In den Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum ist einiges los. Nicht nur lässt sich hier die größte Sammlung klassischer antiker Kunst im Ruhrgebiet finden, sondern auch um die 1000 Werke der Moderne. Im Januar 2025 hält sie für uns etwas ganz Neues bereit.
Gespannt und ohne eine wirkliche Ahnung, was mich erwarten könnte, laufe ich auf die erleuchtete Glasfront zu, die sich unter der Universitätsbibliothek befindet. Schon von weitem erkenne die vielen Menschen im Inneren und ich muss unwillkürlich an eine Vernissage denken. Es ist der 22. Januar und die Ausstellung „Echo, Echo, Echo“ der Kunsthochschule Dresden feiert in den Kunstsammlungen unserer Ruhr-Universität ihre Eröffnung. Noch bis zum 20. Mai soll sie hier zu sehen sein – und das sogar kostenlos.
Gegen 18:15 passiere ich die Eingangstür und finde mich in einer großen verwinkelten Halle wieder. Etwas später als geplant eröffnen dann Dr. Alexia Pooth, Dr. Friederike Sigler und Prof. Wilhelm Mundt die Ausstellung mit einer Rede. Hier erfahre ich, dass die jungen Künstler:innen zu der Bildhauerei-Klasse von Prof. Mundt gehören. Bereits im Sommer letzten Jahres hatten einige von ihnen an der Jahresausstellung der Kunsthochschule teilgenommen, die den Titel „Das Geschrei“ trug und sich mit gesellschaftlichen sowie politischen Themen auseinandergesetzt hat. Das Motto des heutigen Abends lautet „Kunstakademie meets Universität“ und wurde durch die Zusammenarbeit der drei Dozent:innen initiiert. Unterstützung erhält „Echo, Echo, Echo“ von der Hermann Ilgen Stiftung, welche sich für die Förderung von Kunst einsetzt.
Ich erfahre außerdem, dass die Künstler:innen bei ihrer Wahl der Materialien frei waren, ebenso wie bei der späteren Platzwahl der rund 30 Ausstellungsstücke. Nicht alle davon tragen einen Namen und nicht alle davon sind bereits abgeschlossene Projekte. Viel mehr zeigt die Ausstellung aktuelle Kunstwerke und Arbeitsproben – das Experimentieren würde im Vordergrund stehen, erklärt Dr. Pooth.
In der Nähe des Eingangsbereichs entdecke ich eine Kleiderstange, an welcher Kleidungsstücke in Gelb- und Grüntönen baumeln. Kurz darauf laufe ich Lara Lovesky über den Weg. Sie erklärt mir, dass es sich bei der Kleidung um Kostüme für eine Gruppenperformance handelt, die sie in der Vergangenheit für eine Freundin angefertigt hat. Die Kostüme bestünden zum großen Teil aus Latex, welches sich durch Witterung und den Einfluss von Sonneneinstrahlung farblich verändert hatte. „Ich habe versucht, es relativ natürlich zu halten“, deswegen auch die Wahl des Stoffes – Latex ist schließlich ein Naturprodukt.
Ich schaue auf die etwas unübersichtliche Übersicht der Ausstellung in meinen Händen und wende mich dem Weitergehen zu. Etwas zu meinen Füßen erregt meine Aufmerksamkeit.
Auf dem Boden liegt ein geformtes Stück Bronze, das mich an ein Herz erinnert. Aus der Wand dahinter führen Kabel, die mit roten Pads an der Figur befestigt sind, zum Herzen. Weitere Kabel führen von der Bronzefigur zu einem kleinen Bildschirm, auf dem eine Temperatur-Frequenz zu sehen. Das Kunstobjekt heißt „Pequeño“. Später stehe ich mit Simon Filippi, dessen Schöpfer, davor und er erzählt mir, dass es sich hierbei um eine Figur handelt, die er auf Teneriffa in einer Bronze-Guss-Werkstatt hergestellt hat. „Ich habe ganz viele Abformungen von meiner Haut, meinen Klamotten und von mir gemacht und das dann in diese Klumpenform gebracht. Es ist auch so geformt, dass es sich gut in meine Armbeuge einbettet.“ Bei Ausstellungen saß er zunächst auf einem selbstgebauten Hocker und hat die Bronzefigur auf dem Arm gehalten. Dabei zeichnete er den Übergang seiner Körperwärme auf die Bronze auf. In Bochum entschied er sich dann für die Präsentation, die wir gerade betrachten.
Ich wandle weiter durch die Räume und entdecke eine grüne Hollywoodschaukel, die in einem Wald aus Säulen mit weißen Köpfen steht. Der Zettel in meiner Hand zeigt mir, dass es sich bei dem Werk um „Wir haben nur die Ostsee gesehen“ handelt. Von dem bunten Stoffdach baumeln kleine, aus Alu gegossene Köpfchen, die silbrig im Licht funkeln – eine Erinnerung an eine Dirigentenfigur aus der Kindheit, wie mir die Künstlerin Lydia Henkel im Nachhinein erklärt. Sie macht gerade ihr Diplom. Von ihr erfahre ich auch, dass es sich bei der Schaukel um ein typisches Modell aus der DDR handelt, das aus dem Garten ihrer Großeltern stammt. Sie beschäftige sich viel mit Rückzugsorten, Gerüsten und Behausungen, die Hollywoodschaukel hätte für sie einen besonderen Stellenwert in diesem Kontext. Mit der Zeit staubte die Schaukel allerdings etwas ein. „Und irgendwann habe ich die Hollywood-Schaukel da rausgeholt und habe angefangen sie abzuschleifen, neu zu lackieren und so ein bisschen in meine Gegenwart zu holen.“ Lydia erzählt mir auch, dass das Aussehen der Hollywood-Schaukel immer wieder im Wandel ist: „Man denkt drüber nach. Dann kommt halt immer was dazu oder geht weg.“
Etwas weiter vorne erblicke ich eine ungewöhnliche Gestalt. Ein Centaur-Wesen, dessen gelber Unterkörper mit einem Leopardenmuster gesprenkelt ist, blickt mir kopflos entgegen. Aus seinem Körper ragen Pfeile, an deren Enden weiße Bänder mit Messern und Herzen drauf befestigt sind. Das Kunstwerk heißt „am Herz vorbei“ und gehört Josef Panda. „Ich habe mich lange mit Leoparden und Leoprints beschäftigt, besonders im Bezug zu Fashion.“ Doch auch der Leopard als queeres Tier hätte eine Rolle gespielt, verrät er mir. Bis das Kunstwerk jedoch so aussah wie jetzt, ist ein halbes Jahr voller Arbeit daran vergangen. Das ist mittlerweile zwei Jahre her.
Als ich nach der Inspiration frage, erzählt er mir, dass die Figur aus lackiertem Gips, Holz und Stoff „einfach so entstanden“ ist und keine eindeutige Bedeutung hat. „Also ich denke, das kann jeder selber für sich interpretieren. Und das finde ich gut, ich glaube jeder hat so seine Herzschmerz-Momente.“
Als ich mich auf den Rückweg nach Hause mache, geht mir Verschiedenes durch den Kopf. Ich denke daran, was mir die anderen Künstler:innen in unseren Gesprächen erzählt haben. Die Ausstellung verbirgt noch viele weitere beeindruckende Kunstwerke und interessante Geschichten. Und vor allem zeigt sie, wie vielseitig Bildhauerei sein kann. Neben den erwähnten Kunstwerken wurden auch Bilder und sogar ein Fernseher mit einer bestimmten Tonspur ausgestellt. Als Kunst-Noob war mir das bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht bewusst und ich verband Bildhauerei immer mit den weißen Statuen, die man aus dem alten Griechenland kennt. Umso mehr Spaß hat es mir bereitet, durch die Ausstellung zu wandern und überall etwas zu entdecken, was man so noch nicht gesehen hat. Vor allem aber hat mich der Blick hinter die Kulissen fasziniert – was die Künstler:innen sich bei der Erschaffung gedacht haben und wie der Entstehungsprozess ablief. Die Atmosphäre strotzte nur so vor Kreativität und man sieht die Mühe und Arbeit, die die Künstler:innen in ihre Projekte gesteckt haben. Es ist ein bisschen so, als würde man in eine andere Welt eintauchen.
Ich erwische mich auch später noch immer wieder bei dem Gedanken daran, wie erstaunlich es doch ist, dass solche Kunstwerke tatsächlich von Menschenhand geschaffen worden sind.
:Alina Nougmanov
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