Ende des Wachstumschstums
Zumindest aus subjektiver Sicht scheinen die letzten Jahrzehnte besonders geprägt von sich abwechselnden und überschneidenden Krisen. Eine „Krise“, das kann jedoch auch viel bedeuten: Von Wirtschaft über Klima bis zu Krieg, oft fällt dieser Begriff, um sehr komplexe und teilweise miteinander verworrene Situationen zu beschreiben. Krisen sind nicht neu, trotzdem scheint sich ihre Qualität zu ändern. Was macht das mit unserer Welt, unseren politischen Systemen und was bedeutet das für die Zukunft – und den Weg dahin? Ein paar Einblicke und Gedanken dazu gibt es auf dieser Seite.
Blickt man auf die drei Bereiche, in denen sich Krisen abspielen – also Politik, Gesellschaft, Wirtschaft – kann man versuchen, die kleineren Krisenherde auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Allen voran steht dabei na-türlich die Klimakrise: Häufigere Extremwetterereignisse wie Dürren und Überflutungen zerstören Lebensräume, aber auch Agrarflächen. Kaum eine andere Krise ist unabhängig von dieser, der anthropogene Klimawandel wirkt entweder ursächlich oder verschärfend. Dabei ist die Klimakrise nicht nur eine Folge des unendlichen Wachs-tumsstrebens des Kapitalismus, sondern gleichzeitig auch ein Faktor für das unvermeidliche Ende dieses Para-digmas. Die Blütezeit der Expansion ist vorbei, und das schon lange. Doch ist dieses Wachstum so inhärent im Kapitalismus, dass es weiter gehen muss – entgegen jeder Realität. Die größer werdenden Handelsüberschüsse von Staaten wie Deutschland führen anderorts zu immer höher werdender Verschuldung. Die blutige Ausbeu-tung durch Zwangsarbeit und militärische Unterdrückung, mit dem Ziel möglichst viel Kapital zu akkumulieren und die eigene Hegemonialstellung zu sichern, war prägend für Kolonialismus und Imperialismus. Ihr Auswir-kungen sind bis in die Gegenwart zu spüren, sie gehörten in dieser Form jedoch im 20. Jahrhundert größtenteils der Vergangenheit an. Imperialismus verschwand nicht, sondern änderte seine Methoden. An die Stelle direkter militärischer Kontrolle und Besatzung traten die Ausübung wirtschaftlichen Drucks und die Finanzierung und Unterstützung wohlgesonnener Regime. Als Folge dieser Methoden entstanden viele der Staaten, die heute im internationalen Fokus liegen – als Streitobjekte der um Hegemonie ringenden Akteure. Die Demokratisierung ehemaliger Kolonien scheiterte vielerorts, oft zerbrochen an den ökonomischen und machtpolitischen Interessen finanziell stärkerer Staaten. Die Meinung, dass man putsche, wen immer man wolle, wenn es um die Sicherung der Rohstoffversorgung geht, wird dabei von Akteuren wie Elon Musk mittlerweile unverblümt, öffentlich klar-gemacht. Militärische Intervention ist dabei als Mittel weiterhin eine Option, wenn alle weniger direkten Mittel zur „Stabilisierung“ eines Staates scheitern, wie sich in Afghanistan, Somalia, Mali oder Libyen zeigt. Stellvertre-terkriege, die nach dem Fall der Sowjetunion kurzfristig an Prominenz verloren, sind entweder wieder im vollen Gange oder werden befürchtet. Sind ihre Gründe oft vielschichtig, gibt es jedoch auffällige Faktoren. Dass es bei den Kriegen im Irak, Jemen und auch in Libyen um die Kontrolle über Ölvorkommen ging, streitet kaum noch jemand ab. Fossile Brennstoffe sind jedoch nicht die einzigen Spielsteine globalen Einflusses. 40 Prozent des afri-kanischen Bedarfs an Weizen wird mit Exporten aus der Ukraine und Russland gedeckt. Mit der Kontrolle über die ukrainische Weizenproduktion geht also auch das Potenzial für enorme Einflussnahme auf andere Staaten einher. Taiwan wiederum ist der wohl wichtigste Produktionsort für Chips in Halbleiter, die essentiell für die moderne Industrie sind. Bei den bereits brodelnden Streitigkeiten um die Kontrolle über die stetig schmelzende Arktis spielen dortige Vorkommen fossiler Energieträger eine Rolle, aber auch eventuelle neue Handelsrouten wollen erschlossen werden. Dem Teufelskreis der sich gegenseitig bedingenden und verschlimmernden Krisen zu ent-kommen, wirkt wie eine kaum zu meisternde Aufgabe, und diese Erkenntnis wiegt schwer auf der Psyche vieler junger Menschen. Ein „weiter so“ ist jedoch nicht möglich und besonders jetzt ist es wichtig, das klarzumachen.
MEINUNGSSACHE:Langfristig zu denken ist nun essentiell, denn das wurde zu lange nicht getan. Der Ausbau erneuerbarer Energien geht zu langsam voran, Kipppunkte sind überschritten und viele Auswirkungen des Klimawandels nicht mehr abzuwenden. Gerade deshalb ist Pro-test wichtig, besonders Protest der nicht einfach zu ignorieren ist. Lippenbekenntnisse zu den Zielen von Fridays for Future gab es zu genüge, getan hat sich trotzdem kaum etwas. Gleichzeitig erstreiten sich rechtsradikale, islamistische und andere reaktionäre Kräfte sich immer mehr Raum im Diskurs um die Krisen. Eine Bewegung für Klimagerechtigkeit muss dabei stark bleiben gegen Spaltung, aber auch Instrumentalisierung, denn Ziele sind wichtiger als Parteien. Auch nach Wahlsiegen der Grünen darf der Druck somit nicht nach-lassen – vielmehr muss besonders hingeschaut werden, was konkret getan wird und ob Versprechen auch umgesetzt werden. Der Blick da-bei muss global sein, denn Nachhaltigkeit geht nur gemeinsam und nicht auf dem Rücken anderer. Abschottung kann nicht die Antwort auf ein kollabierendes System sein.
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