Bild: Eine sorgfältige Recherche ist für eine ausgewogene Berichterstattung unabdingbar: Wird Chefredakteur Oliver Schröms Journalistenpflicht zum Verhängnis?, Cum-Ex: Der Staat schlägt gegen die Presse zurück Bild: sat

Vor wenigen Wochen sorgte die europaweite investigative Recherche über massiven Steuerbetrug durch sogenannte Cum-Ex-Geschäfte unter Federführung des Recherchenetzwerks Correctiv für Aufsehen. Durch die Auswertung von über 180.000 Seiten Material, Gesprächen mit Insider*innen und verdeckter Recherche im Londoner Finanzsektor habe man „den größten Steuerraub der Geschichte aufdecken“ können, heißt es. Die Staatskassen elf europäischer Länder wurden laut Recherchen um 55,2 Milliarden Euro betrogen. Nun hat sich die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Ermittelt wird jedoch nicht gegen die Bande von Anwält*innen und Bänker*innen, deren Geschäfte durch Correctiv aufgedeckt wurden, sondern gegen den Chefredakteur Oliver Schröm. Diesem wird Anstiftung zum Verrat von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen vorgeworfen. Ein Vergehen, das mit bis zu drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden kann. Für Correctiv ist dieses Vorgehen ein Unding: „Wir fordern, die Strafverfolgung auf die Steuerräuber zu konzentrieren und die Ermittlungen gegen unseren Chefredakteur einzustellen. Dies ist ein Angriff auf unsere Pressefreiheit. Wir wehren uns dagegen“, heißt es in der aktuellen Stellungnahme des Netzwerks. Als Reaktion auf die derzeitigen Ermittlungen veröffentlichte Correctiv einen offenen  Brief an Bundesjustizministerin Katarina Barley und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (beide SPD). „Wir erwarten, dass die Strafverfolgungsbehörden die Täter verfolgen und das Geld zurückholen“, formulieren die Journalist*innen in ihrem Schreiben. Dass nun der Paragraph 17 des Gesetzes gegen Unlauteren Wettbewerb gegen einen Journalisten angewandt wird, sei so noch nie vorgekommen. Besonders pikant: Die Hamburger Staatsanwaltschaft nahm ihre Ermittlungen auf, da Schweizer Behörden eine Anzeige der Schweizer Bank Sarasin vorlag. Sarasin ist eine der Banken, die tief in die Cum-Ex-Geschäfte verwickelt sind. Schröm wird nun vorgeworfen, einen Mitarbeiter der Bank zum Bruch des strengen Schweizer Bankgeheimnisses angestiftet zu haben. „Dieser Vorwurf ist absurd: Oliver Schröm hat seine Arbeit als Journalist gemacht und einen erheblichen Missstand in unserer Gesellschaft aufgedeckt“, kritisiert Correctiv die derzeitigen Ermittlungen. Es sei erschreckend, dass sich die deutschen Behörden von Täter*innen instrumentalisieren lassen. Der Versuch, eine ganze Redaktion mundtot zu machen, sei Missbrauch des Strafrechts, heißt es im offenen Brief.


Täter*innenschutz

Im vorliegenden Fall sieht die Redaktion einen Vorboten des derzeit im Bundestag beratenen Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG). „Der aktuelle Entwurf gefährdet den Informantenschutz und somit die Grundlage investigativer journalistischer Arbeit. Dieser Angriff auf die Pressefreiheit muss abgewendet werden“, mahnt Correctiv. Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Sarasin-Bank gegen Schröm aktiv wird. In seiner damaligen Position als stern-Investigativreporter recherchierte er 2014 ebenfalls zu Cum-Ex-Geschäften. „Die Bank wusste, was wir alles belegen können“, gibt Schröm im Gespräch mit der „stern“ zu bedenken. Heute werde er zur Vorsicht wie damals wieder „einen großen Bogen“ um die Schweiz machen, um nicht verhaftet zu werden. Schröm hat bereits Erfahrungen mit Ermittlungen wegen seiner Arbeit. Als er auf Grundlage eines Regierungsberichtes über die Mitwissenschaft der Bundesregierung im Fall des in Guantanamo inhaftierten Murat Kurnaz recherchierte. Damals sei ihm nach Akteneinsicht klar geworden, dass die Vorwürfe aus der Luft gegriffen gewesen seien. Die Staatsanwaltschaft habe damals an die Quellen und Informant*innen kommen wollen, ein verbreitetes Vorgehen.
 

Perfide Unternehmungen

Bereits 2014 ließ die Zürcher Staatsanwaltschaft zwei Mitarbeiter der Sarasin-Bank verhaften, die im Verdacht standen, Schöm als Informanten gedient zu haben. Ein Vorgehen, dass auch jetzt scharfe Kritik hervorruft: „Wir von Correctiv stehen als gemeinnütziges Recherchezentrum für die Aufdeckung von Missständen. Das mag für manche unangenehm sein, ist aber unerlässlich für eine demokratische Gesellschaft”, gibt Correctiv-Geschäftsführer Simon Kretschmer zu bedenken.
„Diese Ermittlung gegen unseren Chefredakteur stellt einen Angriff auf die Pressefreiheit dar. Wir haben mit unseren Recherchen den Steuerzahlern gezeigt, dass sie bestohlen wurden und werden dafür nun vom Staat verfolgt. Das ist absurd”, kritisiert Correctiv-Redakteur David Schraven. Und auch Schröm ist sich im stern-Gespräch sicher: „Ich habe mich vor vier Jahren nicht abschrecken lassen. Und ich lasse mich auch heute nicht von der Hamburger Staatsanwaltschaft abschrecken. Ich mache einfach weiter meinen Job.“

:Justinian L. Mantoan

Journalismus. Im Jahre 2014 gründete sich der Journalist*innenverband und beschreibt sich selbst als „erstes gemeinnütziges Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum“. Sie initiieren Recherchen und stellen diese der Gemeinschaft und anderen Medien zur Verfügung. So entstehen mediale Kooperationen und aufwändige Projekte, die redaktionsübergreifend verwirklicht werden können. Correctiv hat je einen Sitz in Berlin und in Essen. Das gemeinnützige Journalist*innenkollektiv finanziert sich durch Spenden und Stiftungsbeiträge und ist so – nach eigenen Angaben – „unabhängig von Werbeeinnahmen, Verkaufszahlen und Quoten“. Die Spenden werden ab 1.000 Euro auf der Webseite offengelegt.
Das Recherchezentrum verfolgt dabei eine klare Aufgabe: „Unser Ziel ist eine aufgeklärte Gesellschaft. Denn nur gut informierte Bürgerinnen und Bürger können auf demokratischem Weg Probleme lösen und Verbesserungen herbeiführen“, so die Selbstbeschreibung. Dafür recherchiert das Team zu Themen, die eine hohe Relevanz haben und stellt Zusammenhänge verständlich dar. Zusätzlich gibt es noch eine Faktenchek-Redaktion, die unter anderem Facebook-Falschmeldungen ausfindig macht und durch Richtigstellung die Verbreitung der Desinformation einstellt.
Die Wirkung von Correctiv ist seit 2014 in vielen Themenbereichen erkennbar. So haben die Recherchearbeiten und die Zusammenarbeit von medialen Partnern auf Missstände und eine darauffolgende Verbesserung stattgefunden. Beispielsweise sorgte die Arbeit des Teams dafür, dass die sexuellen Belästigungen innerhalb des WDR ernst genommen wurden. Daraufhin gab es Umstrukturierungen und flächendeckende Untersuchungen.

:sat

 

 

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