Und wenn dann noch ein eingerissener Fingernagel einer weiteren Zivilpolizistin hinzukommt, kann daraus in unserem Rechtsstaat auch gerne mal eine ganze Kette von Prozessen werden, die sich über fast vier Jahre hinziehen. So geschehen jedenfalls im Fall einer damals 21-jährigen Studentin der Uni Duisburg-Essen, die am 30. November 2006 auf einer „reclaim the streets“-Party im Rahmen eines „global action day for free education“ in der Bochumer Innenstadt einem ‚Zivi‘ einen Wasserrest aus ihrer als Trinkgefäß mitgeführten PET-Flasche in den Nacken goss, als jener in seiner Dienstfunktion geoutet wurde. Nachdem die Studentin nach diesem Vorfall durch die Fußgängerzone im Bereich Kortumstraße geflohen war, wurde sie von einer Kollegin des ‚Zivis‘ in die Auslagen eines Geschäfts namens „City-Dollar-Haus“ gestoßen. Vermutlich als diese daraufhin auf die in die Warenauslagen gestürzte Studentin fiel, zog sich die Polizistin an einem Finger eine blutende Nagelbettwunde zu, während sich die Studentin hierbei schwere Prellungen zuzog, sodass sie mehrere Tage lang kaum gehen konnte.

Als ob der offensichtlichen Unverhältnismäßigkeit des Eingreifens der für die Beschuldigte als solche nicht erkennbaren Polizei damit noch nicht Genüge getan wäre, legte die Staatsmacht im absurden Spiel der ungleichen Kräfteverhältnisse jedoch nochmal kräftig nach: Obwohl sich die Studierende nach dem Vorfall widerstandslos hatte festnehmen lassen, wurde auf Initiative der Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen angeblichen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ eingeleitet, da die Beklagte im entstandenen Getümmel eine Hand der Zivilpolizistin abgewehrt habe. Auch ließ sich die Zivilpolizistin aufgrund ihrer Nagelbettverletzung über einen längeren Zeitraum dienstunfähig schreiben, und prompt folgte eine Klage des durch den Polizeipräsidenten der Stadt Bochum vertretenen Landes NRW auf Ersetzung des hierdurch entstandenen Verdienstausfalls. Für beide Verfahren wurde angesichts einer juristischen Chancenabwägung zuungunsten der Beklagten eine Übernahme von Prozesskostenhilfe im Vorfeld abgelehnt, was einer Vorverurteilung der Studierenden gleichkam. Diese unterlag dann auch in beiden Prozessen – obwohl hierbei deutlich wurde, dass keinerlei Vorsatz eventuell strafbewährter Handlungen der Beschuldigten gegeben war.

Fast vier Jahre nach den Ereignissen vom Herbst 2006 war bis vor kurzem noch ein drittes Verfahren anhängig: Auch ein Schmerzensgeld für den entstandenen Nagelschaden sollte her. Wenngleich es hierbei ebenfalls zu einer Verurteilung der Studentin kam, konnte der für den Nagelschadenschmerz auf 900 Euro bezifferte Streitwert jedoch nur zu einem Drittel durchgesetzt werden, sodass die Klägerin nun zumindest zwei Drittel der Kosten für den letzten der drei Prozesse selbst tragen muss. Immerhin. Der Studierenden dagegen sind durch den Vorgang Kosten von über 3.000 Euro entstanden. Ein teurer Streit für freie Bildung – und ein Armutszeugnis für eine Staatsmacht, die derartige Spielchen nötig hat.

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