsche Hochschulen ein und wurden mit den Abschlüssen Bachelor und Master verwirklicht. Mit dem ECTS wurde ein einheitliches System von grundsätzlich austauschbaren Prüfungsleistungen geschaffen, das es ermöglichen sollte, Studienbiografien nicht nur national, sondern innerhalb der mittlerweile 46 Bologna-Staaten kompatibel zu halten. Letztlich wurde mit der Akkreditierung von Studiengängen ein Qualitätssicherungsprozess vereinbart, der es erlaubt, sowohl das ECTS als auch die daraus resultierenden Abschlüsse zu vergleichen.

Was ist aus Bologna geworden?

Auf mittlerweile fünf Bologna-Folgekonferenzen wurde der Prozess beständig erweitert und konkretisiert. Die soziale Dimension des Hochschulstudiums wurde entdeckt und integriert. In den Follow-Up-Groups konferieren BildungspolitikerInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Gewerkschaften, Hochschul- und Studierendenverbänden über die Umsetzung. Gesetze wurden geändert, Studiengänge umgestellt – und doch, es ist Sand im Getriebe: Der Bologna-Motor gerät immer wieder ins Stottern. Nicht selten wurden nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum die Wirkmechanismen eines einheitlichen Hochschulraums an den Studierenden ausprobiert. Die Arbeitsbelastung der Studierenden durch Studium und begleitende Erwerbsarbeit stieg beständig. Zudem ist weiterhin die Verwertbarkeit des Bachelor-Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt weitestgehend unerprobt – VertreterInnen der Wirtschaft waren bei den Verhandlungen nicht selten außen vor oder saßen nur mittelbar am Verhandlungstisch.
Unweigerlich fragt man sich: Ist dies die Vision von Bologna? In den kommenden Wochen klären wir auf, wo Stolpersteine auf dem Weg nach Bologna liegen und wie die Politik versucht, diese zu entfernen. In der nächsten Folge unserer Reihe Hochschule alla Bolognese kümmern wir uns um die Vergleichbarkeit von Studienabschlüssen und um ihre Wertigkeit im europäischen Kontext.

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