Viel zu wenig Studienplätze – zu viele Gebühren

Ein immer kleinerer Prozentsatz der AbiturientInnen beginnt ein Studium. Während sich 2003 noch 377.000 SchulabgängerInnen an einer Hochschule einschrieben, waren es 2007 nur noch gut 358.000. Das ist ein Rückgang um sieben Prozent, obwohl die Zahl der AbiturientInnen im selben Zeitraum um 17 Prozent stieg. Damit geht die Quote der StudienanfängerInnen mit Hochschulzugangsberechtigung von 39 auf 37 Prozent eines Jahrgangs zurück.

Die Situation in der Bundesrepublik sieht im Vergleich zu anderen Industriestaaten verheerend aus: In Australien begannen 2005 der aktuellen OECD-Statistik zufolge 82 Prozent aller SchulabgängerInnen ein Studium, in Schweden und Norwegen waren es 76 Prozent. Im Vergleich dazu hatte sich die Bundesregierung ein niedriges Ziel gesetzt: Sie wollte die Quote auf nur 40 Prozent erhöhen. Nach den Zahlen, die das Statistische Bundesamt jetzt vorlegt, rückt aber selbst dieses Ziel in immer weitere Ferne.

Gebühren schrecken ab

Dafür machen BildungsforscherInnen ein Bündel an Gründen verantwortlich. Für Dieter Dohmen vom Berliner Forschungsinstitut für Bildungs- und Sozialökonomie liegt ein Zusammenhang mit der Einführung von Studiengebühren nahe: „Auffallend ist, dass die Studienanfängerzahlen fast ausschließlich in den Ländern gestiegen sind, die keine Studiengebühren haben, während sie in den allermeisten Studiengebührenländern gesunken sind, und zwar jeweils trotz steigender Studienberechtigtenzahlen“, gab er im Deutschlandfunk zu bedenken. Studierendenvertretungen weisen außerdem darauf hin, dass es für Studierende immer schwieriger werde, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Durch die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge habe der Prüfungsdruck enorm zugenommen. Trotzdem sei eine bedarfsdeckende öffentliche Finanzierung der Studien- und Lebenshaltungskosten auch bei geringfügig erhöhten BaföG-Sätzen für die allermeisten überhaupt nicht in Sicht.

Dreiste Umdeutung

Glaube nur einer Statistik, die du selbst fehlinterpretiert hast – trotz der eindeutigen Zahlen deutete Bundesbildungsministerin Annette Schavan die Mitteilung des Statistischen Bundesamtes dreist um: „Der Abwärtstrend bei der Entwicklung der Studienanfängerzahlen ist gestoppt. Seit 2007 haben endlich wieder mehr junge Menschen ein Studium aufgenommen als im Jahr zuvor. Damit zeigt der Hochschulpakt erste Wirkung.“ Dass die minimale Steigerung in diesem einen Jahr viel geringer ausfällt als der Anstieg der AbiturientInnenzahl, das verschweigt die CDU-Politikerin in ihrer Stellungnahme geflissentlich. Trotzdem: Schavan verweist mit ihrer Stellungnahme auf einen weiteren Hauptgrund dafür, dass das Recht auf Bildung im Hochschulbereich immer weiter ausgehöhlt wird.

Eklatanter Studienplatzmangel

Im Hochschulpakt hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, aufgrund der erwarteten absolventInnenstarken Jahrgänge bis zum Jahr 2010 insgesamt 90.000 neue Studienplätze zu schaffen. Für das Jahr 2007 sah das Abkommen 13.000 neue Plätze vor – geschaffen haben die Verantwortlichen ganze 2.500. Dass die Studierendenquote weiter sinkt, liegt also zum großen Teil nicht daran, dass sich AbiturentInnen gegen ein Studium „entscheiden“, wie es Politik und Wirtschaft nahezu unisono beklagen. Das Angebot an Studienplätzen bleibt vielmehr weiterhin so knapp, dass die Numeri Clausi bundesweit steigen und weitere Zulassungsbeschränkungen eingeführt werden. Bei der derzeitigen Unterfinanzierung der Hochschulen ist einfach kein Platz für viele, die gerne studieren würden. Das Recht auf Bildung wird so selbst für diejenigen immer weiter ausgehöhlt, die schon ein Abitur in der Tasche haben. Unter diesen Voraussetzungen darüber zu klagen, dass sich zu wenig AbiturientInnen für ein Studium entscheiden, kann man zurecht als zynisch empfinden.

Verdrängungswettbewerb

Die Tragweite dieser Entwicklung beschränkt sich nicht darauf, dass immer mehr Menschen der Zugang zur Hochschule verwehrt bleibt. Sie ist im gesamten Bildungs- und Ausbildungssystem wahrnehmbar. Weil immer mehr SchulabgängerInnen trotz „Hochschulzugangsberechtigung“ von den Hochschulen abgelehnt werden, stieg der Anteil der AbiturientInnen mit Lehrstelle in den vergangenen fünf Jahren um mehr als ein Drittel an. Die AbiturientInnen verdrängen so wiederum die LehrstellenbewerberInnen mit Haupt- oder Realschulabschluss. Am Ende bedeutet die katastrophale Hochschulpolitik also: Schlechtere Bildungs- und Ausbildungschancen für alle.
rvr

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