Bild: 100 Jahre und kein bisschen Unwichtig: Das Stinnes-Legien-Abkommen von 1918. , Vor 100 Jahren wurde das Stinnes-Legien-Abkommen geschlossen

Arbeitskampf. Vor einem Jahrhundert erkämpften die Gewerkschaften in Deutschland Tarifautonomie und die Sozialpartnerschaft. Für den DGB auch 2018 noch ein Grund, zu feiern. Doch es gibt auch kritische Stimmen.

Im Revolutionsjahr 1918 herrschte auch in der Arbeitswelt Aufbruchstimmung. Am Ende der von Historiker*innen als „langes neunzehntes Jahrhundert“ titulierten Epoche schlossen Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ein umfangreiches Abkommen, das die Arbeitswelt nachhaltig verändern sollte – das Stinnes-Legien-Abkommen. Am 15. November 1918 vereinbarten 21 gewerbliche und industrielle Arbeitgeberverbände und sieben freie, christliche und polnische Gewerkschaften das Abkommen mit dem amtlichen Namen „Satzung für die Arbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Deutschlands“. Seinen heute geläufigen Namen verdankt die Kollektivvereinbarung den Hauptunterzeichnern, dem Montan- und Schwerindustriellen Hugo Stinnes und dem Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands Carl Legien. Das Abkommen war in vielen Punkten bahnbrechend und reiht sich somit in die Geschehnisse des Revolutionsjahres ein. Erstmals in der deutschen Geschichte wurden die Gewerkschaften als legitime Vertreter der Arbeiter*innenschaft anerkannt und mit ihnen auch die Möglichkeit, Arbeitsbedingungen durch Kollektivvereinbarungen zu regeln. Somit ist das Abkommen auch die Geburtsstunde der Tarifverträge. Weitere Punkte waren die Einführung des Acht-Stunden-Tages, womit eine der ältesten Forderungen der Arbeiter*innenbewegung realisiert wurde, und die Gründung von Arbeiter*innenausschüssen, aus denen wenig später die Betriebsräte hervorgingen. Das grundlegende Vertragswerk war ein Gewinn für die Gewerkschaften, da es bedeutend für den Wandel zwischen Kapital und Arbeit war, doch die Industriellen gingen die Einigung nur aus purer Not ein. Angesichts der wenige Tage zuvor begonnenen Novemberrevolution fürchtete man die Vergesellschaftung der eigenen Betriebe und den damit einhergehenden Verlust der Betriebsmittel.

Gewerkschaften feiern und mahnen

Was heute zum Selbstverständnis in der Arbeitswelt gehört, war vor 100 Jahren eine wichtige Errungenschaft. Daher verwundert es nicht, dass der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das Jubiläum des Stinnes-Legien-Abkommen zum Anlass nimmt, unter dem Motto #Sozialpartner100 die Korken knallen zu lassen. Doch es gibt auch mahnende Stimmen. Vor allem der DGB erinnert an die Wichtigkeit der Tarifautonomie und will die Tarifbindung in Deutschland wieder erhöhen. Rainer Hoffmann, Vorsitzender des DGB, gibt anlässlich des Jubiläums bekannt: „Hundert Jahre Sozialpartnerschaft sind auch ein Auftrag für die Zukunft. Dabei geht es um nicht weniger als die sozialpolitische Erfolgsgeschichte in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung fortzuschreiben und die Tarifbindung vorher deutlich zu erhöhen.“ Für Hoffmann ist die Tarifautonomie ohne Sozialpartnerschaft nicht möglich. „Eigene Interessen klar benennen, Konflikte nicht scheuen, trotzdem fair bleiben und am Ende zum Konsens kommen: Das ist gelungene Sozialpartnerschaft“, betont er. Auch auf Seiten der Arbeitgeber*innen ist man sich einig, weiß Arbeitgeberfunktionär Ingo Kramer zu berichten: „Das Prinzip der Sozialpartnerschaft muss auch auf zukünftige Herausforderungen immer wieder neu ausgerichtet werden und ermöglicht dann Stabilität und sozialen Frieden. Nur so können wir auch in Zukunft Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand sichern. Die gelebte Sozialpartnerschaft in unserem Land ist ein Glücksfall für unser Land und beispiellos innerhalb Europas.“

Nicht immer Einigkeit

Dass Arbeiter*innen und Arbeitgeber*innen eine stärkere Tarifbindung anstreben, ist keine Selbstverständlichkeit. In der Regierungszeit Helmut Kohls begann die schrittweise Aushöhlung des Sozialsystems, etwa durch die Verschlechterung von Kündigungsschutz und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, und ein damit einhergehender Angriff und eine Schwächung der Gewerkschaften. 1997 forderte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) Hans-Olaf Henkel Arbeitgeber*innen öffentlich – und illegalerweise – dazu auf, gegen den Flächentarifvertrag zu verstoßen. Untergrabung von Tarifverträgen oder der Austritt von Arbeitgeber*innen aus dem Arbeitgeberverband waren die Folge.
Auch heute wird die Sozialpartnerschaft nicht nur positiv bewertet, ein Erstarken der Arbeitgeberverbände und zu schnelle Kompromissfindung bei Tarifverhandlungen stehen seit Jahrzehnten in der Kritik. Forderte DGB-Gründer Hans Böckler beispielsweise noch eine Sozialisierung der Schlüsselindustrien, ist an solcherlei Forderungen heute kaum noch zu denken. Auch das globalisierungskritische Bündnis attac kritisiert anlässlich der Feierlichkeiten zu 100 Jahren Sozialpartnerschaft, dass die Gewerkschaften noch immer an der mehr als 100 Jahre alten Forderung des Acht-Stunden-Tages festhalten. Für sie steht fest: „Wir wollen den Acht-Stunden-Tag feiern und die nächste Etappe in Richtung Sechs-Stunden-Tag voranbringen.“         

              :Justinian L. Mantoan

 

Glossar

Unter dem Stichwort Sozialpartnerschaft versteht man das kooperative Verhältnis zweier Sozialpartner*innen (Arbeiter*innen und Arbeitgeber*innen), deren Ziel es ist, Interessensgegensätze durch Konsensfindung zu lösen. Hierdurch sollen offene Konflikte, beispielsweise Streiks, vermieden werden.

Die grundgesetzlich geregelte Tarifautonomie erlaubt es Arbeiter*innen, sich frei gewerkschaftlich zu organisieren (zu koalieren) und in ihren Betrieben und Branchen über Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelte und andere Streitpunkte zu verhandeln.

Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden in einem Tarifvertrag festgehalten. In diesen Verträgen können sowohl Gehaltsfragen als auch sämtliche andere die Arbeit betreffenden Bedingungen geregelt werden. Tarifverträge werden zwischen den Sozialpartner*innen geschlossen.

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