Vier Minuten später lässt sich der fremde, hagere Mann breitbeinig in meinem Bad neben der Gastherme nieder – auf der Toilette. „Endlich sitzen“, stöhnt er einen Tick zu vorwurfsvoll – und mit einer Miene, die sagt: Eigentlich fehlt jetzt nur noch eine gute Zichte, aber die musste ich wegen dir Feigling ja schon aufrauchen.
Unausgesprochene Vorwürfe sind der Kitt einer jeden guten Zweierbeziehung. So gesehen läuft es zwischen uns bestens. Ich fühle mich nur leicht verunsichert, während er neben mir auf dem Pott sitzt. Das ist ein gutes Zeichen. Meine Freundin und ich haben damit sogar nach vier Jahren Beziehung noch Probleme. Überhaupt mag ich solche Handwerkerbesuche. Der Schornsteinfeger zum Beispiel ist jedes Jahr so übertrieben freundlich, als sei er einem 60er-Jahre Walt-Disney-Film entsprungen.
Ganz besonders in Erinnerung geblieben ist mir der Besuch eines Malermeisters vor einigen Jahren. Damals war ich noch ein echter Student, und im ganzen Land wurde gegen Studiengebühren protestiert. Der Besuch des Malers war notwendig geworden, weil sich meine Hausverwaltung über Monate hinweg geweigert hatte, eine Regenrinne reparieren zu lassen. Erst, als sich an der Innenseite der nassen Hauswand Schimmelpilzkulturen gebildet hatten, und ich mit einer deftigen Miet­minderung reagierte, wurde die Wand saniert. Anschließend kam der Malermeister.
Schon an der Wohnungstür identifizierte er meine Bleibe als Studentenbude, und mich als den standesgemäßen Bewohner. Anstatt sein Tagwerk zu verrichten, war es ihm sogleich ein dringendes Bedürfnis, mit mir über die studentischen Autobahnblockaden, die Hörsaalbesetzungen und die Polizei zu diskutieren. Zwanzig Minuten später (die Wand hatte noch keinen Pinselstrich gesehen) stimmte er mir zu, dass Rot-Grün schon Jahre zuvor eine Riesenenttäuschung gewesen war. Eine weitere Viertelstunde danach wollte er sich mit mir gegen ‚die da oben’ verbrüdern. Als die erste Stunde vergangen war, waren wir uns jedoch einig, dass nicht die einzelnen Personen das Problem seien, sondern vielmehr die Macht- und Herrschaftsstrukturen. „Meinetwegen könnt ihr das ganze Jahr weiter die Straßen blockieren“, brummte der Mann zustimmend. Ich verspürte den Drang, meinem Studenten­image vollständig gerecht zu werden. Also bot ich ihm einen Mate-Tee an.
Irgendwie sehne ich mich nach diesem Malermeister zurück. Mein breitbeiniger, hagerer Heizungsinstallateur kann ihm nicht das Wasser reichen. Aber vielleicht neige ich auch dazu, längst vergangene Beziehungen zu verklären. Wie selbstverständlich steckt sich mein heutiger Hausgast noch im Treppenhaus eine Kippe an. Die Zigarette danach, denke ich, oder davor – während er schon längst auf dem Weg zur nächsten Gasheizung ist.

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