Bild: Symbolbild, Versteckter Schmerz Bild: bena

2020 gab es 773 100 Lebendgeborene. Mit der Geburt wird das Wunder des Lebens verbunden, doch auch hier gibt es Schattenseiten. Wir sprachen mit einer Studentin der Hebammenwissenschaft Lea das Thema  über Gewalt und Traumata bei der Geburt. 

Vereine wie Motherhood. e.V. und Roses Revolution setzen sich für eine gewaltfreie Geburt und Elternrechte in der reproduktiven Phase ein und machen auf das Thema Aufmerksam!

Anmerkung der Red.: In diesem Text wird von Frauen gesprochen, da dies das Vokabular aus der Reproduktionsmedizin ist und dort nicht gegendert wird.

 

:bsz Menschen mit Uterus berichten auf Seiten wie Roses Revolution davon, wie traumatisierend die Geburten waren und dass vor allem ihr Befinden ignoriert wurde. Wie kann es zu sowas kommen? 

Lea: Ich erinnere mich selbst an solche Situationen, in denen mir eine Hebamme gesagt hat, ich müsste jetzt das und das tun, aber mein Gefühl hat mir gesagt : „Ich sollte das jetzt eben nicht tun, weil die Frau das gerade supergut allein schafft.“ 

 

Was ist das? Was wäre das für eine Situation gewesen und wie waren die Reaktionen?  

Also ich habe das dann teilweise auch noch mit den Personen danach besprochen, auch mit den ganzen Familien, die mir dann bestätigt haben, dass sie das, was die Hebamme aber dann empfohlen hat, oder auch die Ärztin zum Beispiel oder der Arzt, [nicht machen wollten]. Sondern, dass sie eigentlich weiter in Ruhe ihr Ding machen wollten. Quasi so, wie ich es vielleicht auch gefühlt und wahrgenommen habe. Solche Situationen habe ich durchaus öfter erlebt. Wichtig ist aber, wenn die Gefühle der Frauen übergangen werden, sowie mein Bauchgefühl – und das werden sie in solchen Momenten – dann kann ein Trauma entstehen. Die Frau hat eine Realität und eine Wirklichkeit. Im Anschluss passiert etwas, was sich aber für die Frau so grundlegend falsch anfühlt, dass es sie nachhaltig seelisch verletzen kann. 

 

Eine Geburt ist ein Stressprozess. Wie wirkt sich dieser Stressprozess auf den Körper aus? 

Wir haben hormonelle Regelkreise, wo die einen Hormone für die Entspannung sorgen und die anderen für den Stress. Wir brauchen unter der Geburt die Hormone, die für Entspannung da sind, also vor allem das Oxytocin. Oxytocin ist genau das Hormon, was die Gebärmuttermuskeln kontrahieren lässt. Gleichzeitig wird es aber auch ausgeschüttet, wenn eine Person sich wohlfühlt oder eben zum Beispiel beim Sex oder beim Kuscheln, bei der körperlichen oder seelischen Nähe zu lieben Menschen und in einem angenehmen Umfeld. Wir nutzen das aber auch zur Wehen-Anregung. So gibt es dieses Molekül auch intravenös, das ist dann synthetisches Oxytocin. Das wird gemacht, wenn die Geburt sich verlangsamt, wenn die Wehen weniger werden, dann wird es dazugegeben, das nennt man einen protrahierten Geburtsverlauf. Hausgeburtshebammen arbeiten zum Beispiel etwas anders und die würden erstmal die Nippel stimulieren. So ein Gespräch hatte ich bei meiner letzten Geburt zum Beispiel. Wären wir nicht in der Klinik gewesen und hätten keine Zeitlimits gehabt, dann wird der Frau empfohlen, mit ihrem Mann ordentlich zu kuscheln. Das gehört zum Basiswissen einer Hebamme, damit das Ganze läuft. Eine Klinik und viele Kreißsäle sind aber so eingerichtet, dass sie genau dem widersprechen. Dazu gibt es gerade eine spannende Studie, die jetzt zum Abschluss kommt, die Be Up-Studie. Dort wird überlegt, wie dieses Umfeld sich dann auf die Person an sich halt auch auswirkt, weil es eben auch die Stress- und Entspannungsmechanismen vergleicht. Etwas, das auch spannend ist:  Es gibt Leute, die rufen bei uns an und sagen, dass die Wehen eingetreten sind. Wenn sie bei uns ankommen, sind diese plötzlich weg. Denn sie sind dann aufgeregt in der Klinik und dann hören die Wehen auf. Sowas ist total logisch, weil dann nämlich die Stressmechanismen zum Zuge kommen. 

 

Die Geburt ist auch mit Ängsten verbunden, wie kann man damit umgehen, wenn man bemerkt, dass die Frau Angst hat? 

Es gibt so eine allgemeine Angst vorm Gebären in unserer Gesellschaft. Das ist das eine Thema, und die zweite Sache ist, dass Geburten halt auch therapeutisch wirken können. Das habe ich jetzt auch schon ein paar Mal erlebt, dass die erste oder die letzte Geburt traumatisch war, oder auch die letzten beiden sehr traumatisch waren und wir das irgendwie geschafft haben, dass die Geburt heilend gewirkt hat. Sogar, dass die Familie das dann als positiv bemerkt und sagt: Es kann auch anders gehen und jetzt sind wir vollständig. Jetzt hat sich irgendwas beruhigt, das sind fast die schönsten Geburten. Man geht mit so einem tollen Gefühl daraus! Aber es gibt tatsächlich eine Angst vorm Gebären. Die Leute wollen dann auch auf gar keinen Fall schwanger werden. Diese Angst, dass Geburten so gefährlich seien. Ich vermute, das wird uns durch Filme und Medien suggeriert. Aber auch durch Abwesenheit der Geburt aus dem Alltag.  Wir bekommen die gar nicht so richtig mit. Es ist eine besondere Situation, in der andere Dinge wichtig werden und wenn wir diese Angst weniger werden lassen wollen, ist das wie so oft nur über Aufklärung möglich.  Das Thema Geburt und Gebären sollte mit in die Sexualkunde aufgenommen werden. 

 

Eine Geburt ist für mich als nicht-Mutter ein schwieriges Konstrukt, was könnte das Schlimmste sein, was als Folge der ausgeübten
Gewalt bleibt und wenn die Geburten vermeintlich gut verlaufen sind, warum sind so viele traumatisiert?  

Das sind objektive Parameter! Wir können dem Kind eine bestimmte Punktzahl für sein Aussehen, Atmung, Puls, Reflexe und allgemeine Körperspannung geben. Und wenn das Kind die volle Punktzahl bekommen hat, sind wir zufrieden. Wir können Geburtsberichte schreiben, in denen am Ende alles objektiv gut aussieht, aber die Gebärende dann trotzdem traumatisiert ist.  Ich finde diese Frage eigentlich super spannend. Also warum auch vermeintlich gut ausgegangene Geburten traumatisch wirken können oder das Gegenteil, eine superdramatische Geburt, bei der das Personal rausgeht und sich denkt: „Was haben wir da gerade erlebt?“ oder die Studentin heulend nach Hause geht und sich sagt: „Ich fand diese Geburt total schwierig und ich habe dort Dinge unterstützt, die ich nie sehen wollte“, jedoch die Frauen oder die ganze Familie danach überglücklich sind, dass man so viel getan hat, dass es dem Kind jetzt gut geht. Da besteht sozusagen eine große Inkongruenz zwischen dem Empfundenen und dem medizinisch Tatsächlichen.

 

Welche Rolle spielen andere Diskriminierungen wie zum Beispiel Rassismus? Was ist mit Müttern, die kein Deutsch sprechen? 

Auf der strukturellen Ebene kann ich sagen, dass es häufig an Übersetzungsangebote für die Eltern fehlt. Denn die Anamnesebögen wie auch Aufklärungsbögen sind nicht in allen Sprachen verfügbar. Zudem sind Dolmetscher:innen nicht immer dabei oder verfügbar und bei Begleitpersonen, weiß man nie ob unser Anliegen korrekt übersetzt wurde. Wenn ich die persönliche Ebene betrachte, dann ist es ganz klar, dass es Vorurteile gibt. Insbesondere, werden einigen Nationalitäten nachgesagt, dass sie überdramatisieren und einfach laut seien.

                                                                            

  :Dieses Interview führte Abena Appiah

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