„Wat soll dat denn jetzt wieder“, mag sich der verunsicherte Kritiker fragen. „Wat hat denn die Dibergstraße mit Kultur zu tun? Ich dachte, wir hauen mal so richtig auf die Sahne, so mit Konzerthaus und Glaskubus in Schlossruine und so…“
Na klar, der große bunte Luftballon wird aufgeblasen, und ein Schelm ist, wer dabei an die Kosten denkt. Ist ja eh nicht unser Geld, oder? Überhaupt ist „Geld“ in diesen Tagen zu einem völlig abstrakten Begriff verkommen. Geld, Geld, Geld – was interessiert mich Geld? Ich will Kultur und zwar sofort, am liebsten privat. Also ab in die Dibergstraße. Hier, wo keine Flaschensammler fündig werden, weil man den Pfand selbst benötigt; hier, wo selbst die Graffitis an orthographischer Spannkraft verlieren – hier hat das Kulturhauptstadtjahr 2010 bereits begonnen, und zwar in Anjas Künstler-Salon.
Kulturhauptstadt privat – kommen kann, wer will. Teilweise sind renommierte KünstlerInnen anwesend, die ihrerseits gerne in Anjas Salon auftreten würden. Ein bisschen ist es so wie in Kreuzberg im letzten Frühling, als die Szene begann, über Peter Fox zu diskutieren. Jedoch ist die Atmosphäre nicht ganz so cool, nicht ganz so oberflächlich, nicht ganz so nebensächlich. Hier ist alles echt. Heute schlägt in Anjas Salon „Unter andrem Max“ in die Gitarrensaiten. Max, der talentierte Songwriter, der am 2. Juli auch einen Gig auf Bochum Total spielen wird. Man trinkt, talkt und ist natürlich auf sein neues Set gespannt. Goethe und Eichendorff hat er vertont, und ein bisschen klingt es wie Tom Liwa: „Ich hab mich gewöhnt an alles hier: die Luft, das Bier, die schier unendlichen Möglichkeiten, alles öde zu finden…“ – auch seine eigenen Texte lassen nichts zu wünschen übrig.
Leider habe ich mich in diesem vorgezogenen Kulturhauptjahr-Event zu sehr der Trinkkultur gewidmet, als dass ich alles adäquat wiedergeben könnte, aber schön, ja, schön ist es. – Einfach schön. Und gerade dieses „Einfach“ birgt Verheißungsvolles. Alles könnte so einfach sein. Also Schluss jetzt mit diesem Gedönse von wegen Hochkultur! Was soll denn diese bourgeoise Distinktionsnummer? Mensch, packt die Gitarren aus, und schiebt mir noch’n Bier rüber! Wir werden das Kind schon schaukeln. Ich verstehe sowieso nicht, warum wir die Kohle nicht einfach versaufen. Das würde doch auch Investoren in die Region locken. Bleibense Mensch, meine Damen und Herren, das würde für ein Kulturhauptstadtjahr voll und ganz genügen…
Zum Abschluss spielt Max „Delmenhorst“ von „Element of Crime“; die Stimmung ist mittlerweile fortgeschritten. Man ist sich näher gekommen, man hat sich ausgetauscht, man wird das Kulturhauptstadtjahr 2010 schon meistern, auch als lokaler Künstler. Die Idee, dass sich etwas bewegt in Bochum, jenseits der Fördertöpfe, vielleicht sogar jenseits der Öffentlichkeit, wie beispielsweise hier in Anjas Salon, könnte ein Triebmotor der Kulturhauptstadt werden. Hier dürfen Künstler wachsen; von hier aus darf Kultur wachsen. Also Daumendrücken! Rave on!
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