Wer Realität will, sollte den Bus nehmen: Dank diverser Plakate der ortsansässigen Verkehrsbetriebe schreiben sich düstere Mahnungen ins Gedächtnis aufmerksamer Fahrgäste: „Sauber ist besser.“ Manch einer möchte brechen, wenn er mal wieder an einer Haltestelle oder in einem Bus an die neuen Normen erinnert wird. Ich könnte kotzen. Oder wie Henry Miller zu sagen pflegte: „Idioten. Allen Blödsinn, der je verkündet wurde, machten sie sich zu eigen. Darunter die Lehre von der Sauberkeit, von der Rechtschaffenheit ganz zu schweigen. Sie waren peinlich sauber. Aber innen stanken sie. Kein einziges Mal hatten sie die Tür zur Seele aufgetan. Kein einziges Mal fiel es ihnen ein, blind links einen Sprung ins Dunkle zu tun.“ Der Antichrist kommt nun als Triumvirat daher und der öffentliche Nahverkehr gibt dem Feind einen Namen: Schmutz, Musik und Müll.
„Bringen Sie bitte Ihr Eis raus“, schallt es durch den Wagen der Linie 346 aus den Lautsprechern. „Das ist im Bus verboten“. Der Angesprochene steigt aus. Ein Mann im Anzug, kein bewegungslegasthenisches Kleinkind, von dem schokoladenbeschmierte Sitze und klebrige Rückstände auf Haltestangen in Kniehöhe erwartet werden könnten. Der Herr bleibt draußen stehen und isst in beneidenswerter Seelenruhe sein Eis weiter. Währenddessen blickt er nachdenklich sinnend in die Richtung der strengen Fahrerin. Diese erkundigt sich überrascht, ob er denn nicht weiterfahren wolle. Der Mann setzt ungerührt den Verzehr seines Eises fort und der Bus fährt an.
Bereits 1967 hatte Michel Foucault versucht, uns zu warnen. Mit seiner Repressionsthese verwies er auf die modernen Strafsysteme, mithilfe derer wir uns noch immer zu den Gefangenen unserer Wahrheits- und Machtsysteme machen. Wer hätte gedacht, dass das Prinzip des Überwachens und Strafens auch vorm öffentlichen Nahverkehr nicht haltmachen würde? Es steigert die Effizienz und reduziert die Kosten. Trotz strikter Sauberkeits- und Ticketkontrollen erhöhen sich jedes Jahr die Ticketpreise und man stellt bei der Bogestra Verunreinigungen nach wie vor den Verursachern in Rechnung. „Systeme, deren Überwachung effektiv sowohl die Produktivität steigern als auch die Kosten für Herrschaft reduzieren, setzen sich gegenüber anderen Systemen zwangsläufig durch.“
Keine Minute später dröhnt es erneut aus dem Lautsprecher: „Und lassen Sie bitte ihre Flasche zu! Auch das ist im Bus verboten.“ Die Fahrgäste, die Zeugen dieser höchst absurden Situation werden, blicken sich ungläubig um. Mit ironie-geschwängertem Tonfall schaltet sich nun eine Mitfahrende ein: „Sie sind aber scharf drauf.“ – „Ja, deswegen sind meine Busse auch meistens sauber“, rechtfertigt sich die Busfahrerin angespitzt. Man merkt, sie ist schon ein bisschen stolz auf sich. Dass sie aber auch solch ein Fuchs ist, ein echtes Adlerauge. Sie weiß, wer der Feind ist und wo er sich versteckt hält: Kontamination. Ü-ber-all!
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