Angespannt blicke ich zu den beiden Inspektoren herüber und drücke die Plastikhand auf meiner Schulter noch etwas fester. Mein schwarzes Gothic-Kleid sitzt zwar noch immer an Ort und Stelle, doch ich spüre, dass es ebenso wie das Accessoire auf meiner Schulter seinen Halt verlieren könnte. Doch für weitere Anpassungen am Kostüm ist es nun ohnehin zu spät.
Während ich so dastehe, frage ich mich, wie es wohl sein wird, gleich vor rund 50 Menschen auf der Bühne zu stehen – in genau diesem Outfit. Doch viel Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, bleibt mir nicht. Schließlich schiebe ich den schweren Vorhang beiseite und trete ins Scheinwerferlicht, das sich unmittelbar auf meinen gesamten Körper legt. Ich blinzle kurz, mein Blick sucht das Publikum. Der Auftritt beginnt.
Doch um zu verstehen, wie ich überhaupt hierhergekommen bin, muss ich die Geschichte von Anfang an erzählen: Alles begann im Wintersemester an der RUB, genauer gesagt im Musischen Zentrum. Der große abgedunkelte Raum, in dem ich mich auf meinen Auftritt vorbereitet habe, ist mir seit Oktober vertraut. Er diente uns als Proberaum – unserer Seminargruppe, der ich mich im Rahmen des Optionalbereichs dem Kurs „Imagination im Schauspiel“ angeschlossen hatte.
An diesem Ort habe ich in den vergangenen drei Monaten Erfahrungen sammeln dürfen, mit denen ich zuvor kaum Berührungspunkte gehabt hatte. Jeden Mittwoch, von 10 bis 14 Uhr, versammelten wir uns hier, um uns zunächst mit den Theorien der bekanntesten Schauspielmethoden auseinanderzusetzen. Wir präsentierten, analysierten und setzten das Erlernte anschließend in der Praxis um. Im zweiten Teil des Seminars wagten wir uns schließlich daran, als Gruppe ein eigenes Stück zu entwickeln.
Das Besondere? Welche Schauspieltechnik wir nutzen wollten, blieb uns Studierenden jedoch selbst überlassen. Wir durften ausprobieren, improvisieren, kombinieren und so unsere ganz eigene Methode finden. Ehrlich gesagt war es für mich anfangs nicht immer leicht. Ich probierte vieles aus, mal fühlte sich eine Technik besser an, mal eine andere. Es hat eine Weile gedauert, bis ich eine Mischung gefunden hatte, die sich für mich stimmig anfühlte.
Für unsere Aufführung entschied ich mich schließlich, die exzentrische Figur der Wednesday Addams zu verkörpern, die aus der „Addams Family“ bekannt ist. Besonders ihr „handliches“ Haustier, das berühmte „eiskalte Händchen“, wurde zu einem wichtigen Teil meines Kostüms. Das schwarze Gothic-Kleid, das mein Outfit vervollständigte, borgte mir eine Kommilitonin aus dem Seminar, die es einmal zu Halloween getragen hatte.
Doch auch wenn optisch alles stimmte – sich in die Rolle der Wednesday einzufinden, war für mich zunächst eine Herausforderung. Mein Bezug zur Figur stammte hauptsächlich aus der populären Netflix-Serie, die eine sehr subtile Darstellung der eher introvertierten Figur zeigt. Im Theater jedoch gelten andere Gesetze. Hier reicht es nicht, mit feinen Gesichtszuckungen Emotionen zu vermitteln, weil es keine Kamera in Nahaufnahmen einfangen kann. Auf der Bühne muss man die Figur so nach außen transportieren, dass auch die Zuschauer:innen in der letzten Reihe jede Gefühlsregung wahrnehmen können. Das bedeutet schlichtweg: Man muss oft übertreiben. Realistisch ist die Darstellung dabei nicht immer – vielmehr geht es darum, die charakterlichen Eigenheiten einer Figur greifbar zu machen, indem man sie verstärkt.
Nach und nach gelang es mir jedoch immer besser, diesen Zugang zu finden. Besonders geholfen hat mir dabei die Musik. Um in die aggressive, düstere Stimmung meiner Figur zu kommen, hörte ich vor den Proben oft laut Rockmusik.
Und nun ist der Moment also gekommen. Es ist der 29. Januar. Ich stehe hinter dem Vorhang, spüre die Aufregung und warte auf meinen Einsatz. Dann betrete ich die Bühne – und werde zu jemand anderem. Naja, vielleicht nicht direkt. Es dauert immer einen Moment, bis man sich an die Situation gewöhnt hat. Doch ich schaue nicht zu den Zuschauenden hinunter, die uns freundlich anstarren. Stattdessen fokussiere ich mich auf meine Mitspielenden und die einstudierten Abläufe. So kann ich ganz in der Rolle bleiben, ohne mich selbst zu hinterfragen.
Die Zeit vergeht rasend. Zu meiner Erleichterung funktioniert alles so, wie wir es geplant hatten. Über allem steht für mich der Spaß an der Sache, der auf jeden Fall immer da ist. Die drei Monate, die wir als Seminargruppe auf diese Aufführung hingearbeitet haben, haben uns eng zusammengeschweißt. Aus einer neuen Gruppe wurde eine Gemeinschaft, vor der man seine Hemmungen hat fallen lassen. Ich bin unglaublich froh, dass ich mich damals recht spontan für diesen Kurs im Optionalbereich entschieden habe.
Neben der finalen Aufführung gehörte auch eine Präsentation über eine Schauspieltheorie zum Leistungsnachweis. Doch wer mit Freude dabei ist, wird dieses Seminar nicht mit klassischem Uni-Stress verbinden. Vielmehr habe ich es als kreative Auszeit vom Uni-Alltag erlebt, die mich als Person auch mutiger gemacht hat. Man lernt, sein Schamgefühl abzulegen.
Ein besonderer Dank gilt auch unserer Dozentin Karin Freymeyer, die uns auf dieser Reise begleitet hat. Für alle, die jetzt neugierig geworden sind: Auch im kommenden Semester bietet Karin Freymeyer wieder ein Schauspielseminar im Optionalbereich an. Unter dem Titel „Körpertechniken“ geht es diesmal darum, Schauspielmethoden gezielt durch den Einsatz des eigenen Körpers zu entwickeln.
Eine Anmeldung ist bereits möglich. Vorerfahrungen sind nicht erforderlich – also traut Euch! Wer Lust hat, neue Menschen kennenzulernen und den Uni-Alltag für ein paar Stunden hinter sich zu lassen, wird in diesem Seminar garantiert auf seine Kosten kommen.
:Levinia Holtz
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