Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr zugelassene Autos pro 1000 EinwohnerInnen, schreibt Men‘s Health in der neuen Ausgabe. Wo bleibt der Glamour von München? Pah, mit nur 467 Fahrzeugen pro 1000 MünchnerInnen deklassiert sich die Großstadt an der Isar auf den neunten Platz. Köln? Die hochnäsigen Rheinländer müssen sich weit abgeschlagen mit dem 31. Platz zufriedengeben. Und Berlin kann erst recht nicht gegen Bochum anstinken: Mit gerade einmal 319 Autos pro KiloeinwohnerIn schafft es die angebliche Bundeshauptstadt nur mit Ach und Krach in die Top 50.
Wie gut geht es da doch uns mit unseren insgesamt 190.000 fahrbaren Kisten! In Bochums Fitnesscentern und Solarien klopft sich die geneigte Men‘s-Health-Leserschaft stolz auf den Bizeps. Als die Ausgabe dann per Lesezirkel auch endlich die Urologen-Wartezimmer erreicht, bricht sich der Volksjubel Bahn: Spontane Autokorsos entstehen auf dem Bongard-Boulevard und dem Bochumer Ring. Jubelnde Männer in ihren fahrenden Kisten wedeln wild hupend mit dem Lifestyle-Magazin aus Fenstern, Schiebedächern und Cabrios. In vollem Übermut kratzt sich der erste tollkühne Kfz-Pilot die Umweltplakette von der Windschutzscheibe, und eine mittelgroße Gruppe von Gebrauchtwagenfahrern rottet sich vor dem Rathaus zusammen. Dann gibt es kein Halten mehr: Die wildgewordene Menge stürmt in Richtung Zimmer 471. Noch residiert dort die Untere Immissionsschutzbehörde – schon einige Minuten später entleeren gröhlende Männer Aktenordner und kippen sie aus dem Fenster, während der Reißwolf auf Hochtouren läuft. Sie wissen nichts davon, dass anderswo euphorisierte Bodybuilder die einzige verbliebene Bochumer Feinstaub-Messstelle mit Baseballschlägern bearbeiten, während die älteren von ihnen „Flesh for fantasy“ von Billy Idol anstimmen.
Nur Wortfetzen sind von dem zu verstehen, was Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz auf dem Rathausvorplatz den herbeigeeilten JournalistInnen in den Block diktiert: Irgendwas wie „ganz toll“ und „nicht mehr seit der Fußball-WM“ vermischt sich mit den aufgeregten Rufen der letzten Montagsdemonstranten. Als der Trubel losging, hatten sie ihre „Hartz IV ist Sozialraub“-Transparente fallengelassen und sich der in ihren Augen vielversprechendsten Volksbewegung seit 65 Jahren angeschlossen. Als sich dann halbstarke Besserverdienende mit Hakenkrallen an den Oberleitungen des Öffentlichen Personennahverkehrs zu schaffen machen, fällt uns ein einsamer Mittvierziger auf, der am Rande der Menschenmenge steht und weint. Dass sie ihn vom Fahrrad gerissen hatten, hatte sich im Nachhinein zwar als Glücksfall erwiesen, da sein Rad wenige Sekunden später von einem werksneuen Opel Zafira erfasst wurde. Dennoch war es ein fades Glück. Vor Jahren, da war er einmal AStA-Referent für Ökologie an der Ruhr-Uni gewesen. Damals hatte er die Taktverkürzung für die U35 zu Semesterbeginn duchgesetzt, auch in den Herbstferien. An sein Lebenswerk wird sich niemand mehr erinnern können – jetzt, wo Bochum Spitze ist.
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