Steckbrief Martina: | Steckbrief Martin: | |
Martina ist 21 Jahre alt und studiert im ersten Semester Psychologie an der Ruhr-Universität. Sie wurde im münsterländischen Ahaus geboren und ist dort mit einer jüngeren Schwester aufgewachsen. Der Vater arbeitet als Diplom-Ökonom bei einer großen Bank in Düsseldorf. Ihre Mutter ist Lehrerin am Gymnasium in Ahaus. Das Haus am Rande der Stadt ist abbezahlt. Martina hat im letzten Sommer ihr Abitur bestanden und gleich einen Studienplatz bekommen. Da pendeln zu weit ist, hat sie sich, gleich nachdem sie die Zulassung für die RUB hatte, ein kleines Appartement im Zentrum von Bochum genommen. |
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Beide haben sich in Bochum nicht nur eine eigene Unterkunft gesucht, sondern auch den Weg zum Bafög-Amt gefunden. Für Martina konnte die Sachbearbeiterin nichts tun: Der Verdienst der Elten sei zu hoch. Damit hatte sie schon gerechnet und von ihrem Vater die Zusicherung bekommen, dass das mit dem Geld während des Studiums kein Problem sein würde.
Martin hatte da mehr Glück. Zumindest seine Miete und ein Teil seiner Lebenshaltungskosten deckt das Bafög. Nachdem sein Vater wieder Arbeit gefunden hat und ihm eigentlich mehr als 350 Euro Unterhalt pro Monat schuldet, bekommt er knapp 342,56 Euro vom Bafög-Amt. Sein Vater findet immer wieder Gründe, nicht zu zahlen, und seinen eigenen Vater verklagen möchte Martin auch nicht. Deshalb sucht er sich einen Job. Er fängt als Kellner im Bermuda-Dreieck an.
Das erste Semester ist vorbei. Zeit für eine kurze Bilanz. Martina hat ihre Klausuren erfolgreich absolviert. Bei Martin lief es nicht ganz so rosig: Sein Studium schien bisher mehr mit Mathe als mit Maschinen zu tun zu haben. Diese Klausur würde er wiederholen müssen. Außerdem hat er doch eine Menge gearbeitet und dabei weniger Zeit zum Lernen gefunden. 1800 Euro hatte er verdient und war zusammen mit Unterhalt und Kindergeld damit so gerade über die Runden gekommen.
Halbzeit
Zur Halbzeit des Studiums blenden wir uns wieder ein: Martina ist im vierten Semester und es läuft, sieht man von einem kurzen Durchhänger im Dritten ab, immer noch alles wie geschmiert. Sie hat viele Freundschaften geschlossen und ist in eine WG gezogen. Sie ist gut im Plan. Martin hingegen nicht. Er hat im zweiten Semester zwar wieder aufgeholt, dafür war sein Giro-Konto am Ende aber tief in den roten Zahlen. Um das auszugleichen, hat er im darauffolgenden Semester die Uni kaum von innen gesehen. Dank zweier Jobs (Kellner im Bermuda-Dreieck und Verkäufer im Supermarkt) kommt er über die Zuverdienstgrenze beim Bafög (3.583 Euro/Jahr) und muss Einbußen hinnehmen. Trotzdem läuft es finanziell wieder besser. Das bisschen weniger Bafög ist mit ein paar Stunden mehr Arbeit schnell ausgeglichen. Trotzdem zieht Martin am Ende des vierten Semesters Bilanz und, wie er meint, die Notbremse.
Bei der Bank von Martinas Vater lässt er sich beraten und nimmt einen Studienkredit zur Finanzierung der letzten Semester auf. Zwar steht er dann am Ende mit 24.000 Euro in der Kreide, aber dafür muss er sich wegen des Geldes jetzt erstmal keine Sorgen machen. Trotzdem lässt er das Jobben nicht ganz, schließlich macht es ja auch Spaß hinterm Tresen zu stehen und er engagiert sich in seiner Fachschaft. Am Ende hat das Studium drei Semester länger gedauert als geplant. Insbesondere auch, weil er am Ende wieder arbeiten musste. Der Kredit war komplett ausbezahlt und Bafög gab es auch keins mehr.
Schlussbilanz
Am Ende des Studiums sind ganz schöne Kosten auf die beiden zugekommen. Beginnen wir mit Martina: Die Wohnung beziehungsweise die WG hat während der acht Semester mit über 14.000 Euro zu Buche geschlagen. Für ihren Lebensunterhalt hat sie knapp 30.000 Euro ausgegeben. Hinzu kommen nochmal 3.840 Euro an Studiengebühren und knapp 2.000 Euro für Sozialbeiträge sowie 3.500 Euro für Lehrmaterialien. Insgesamt hat ihr Studium fast 55.000 Euro gekostet. Dank ihres Vaters kann sie als Bachelor der Psychologie nun in ein schuldenfreies Berufsleben starten.
Anders die Bilanz bei Martin: Er hat auch knapp 14.000 Euro für die Miete ausgegeben. Da sein Studium länger gedauert hat (11 Semester), hatte er Lebenshaltungskosten von über 30.000 Euro. Studiengebühren, Sozialbeiträge und Lehrmaterialien haben ihn noch einmal 10.000 Euro gekostet. Insgesamt hat er für sein Studium circa 64.000 Euro ausgegeben. Finanziert wurde es zum einen aus Bafög (22.500 Euro), einem Kredit für Studiengebühren von der staatlichen Förderbank „kfw“ und mit seinem eigenen Verdienst von immerhin auch 17.500 Euro. Sein Schuldenstand am Ende des Studiums: 34.000 Euro (davon 10.000 aus Bafög). Geht man von einer durchschnittlichen Tilgung und gleichem Zinsniveau aus, wird Martin mit Zinsen am Ende 60.000 Euro zurückzahlen müssen.
Martin und Martina gibt es nicht wirklich, aber ihre Lebensläufe sind gezeichnet nach Daten des Bundesamtes für Statistik und der Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks. Betrachtet man diese Fakten, kann es kaum Verwundern, dass Studierende aus Nicht-Akademikerhaushalten deutlich seltener an Universitäten studieren. Lediglich 9 Prozent eines Jahrgangs aus Nicht-Akademiker-Haushalten finden sich an der Universität, während das Verhältnis bei Kindern aus der sozialen Herkunftsgruppe „hoch“ oder „gehoben“ fast umgekehrt ist. Lediglich ein geringer Anteil schafft den Sprung an die Universitäten nicht. Da die Bildungsreserven dieser Gruppen aber weitestgehend abgeschöpft sind, muss es Ziel der Politik werden, weiteren Gruppen den Zugang zur Hochschule zur ermöglichen. Mit dem Hochschulpakt I ist diesem Ziel nur wenig Rechnung getragen worden. Die Verhandlungen für den Hochschulpakt II laufen und sollen noch vor der Wahl abgeschlossen sein. Ob die Chance gesehen und genutzt wird, durch gezielte Investitionen in das soziale Umfeld und die Förderung von Kindern aus sozial benachteiligten Familien endlich gleiche Chancen auf Bildung und Wissen an den deutschen Universitäten zu schaffen, wird das kommende Jahr zeigen.
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