Schule. Präsenz- oder Distanzunterricht? Dass Corona auch im Klassenraum angekommen ist, ist schon längst bekannt. Doch wurde die schulfreie Zeit richtig genutzt, um Alternativen zu schaffen? Im Gespräch mit Lehrerin Assiba Akoho wollen wir herausfinden, wie es wirklich im Schulalltag ausschaut.
:bsz: Wie empfinden Sie als Lehrerin die Situation mit Corona an den Schulen?
Assiba Akoho: Wie in vielen Gesellschaftsbereichen natürlich anstrengend. Vieles läuft suboptimal und die Mühlen in der Schule mahlen sehr langsam. Es kostest Zeit, bis Konzepte wie für die Digitalisierung oder Hygienemaßnahmen, die von der Landesregierung, also vom Schulministerium, erarbeitet werden, bei uns ankommen. Vor allem die Zeit in den Sommerferien empfinde ich nicht als zufriedenstellend genutzt. Primär im Bereich neuer didaktischer Konzepte für den Distanz-Unterricht, aber auch bei grundlegenden Fragen hatte ich noch mit Beginn des neuen Schuljahres das Gefühl, dass sie noch nicht gründlich diskutiert wurden: „Soll Unterricht wieder im vollem Umfang stattfinden? Wie sollen wir mit einer zweiten Welle umgehen?“ Bis jetzt ist es genauso wie im März. Im Prinzip ist es so, als wäre die Zeit vergangen, ohne dass etwas geschehen ist. Natürlich weiß ich, dass viel gemacht und gedacht sowie Konzepte erstellt wurden, aber die Umsetzung, die ist aus meiner Sicht viel zu langsam.
Hat sich das Arbeitspensum durch die Pandemie geändert?
Das Arbeitspensum ist schon gestiegen. Dazu muss ich sagen, dass es sich nicht nur auf unsere Vorbereitung und Nachbereitung bezieht, sondern was dann noch corona-bedingt dazukommt. Denn es sind Formalia dazugekommen, die natürlich absolut notwendig sind. Wir müssen Sitzpläne immer aktuell halten, die Abstände zwischen den Schüler:innen im Klassenraum messen, wenn ein:e Schüler:in nicht da ist, die Sitzplätze getauscht werden oder mal eine andere Arbeitsform eingesetzt wird … das muss ja alles immer aktualisiert, dokumentiert und kommuniziert werden. Das hört sich erstmal wenig an, aber es kann sich wirklich läppern. Hinzu kommen die Meldungen der Schüler:innen, wenn sie in Quarantäne müssen; das zieht einen ganzen Berg an Organisation, Formalia, Telefonaten und Distanz-Aufgaben für die Quarantäne von allen Fachlehrkräften nach sich.
Momentan dauert es auch oft lange, bis wir Nachricht vom Gesundheitsamt bekommen, welche:r Schüler:in jetzt wann und für wie lange in Quarantäne soll. Dazu kommt, dass viele Leher:innen sich das digitale Unterrichten erst noch aneignen müssen. Ebenso haben wir mehr Aufsicht in den Pausen, weil wir die Schüler:innen auf dem Schulhof in den Gruppen halten müssen. Dieses Mehr an Aufsichten sorgen dafür, dass vieles, was wir vorher zwischendrin gemacht haben, hinten dranhängen müssen.
Wie reagieren die Schüler:innen auf die Situation?
Viele Schüler:innen haben psychosoziale Probleme, die durch die
Krise verstärkt wurden. Wir haben Schüler:innen, die keinen Raum zuhause haben, in dem sie ungestört ihre Aufgaben erledigen können, geschweige denn jemanden, der sie zuhause unterstützen kann, wenn es in den Distanzunterricht geht. Aus der Erfahrung im März heraus machen sich viele Sorgen, dass es wieder Distanzunterricht geben wird.
Und sehen Sie Problematiken für diesen Jahrgang bei den Abschlüssen, dass einige nicht hinterherkommen?
Ich weiß, dass viele sich wirklich große Sorgen machen, die jetzt vor dem Abschluss stehen. Ich lehre nicht an einem typischen „gutbürgerlichen Gymnasium“, wo die Eltern sich entsprechend mit den eigenen Kindern hinsetzen können, Nachhilfen organisieren oder was auch immer zusätzlich helfen kann, wie selber Lernmaterial kaufen. Viele Schüler:innen haben wirklich Angst, ihren Abschluss nicht zu schaffen und bekommen oft die Existenzängste ihrer Familien mit.
Also empfinden Sie, dass die Corona-Zeit die Schere größer macht oder gemacht hat?
Ja, definitiv! Das, was jetzt schon vor und nach den Osterferien passiert ist, hat aus meiner Sicht definitiv schon die Schere größer gemacht. Viele Schüler:innen sind trotz mehrerer mangelhafter Leistungen versetzt worden. Aus meinen Klassen sind nur wenige in die freiwillige Wiederholung gegangen. Für sie wird es in diesem Jahr natürlich nicht einfacher. Es ist schwierig genug, die Defizite vom letzten Schuljahr aufzuholen.
Einige Lehrkräfte sind aufgrund ihres Riskogruppen-Status schon jetzt im Distanzunterricht – das macht es nicht einfacher für die Schüler:innen, verpasste Inhalte aufzuholen und Neues zu erarbeiten. Denn selbst wenn der Distanzunterricht perfekt geplant und durchgeführt würde, wenn alle die besten Geräte zuhause hätten — es ist eine andere Art Unterricht. Eine, bei der eben der persönliche face-to-face-Kontakt fehlt, der aus meiner Erfahrung heraus immens wichtig ist. Das wird oft vergessen.
Wäre es sinnvoll gewesen, wenn sich die Schulen mit den Universitäten zusammengeschlossen hätten und Lehramtsstudierende zum Beispiel AGs angeboten hätten, um das Wissen zu festigen? Vor allem an Schulen, die Hilfe benötigen.
Eine gute Idee, Lehramtsstudierende mit ins Boot zu holen, die in Sachen Mediendidaktik usw. auf dem neuesten Stand sein sollten. In anderen Bereichen, z.B. bei der Sprachförderung, gibt es ja ähnliche Projekte. Sowas hätte man vielleicht sogar in den Sommerferien machen können. Das war wirklich gut und ich konnte schon einige Ideen, die beim TeachersDay entstanden sind, umsetzen.
Würden Sie es befürworten, früher in die Weihnachtsferien zu gehen?
Ich finde, dass es für die meisten meiner Schüler:innen besser wäre, wenn sie zur Schule kommen. Zum einen haben einige nicht die Möglichkeit, zu Hause vernünftig zu lernen und deswegen halte ich die Schule für den besten Lernort für sie. Zum anderen wissen wir, dass häusliche Gewalt in der Krise jetzt angestiegen ist sowie die psychischen Probleme sich intensiviert haben. Das merke ich auch bei den jungen Menschen an unserem Berufskolleg.
Natürlich muss das Infektionsrisiko verringert werden, aber ich bin nicht überzeugt davon, dass Schulschließung die beste Lösung ist, um dies zu erreichen und halte es für wichtig, dass die Schüler:innen zur Schule kommen können.
Wie könnte eine Alternative zur aktuellen Gestaltung der Schule unter Covid-19 aussehen?
Ich kann leider keine durchdachte Lösung anbieten, höchstens ein paar Gedanken, die alle nicht neu sind: Am besten wäre es, wenn wir die Gruppen teilen könnten aber nicht in der Form, dass die einen Jahrgänge zu Hause bleiben und dann kommt nach und nach die nächste Gruppe zurück, sondern einfach in kleineren Gruppen unterrichten — was sowieso auch ohne Corona sehr wünschenswert wäre. Jedoch fehlen hierfür Klassenräume und Lehrkräfte. Die mentale Gesundheit der Schüler:innen muss mehr Beachtung finden: in Form von einer ausgebauteren
Schulsozialarbeit.
Hat die Pandemie aufgezeigt, wo das Problem in unserem Schulsystem ist?
Ich denke nicht, dass irgendetwas entlarvt wurde, das zuvor nicht bekannt war.
:Dieses Interview führte Abena Appiah
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