Derzeit ist die Stimmung angespannt, wenn
über Caroline Wahl geredet wird: Kontroversen, Kritik, Hass und Polarisierung schlagen ihr entgegen. Ein merkwürdiges Verständnis von Literatur und die Strukturen deutscher Feuilleton- und Einordnungskultur werden ihr zum Verhängnis.

Kritiker werfen ihr vor, dass sie aus privilegierten Verhältnissen stammt, doch stereotypisch und aneignend über Armut schreibt, ohne sie selbst erlebt, verstanden oder recherchiert zu haben. Ist denn Literatur auf einmal eine Fallstudie? Drei Bestseller in drei Jahren zu landen zeugt wohl davon, dass Menschen sich gesehen und repräsentiert fühlen, und es führt zu mehr Sichtbarkeit, Verständnis und Empathie für Lebensrealitäten wie die von Wahls Protagonistinnen. Aber die Literatur muss sich anscheinend politischen Prüflinien unterwerfen, perfekt repräsentieren und einordnen, und bitte realistisch und emanzipiert, Frauen sollen nicht von Männern gerettet werden. Doch halt – wo ist die Freiheit der Literatur geblieben, kontroverse, vereinfachte, ja – unterhaltende Geschichten zu erzählen? Ist es so neu und jetzt bei Wahl plötzlich so verwerflich, dass Kitsch und bestimmte Erzählmuster einen berechtigten Platz haben? Es ist literarisch legitim, Geschichten von Abhängigkeit und Rettung zu erzählen, insbesondere wenn sie trotzdem zeigen, wie Protagonistinnen selbst handeln, sich emanzipieren, sich dem Druck widersetzen. Wahl erzählt keine Opfergeschichten, sondern von jungen Frauen, die sich selbst behaupten. In Windstärke 17 bricht Ida aus, kappt Verbindungen, stellt sich der eigenen Schuldgefühligkeit. Und gerade Wahls neuer Roman „Die Assistentin“ erzählt von Emanzipation, Machtmissbrauch und Befreiung, bewusst ohne dabei eine Liebesgeschichte in den Vordergrund zu stellen – dort stand sie ohnehin nie, auch nicht in Wahls anderen Romanen. Und wer sagt eigentlich, dass Unterhaltungsliteratur, wie Wahls Romane oft bezeichnet werden, weniger ernstzunehmend oder wichtig ist? Dass sofort kategorisiert, abgestempelt und bewertet werden muss?

Die Kritik an Wahl und ihren Romanen zeigt die Stellung von Frauen in der Literaturbranche zweierlei: Wahls Ehrgeiz und Selbstbewusstsein wird als größenwahnsinnig, realitätsfern und eingebildet verschrien, ihr Pony und ihre Art zu sprechen werden verhöhnt und kommentiert. Dass sie ihren kommerziellen Erfolg genießt und ihre Autos gerne fährt und zeigt, scheint den unterschwellig vorherrschenden Regeln einer Gesellschaft nicht zu entsprechen, die von Frauen Bescheidenheit erwartet. Ihre Bücher werden aus dem elitären Elfenbeinturm abgewertet als unterkomplexe, klischeereproduzierende Unterhaltungsliteratur – Und Literaturexperten ist es wichtig, das ganz klar von hoher und anspruchsvoller Literatur zu trennen, die Preise gewinnt. Der einfache und flüssige Stil von Wahl verschafft dem Lesen jedoch Zugänglichkeit und Beliebtheit, liest sich zeitgemäß und bringt Abwechslung. Die Meinungen und Debatten zeigen, wie sehr die literarische Debattenkultur noch in überholten Denkmustern verharrt, und wie sehr sie sich an einer erfolgreichen Autorin stört, die mit ihrem leicht zugänglichen Stoff Menschen begeistert und abholt. Es ist an der Zeit, dass jemand wie Wahl Grenzen und Dogmen durchbricht, das Verständnis von Literatur herausfordert und die Normalisierung von Selbstbewusstsein und Ehrgeiz bei jungen Frauen vorantreibt.

Über Wahls öffentliche Vorliebe für Luxus und Autos wird gelästert, aber ist ehrliche Selbstdarstellung zwangsläufig arrogant? Oder eher authentisch, statt nur der Sympathie Willen verstellt und angepasst zu sein? Es ist stark, wenn junge Frauen sich ausnahmsweise mal weigern, den für sie vorgegebenen Eigenschaften und Normen zu entsprechen, wenn sie sich nicht beirren lassen, zu sich stehen, es aushalten, unbequem zu sein oder als unsympathisch wahrgenommen zu werden. Wenn Caroline Wahl es glücklich macht, so zu sein und so zu leben – wieso kann man es ihr nicht gönnen, ihr zugestehen? Wieso müssen sich Frauen mit Erfolg zurückhalten und sich für andere Menschen trimmen und verbiegen? Es sollte nicht tabu sein, sich für Erfolg zu belohnen und Reichtum zu genießen. Das Verlangen, „die Beste zu sein“ (Wahl), ist kein Egoismus und stiftet nicht moralische Schuld, sondern bezeugt Anspruch, Einstellung und den Wunsch nach Sichtbarkeit.

Literatur darf unbequem sein, Literatur darf provozieren, Literatur darf starke Kontraste zeichnen. Man sollte über Literatur sachlich diskutieren und Spannungen und Unperfektes aufzeigen, aber aushalten. Wo sich Kritik als Missgunst, Sexismus oder elitärer Fehlschluss entpuppt, muss entschieden differenziert werden. Es geht nicht darum, Caroline Wahl kritiklos zu sehen, es geht nicht darum, anspruchslose Literatur zu verherrlichen. Es geht darum, dass sie als junge Autorin mit Ehrgeiz und Inszenierung eine Berechtigung hat, genau so, wie männliche Kollegen oft sind, ohne Kritik zu ernten oder Debatten auszulösen. Wahl als Novum regt den Anstoß einer Wende an: Sie dehnt das Spektrum dessen aus, was in der deutschen Literaturszene gelten darf. Und dass sie dabei sichtbar und selbstbewusst ist und protzt ist kein charakterlicher Makel, sondern Denkanstoß und Teil ihres Images, ihrer Marke, ihres Erfolgs. In einer Zeit, in der Literatur vielen zu abstrakt, elitär oder verknöchert wirkt, rüttelt Caroline Wahl daran – und das tut der Literaturszene gut.

:Maja Hoffmann

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