Als kleinen, aber hochgradig ironischen Hinweis auf die Stärken des Positivismus im Allgemeinen und der Evolutionstheorie im Speziellen (eat this, Michelle Bachman!) hat sich der liebe Gott die Schule ausgedacht – diese gesellschaftliche Ursuppe des survival of the fittest. Neulich war ich beim Altschülertreffen, neun Jahre nach dem Abitur. Und was kann ich dafür, wenn alles genau so ist, wie ich es mir immer ausgemalt habe? Muss ich mich jetzt schämen, weil genau die Typen, die ich schon damals für Idioten hielt, inzwischen samt und sonders für die niedersächsische CDU im Kommunalwahlkampf stecken? Ich wünschte, es wäre anders, wirklich. Ich würde gerne sagen: „Hallo, Felix, Mensch, du hast es geschafft! Du hast damals in der Schule karierte Hemden getragen, in die Hose gesteckt, hast das Klassenbuch geführt. Deine Freundin war drei Jahrgänge unter dir. Ach, vier sogar? Ging auseinander, als du beim Bund warst, schade. Heute hast du jedenfalls trotz allem NICHT zwei Kinder und grinst mich auch NICHT von einem Wahlplakat der Christdemokraten an. Ja genau: Diese Plakate, die hier überall vor genau der Schule hängen, an der du vor zehn Jahren dein Abi gemacht hast. Das find ich gut, dass du da anders bist.“ Leider kann ich das nicht sagen, und ich wusste es längst. Ich hab ja nichts gegen die CDU. Muss es auch geben. Aber deine Kandidatur, lieber Felix, ist ein Triumph für die Typologie. Wie weit man das Spiel treibt, ist eine persönliche Entscheidung. Insgeheim unterstelle ich der Randlose-Brille-Fraktion boshaft, dass sie ihre süße Brut nur deswegen so plakativ durch die alte Schule treibt, weil das dem konservativen Wahlkampfprofil nutzt. Vor dem Gebäude wirbt das Plakat, innendrin der Kandidat. Das muss selbstverständlich nicht stimmen. Ich bin einfach hoffnungslos in der alten Distinktionsnummer gefangen.
Aber andersherum läuft es ja genauso. „Du bist doch bestimmt so freischaffend tätig, ne?“, sagt meine alte Klassenlehrerin zu mir, bevor ich überhaupt ein Wort über meinen Werdegang verlieren kann. Stimmt ja, irgendwie. Woher weiß sie das? Und hat sie mir nicht damals im Leistungskurs eingebleut, keine oberflächlichen Geschichtsdaten zu pauken, sondern die großen Zusammenhänge zu betrachten? Später erwischen meine alten Freunde und ich uns dabei, dass wir aus purer Nostalgie über einen Zaun am Schulgebäude klettern, obwohl ein paar Meter weiter eine Tür ist. Wir stellen uns auch noch ungeschickt an, eine Hose reißt, ein paar Leute lachen uns aus. Was sind wir für Idioten. Immer noch.

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