Interview. Nur wenige Kilometer von Bochum entfernt, soll 2020 trotz Kohleausstieg ein neues Steinkohlekraftwerk in Betrieb genommen werden. Nun formt sich erneut Protest gegen das Kraftwerk, der aus Anwohner*innen und Klimaaktivist*innen besteht. Ihre Forderung ist simpel: Datteln 4 soll nicht an’s Netz gehen. Wir haben mit Kurt, der Umwelttechnik studiert sowie Organisator bei Fridays for Future ist, über das Kraftwerk, die Klimabewegung und die Parallelen zum Hambacher Forst geredet.
:bsz: Bei Eurer Demonstration am vergangenen Freitag nahmen 500 Menschen teil. Entsprach das Euren Erwartungen?
Kurt: Es war deutlich über unseren Erwartungen. Wir haben das vor ziemlich genau zwei Wochen angemeldet, hatten also nur eineinhalb Wochen für die Mobilisierung. Wir haben 100 Menschen angemeldet. Die Polizei hat das im Kooperationsgespräch später auf 300 hochgeschraubt. Wir hatten schon vorher Kontakt zu lokalen Bürgerinitiativen geknüpft. Aber die sind total ausgebrannt. Sie kämpfen seit 13 Jahren gegen dieses Kraftwerk, teilweise länger. Manche ziehen jetzt weg, denn niemand will in der Nähe von einem Quecksilberschlot und dem ganzen Feinstaub wohnen. Die waren nun empowered, wie stark das ist, dass so viele Menschen da sind und waren alle total dankbar, dass wir jungen Menschen das gemacht haben. 500 Menschen – das war eine coole Stimmung. Auch dort waren wieder einige, die seit Jahren auf keiner Demo waren. Ich habe das Gefühl, das hat vor Ort sehr viele Impulse gesetzt.
Protestieren sie nur gegen Datteln 4, oder haben sie eine breiteren Blick auf den Klimawandel?
Sie hatten sich damals gegründet, weil sie gegen dieses Kraftwerk direkt vor ihrer Nase waren. Das nächste Wohngebäude steht unter 450 Meter entfernt. Die Kinderklinik ist auch nicht viel mehr als 500 Meter entfernt. Aber über die letzten Jahre, auch durch die Zuspitzung über den Dürresommer 2018 oder den Konflikt um den Hambacher Forst hat es die Thematik bei ihnen nochmal mehr auf’s Tableau gebracht.
Wie wichtig ist es, lokale Themen mit internationalen Themen zu verbinden?
Es ist wichtig. Der Gedanke – und das war auch auf der Demo klar – ist: Wir sind immernoch alle gemeinsam auf diesem Planeten und wir werden auch gemeinsam in dieser Klimakrise sein. Wir leben auf Kosten der Anderen. Schauen wir mal nach Indonesien, nach Jakarta. Die erste Hauptstadt der Erde, die umgesiedelt werden muss innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Oder jetzt am Beispiel von Datteln 4 direkt Kolumbien.
Genau. Oder Russland. Die Hälfte der Kohle für Datteln 4 kommt aus Russland, ein Drittel ungefähr aus Kolumbien. Aber eine internationale Dimension war auch dadurch schon da, dass Uniper zu bald 70 Prozent Fortum gehört und Fortum dem finnischen Staat. Dieser hat ein Kohleausstiegsgesetz bis 2030 verabschiedet. Demenstprechend schlägt das gerade auch in
Finnland Wellen.
Außerdem ist es absurd, dass wir im Ruhrgebiet unsere Zechen zugemacht haben, während man jetzt die Kohle aus Kolumbien und Russland importiert, wo sie unter katastrophalen Umweltbedingungen und auch katastrophalen Menschenrechtsbedingungen abgebaut und dann mit Schweröl um die halbe Welt
geschifft wird.
Datteln wird sehr häufig das neue Hambi genannt. Besteht bei Datteln dasselbe Mobilisierungspotential und wie kann der Protest etwas bewirken?
Ich glaube, man hat ein anderes Spielfeld als in einem großen Wald, in den man einfach hinein gehen kann. Gleichzeitig gibt es aber Kanäle, über das dieses Kraftwerk beliefert wird. Ende Gelände haben bereits die Ankündigung gemacht, dass sie wiederkommen werden. Beispielsweise kann man mit Flössen die Kanäle für eine Zeit lang dicht machen.
Gleichzeitig ist bei Uniper die Erfolgswahrscheinlichkeit viel höher, weil der finnische Staat eigentlich keine Kohlekraft will. Der rechtliche Weg ist auch ein ganz anderer als gegen den Tagebau. Denn dieses Kraftwerk wurde illegal gebaut. Die Baugenehmigung wurde 2012 vom Oberverwaltungsgericht in Münster kassiert. Daraufhin hat die große Koalition das Genehmigungsverfahren „geheilt“. Das heißt, es wurden die Rahmenbedingungen verändert, sodass es 2015 eine neue Beantragung der Genehmigung gab, die 2017 von der rot-grünen Landesregierung erteilt wurde.
Eine weitere Klage ist derzeit zudem ausgesetzt, weil auf eine Gerichtsentscheidung zum Trianel-Kraftwerk in Lünen gewartet wurde, bei der die Betreiber jetzt vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verloren. Dabei ging es darum, dass das Kühlturmabwasser in die Lippe abgeleitet wird. Die Lippe-Auen sind sogenannte Flora-Fauna Habitate. Diese dürfen nur eine bestimmte Maximalbelastung an Quecksilber und Co haben. Da jedoch nicht nur das Trianel-Kraftwerk sein Kühlwasser dort einspeist, sondern auch Datteln und weitere, werden die Grenzwerte überschritten. Der BUND (Anm. d. Red.: Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) hat das beklagt und nun im Januar Recht bekommen. Das bedeutet, dass Trianel ihr Kühlturmabwasser nicht in die Lippe-Auen ableiten dürfen, wodurch Kühlturm und Kraftwerk nicht betrieben werden können. Das könnte Datteln auch bevorstehen. Es gibt also viele Klagen, durch die Datteln deutlich verwundbarer ist, als es der Tagebau Hambach war.
Wie stehst du zu den Argumenten, dass alte, ineffizientere Kraftwerke vom Netz genommen werden können, wenn Datteln 4 an’s Netz geht?
Von einem technischen Punkt ist es relativ effizient. Datteln hat eine elektrische Leistung von grob einem Gigawatt. Das heißt, es sollen grob ein Gigawatt Leistung an alten, ineffizienten Kohlekraftwerken abgeschaltet werden. Das Problem ist aber, dadurch, dass die CO2-Preise auf europäischer Ebene im letzten Jahr auf 25 Euro gestiegen sind, sind die alten Steinkohlekraftwerke in ihrer Auslastung eingebrochen. Diese alten Kraftwerke, die für Datteln 4 abgeschaltet werden sollen, haben dadurch nur eine Auslastung von einem Viertel oder einem Fünftel. Aber da Datteln über Festabnahmeverträge mit RWE und der Deutschen Bahn verfügt, hat das Kraftwerk eine gewisse Mindestauslastung. Da es moderner ist, könnte es passieren, dass dieses Kraftwerk eine höhere Auslastung als in der Summe die alten Kraftwerke hat. Der BUND geht dabei von eins bis drei Millionen Tonnen mehr CO2 Emissionen im Jahr aus.
Gibt es noch etwas, das du mitteilen möchtest?
Da gibt es Vieles. Mein bester Freund wird wahrscheinlich morgen oder übermorgen Vater. Ich finde es einerseits wunderschön, dass ein neuer Mensch das Leben erblickt und ich möchte alles tun, damit dieser Mensch in der Zukunft aufwächst, in der wir es nicht verkackt haben. Das macht mir wahnsinnig Panik. Auf der anderen Seite, wenn ich sehe, wie viele Menschen eigentlich mutig sein wollen, gibt mir das enorm Kraft. Wir haben einen riesigen Zeitdruck, aber gleichzeitig ist es die Chance, um Gerechtigkeit – sowohl Klimagerechtigkeit als auch soziale und Geschlechtergerechtigkeit wahr werden zu lassen. Was ich mir für 2020 wünschen würde, wäre, dass wir in zehn Jahren zurückblicken und denken: „Das war das Jahr, in dem es sich zum Guten gewendet hat“ und nicht „Das war der Anfang vom Ende.“
:Das Interview führte Stefan Moll
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