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Content Note: In diesem Artikel geht es um toxische Körperideale.

Die berühmte Victorias Secret Fashion Show musste sich neu erfinden. Das war die Erwartung seitens vieler Kritiker:innen — vor allem, nachdem die konkurrierende Dessous Marke Savage Fenty sie für mangelnde Diversität öffentlich kritisiert hatte. Schlechte Einschaltquoten hatten die Show schließlich zurecht in die Zwangs-Pause geschickt. Hat die Marke in ihrer brandneuen Show nun aus ihren Fehlern gelernt?

Victoria’s Secret ist seit 1995 absoluter Kult. Die jährlich stattfindende Modenschau der US-amerikanischen Modemarke spaltete jedoch die Gesellschaft. Nicht zuletzt, als Marketingchef und Gründer Ed Razek 2018 behauptete, dass trans* Frauen niemals Angel auf Victorias Laufsteg werden würden. Ein Statement, für das er zurecht viel Gegenwind erfuhr. 2018 fand schließlich die letzte Victoria’s Secret Fashion Show statt. Von der Sorte, wie wir sie kennen und lieben gelernt haben – Moment. Nicht ganz: Denn auch schon damals wurde die Victoria’s Secret Fashion Show zurecht scharf kritisiert. Sie repräsentiere Körper, die ein problematisches Ideal vermitteln würden. Natürlich sind Körper verschieden, doch bei einigen Menschen kann solch ein niedriges Gewicht gesundheitliche Probleme auslösen. Dazu gehören hormonelle Probleme, Blutarmut, Herzschwäche oder starke Müdigkeit.

Ich glaube auch, dass das Make-up vielen Models erst das frische Erscheinungsbild verliehen hat. Denn unter all dem Make-up dürfte sich in vielen Fällen ein ausgemergeltes, müdes Gesicht verbergen. Dies dürfte nicht zuletzt an den Crash-Diäten liegen, die vor den Shows für einen maximal flachen Bauch sorgen sollen. Natürlich, die Genetik kann bei manchen Menschen dafür sorgen, dass sie ohne dafür zu hungern, sehr dünn sind. Bei denen, die jedoch keinen derartig hohen Stoffwechsel haben, sind Modelmaße grundsätzlich unrealistisch. Untergewicht ist für Letztere kein Spaß. Das Gegenteil wird allerdings suggeriert.

Fans der Show könnten anmerken, dass die Modewelt nun mal eine andere als die Realität ist. Sie könnten erläutern, wie Models traditionell nun mal dünn sind, damit man die Schnitte der getragenen Kleidung besser erkennen kann. Aber bei einer Marke wie Victoria’s Secret, die ihre Kleidung an Kund:innen vertreiben will, macht das wenig Sinn. Wie soll sich denn die Durchschnittsperson vorstellen können, wie die von einer Size-Zero getragenen Dessous an ihr selbst aussehen? Ich meine, ja, Frauen sind es schon lange gewohnt, Kleidung an Körpern beworben zu sehen, die ihren eigenen nicht ähneln. Aber in der Werbung sieht man auch schon einige Zeit Frauen, die zumindest nicht so dünn sein müssen wie Models auf den großen Catwalks.

Zugegeben, in der Modewelt geht es auch noch extremer, wenn es um die perfekten Maße geht. Jedoch hat Victorias Secret eine beachtlichere gesellschaftliche Reichweite als andere Modenschauen. Die Models sind keine bloßen „Schaufensterpuppen“. Sie stehen auch für sich selbst als Personen. Man entschied sich deshalb bewusst für Models, die geradezu unantastbar – und irgendwie deshalb auch besonders – wirkten. Ein ungeschriebenes Gesetz dieser Gesellschaft: je dünner, desto besser. Und dieses Ideal verkörpern die Models, die zusätzlich mit ihrer medialen Präsenz vor allem junge Menschen zur Demut bringen. Das macht die Marke Victoria’s Secret persönlicher und eben auch beliebter.

Dazu kommt noch, dass die „Angels“ ein problematisches Frauenbild spiegeln. Allein der religiös geprägte Begriff symbolisiert das „Reine“, das „Perfekte“. So sind die Engel mitsamt ihrer Flügelchen zart, strahlend und sanft unterwegs. Hier werden also nicht bloß aus pragmatischen Gründen sehr dünne Models gewählt, sondern die Körper gezielt an bestimmte Wertevorstellungen geknüpft. Und nein, es ist natürlich nicht problematisch, feminin oder elegant zu sein. Viel mehr geht es doch darum, dass Shows wie Victorias Secret implizit nicht-dünne Menschen von diesen Eigenschaften abgegrenzt hat.

Ja, die Models sind einfach ein Ideal, das nicht dem Durchschnittsmenschen entspricht. Oft lese ich auf Social Media, dass das den Zuschauer:innen bewusst sein muss und nirgendwo gesagt wird, dass alle diesem Ideal entsprechen müssen. Aber nichtsdestotrotz verschiebt es die Messlatte höher, für das, was noch als vergleichsweise „normal“ oder „durchschnittlich“ gilt.

Es ist in der neuen Show tatsächlich mehr Diversität zu sehen. Aber come on! Nur drei von über 30 Models sind Plus-Size. Das ist doch auch nicht gesellschaftlich repräsentativ. Und was bringt das dann in moralischer Hinsicht? Klar, anscheinend können Plus-Size-Models jetzt auch schön sein. Aber warum tragen sie dann mehr Stoff als die dünnen Models und sind nur ein „Add-on“ zum bekannten Model-Kanon? Und warum sind zwei der drei Plus-Size-Models, aus meiner Sicht, eigentlich eher Mid-Size?

Immerhin: Mit Valentina Sampaio und Alex Consani sind nun die ersten trans*- Models auf dem Catwalk zu sehen. Aber insgesamt bleibt doch folgender Eindruck: Das alles schreit nach Diversity Washing. Ein notwendiger Schritt Richtung Modernität, für den zuerst allerdings der Untergang der Show notwendig war. Das hinterlässt mehr als nur einen bitteren Beigeschmack. Schlussendlich bleibt offenbar die anfängliche Intention bestehen, mit unrealistischen Körperidealen Aufmerksamkeit zu erregen.

Insgesamt bin ich nicht wirklich enttäuscht, weil ich auch eher wenig von der neuen Victoria’s Secret Show erwartet habe. Ich meine, ja, vielleicht hätte sie ja wirklich ein kulturell wertvolles Zeichen setzen können. Aber dafür müssten wahrscheinlich auch mehr Menschen mehr Bewusstsein dafür haben, dass die die Modewelt für viele Models auch ihre Schattenseiten hat. Denn die über 21 Millionen Aufrufe auf YouTube der neuen Show (Stand 19.10.2024) stammen mit Sicherheit nicht bloß vom Kritiker:innen.

:Levinia Holtz

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