Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim: In dieser Form sind wir aufgerufen, regelmäßig unseren Willen in Wahlen zu bekunden, so schreibt es Artikel 38 des Grundgesetzes vor. Ob die Wahlen zum letzten Deutschen Bundestag frei waren, wird der Bericht der OSZE-Wahlbeobachter klären, gleich waren sie auf jeden Fall nicht. Das dieser Wahl zugrundeliegende Wahlgesetz ist verfassungswidrig und muss deshalb geändert werden. Der Casus Belli? Das negative Stimmgewicht. Durch Überhangmandate erhält eine Partei mehr Sitze im Parlament, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden. Die Anzahl der Mandate erhöht sich also proportional zum Zweitstimmenergebnis umso mehr, je weniger Zweitstimmen sie erringt. 24 Sitze sind bei der letzten Wahl so in die Reihen der Union gewandert und haben das schmale schwarz-gelbe Polster von einem Sitz auf eine komfortable Mehrheit ausgebaut. Und mit einigen hundert Stimmen hier, ein paar tausend Stimmen dort, hätten es noch vier weitere Sitze geben können. Gleiches gilt, wenn auch in viel geringerem Umfang für die SPD in Bremen und für die Linke in Thüringen und Sachsen-Anhalt. So weit, so schlecht: Die Stimme einer Wählerin oder eines Wählers aus den Überhangmandatsländern ist also mehr wert als zum Beispiel eine Stimme in Nordrhein-Westfalen.

Viel dramatischer sind aber die Auswirkungen in unserem täglichen Leben. Kurz vor Semesterbeginn, die Anmeldung für die Optionalbereichskurse sind gerade scharf geschaltet. In meinem Stundenplan klafft eine Vier-Stunden-Lücke und auf meinem Credit-Point-Konto fehlen die entsprechenden Punkte. Meine Chancen, einen Wunschkurs zu bekommen sind gering, bereits im letzten Semester hatte ich Pech. Deswegen wird angekreuzt bis zum geht nicht mehr. Insgesamt 18 Stunden Optionalbereich verteilen sich ungleichmäßig auf die Vier-Studen-Lücke. Selbst mit Hermine Grangers Zeitumkehrer wird das schwierig. Aber meine vier Punkte bekomme ich. Dafür nicht den Wunschkurs. Den bekommt niemand. Warum? Negatives Stimmgewicht.

Von den Vorbereitungen ermattet suche ich Erholung in der Mensa. Zum falschen Zeitpunkt, wie mir auffällt, als ich von der Treppe die lange Schlange an der Ausgabetheke sehe. Natürlich, die Erstis sind mittlerweile da und es gibt Schnitzel mit Pommes. Trotzdem in die Schlange gestellt, gewartet und Schnitzel mit Reis bekommen. Kurz vor mir wurden die letzten Pommes in die kleinen weißen Schälchen gepackt und mal eben außerhalb der Reihe stibitzt. Nicht wenige, die gar nicht die Wahl Schnitzel/Pommes getroffen haben, wollten trotzdem Pommes zu ihren Nudeln, vegetarischen Bratlingen oder was weiß ich, und schon wieder schlägt der inverse Erfolgswert zu. Knallhart und gnadenlos. Mit der kostenlosen Süddeutschen von der U35-Haltestelle, meinem Tablett und dem Lärm von Tausenden suche ich mir einen Platz und kann meine Schadenfreude kaum verbergen, dass zumindest Schwarz/Gelb in ihren Verhandlungen unter dem inversen Erfolgswert genauso leiden können, wie ich unter meinem Schnitzel mit dem leicht pappigen Basmatireis.

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