Hochschulpolitik. Kopien alter :bsz-Ausgaben legt Reinhard Zimmermann auf den Tisch. Der AStA-Vorsitzende von 1968 erinnert sich gerne an seine Zeit zurück, während die heutige Amtsinhaberin Zeynep-Fatma Dikman skeptischer ist. Ein Gespräch über „Springer“-Blockaden, Engagement und unpolitische Studis.
:bsz: Herr Zimmermann, wenn Sie sich an ihre Zeit erinnern: Was waren die relevanten Themen auf dem Campus?
Reinhard Zimmermann: Wir hatten natürlich das Thema der Demokratisierung. Denn eine reine Honoratioren-Universität mit zentraler Leitung wollten wir uns nicht gefallen lassen. Auch ein verschultes Studium stand an. Das wollten wir nicht, wir hatten den Anspruch, in den Wissenschaften so zu lernen, dass wir hinterher selbstständig beurteilen konnten, was andere gedacht haben, statt auswendig zu lernen. Ansonsten haben die Leute nach ihrem politischen Couleur gewählt.
Und wie ‚rot‘ war dieses Couleur?
Zimmermann: Es war eine Mischung aus radikalen und weniger radikalen, die studentische Politik gemacht haben. Wir hatten etwa die „Rote-Punkt-Aktion“ gegen die Fahrpreiserhöhung. An der Uni gab es eine Stelle, an der man Mitfahrer gut aufnehmen konnte. Dort stand aber leider ein Halteverbotsschild. Das hat später einfach wer vom AStA herausgezogen und weggetan. In der :bsz haben wir dann veröffentlicht, dass man dort jetzt halten dürfe und die Stadt ein Einsehen habe. Es waren so 50-60 aktive Leute. Vielleicht ein paar mehr. Das hat nicht die Masse gemacht. Auch wenn bei der Vollversammlung schon mal so 800 bis 900 Leute waren. Ihre Zustimmung zeigten die Studierenden aber letztlich in den SP-Wahlen (Studierendenparlamentswahlen). Insofern kann man schon sagen, dass das, was wir damals gemacht haben, von der Mehrheit getragen wurde. Auch die radikaleren Sachen wie die Springer-Proteste nach dem Anschlag auf Rudi Dutschke.
Zeynep, Bambule gegen die Bogestra und Blockaden vor Springer: Sind das heute auch noch Themenschwerpunkte für den AStA?
Zeynep-Fatma Dikman: In der heutigen Zeit sind es eher Themen wie Digitalisierung. Das heißt, wie kann man die Uni, die Seminare und das Ticket digitalisieren?. Aber klar, wir hatten in diesem Jahr viele Proteste , bei denen wir auch waren. Zwar nicht als AStA selbst, aber als Privatpersonen. Der Hambacher Fort vorangestellt, dann die Demo gegen das Polizeigesetz.
Zimmermann: Als AStA können Sie es sich nicht mehr leisten, dazu aufzurufen, wegen des Mandats und Streits darum, nicht?
Dikman: Eigentlich kann der AStA so was machen, er muss es nur wollen. Unter uns haben wir in diesem Jahr gesagt, dass wir demokratisch abstimmen, ob der AStA dazu aufrufen soll. Beim Hambacher Forst war es so, dass wir auch Rechtswissenschaftler unter uns haben. Und die haben gesagt, juristisch gesehen, ist RWE im Recht. Das ist dann allerdings später durch Münster aufgehoben worden. Als Privatpersonen waren wir trotzdem dort. Wir wollten Skandale vermeiden.
Also besser keine gesamtpolitischen Anliegen vertreten?
Dikman: Man hat ein politisches Mandat und das kann man auslegen, wie man möchte. Man kann sagen, es ist allgemeinpolitisch oder nur auf die Hochschulpolitik bezogen, je nach AStA.
Zimmermann: Damals ging es auch um den Streit, ob das politische Mandat wirklich da war. Denn es gab ja die großen politischen Fragen: den Vietnamkrieg oder die Notstandsgesetze. An manchen Unis wurde hart durchgegriffen, wenn der AStA sich politisch äußerte. Leute wurden dann durch Verwalter ersetzt. Andererseits haben wir im Verband der Studentenschaften (VDS) durchgesetzt, dass Studentenschaften für sich dieses allgemein politische Recht, sich zu äußern, in Anspruch nehmen. Das war Teil des politischen Kampfes, daraus haben wir abgeleitet, dass man auch zu anderen Fragen als AStA, d.h. als politisch denkende Studentenschaft Stellung beziehen darf und muss.
Sie haben die Notstandsgesetze (1966) erwähnt. Mit dem Polizeigesetz soll aktuell ein ähnlich autoritäres Anliegen durchgesetzt werden. Zeynep, lässt sich mit diesem Thema im Dezember Hochschulpolitik machen? Oder alles nur Digitalisierung?
Dikman: Ich kann nur meine persönliche Meinung darstellen: Wir haben zur Demo aufgerufen und von den knapp 43.000 Studierenden an der RUB waren 40 bis 50 Studierende vor Ort. Ich weiß nicht, ob die breite Masse das an der RUB für relevant hält.
An „68“ wird im Jubiläumsjahr oft erinnert. Wie blickst Du als AStA-Vorsitzende darauf zurück? Alles Nostalgie oder kannst Du Dir etwa vorstellen, heute mit ‚Koalitionspartnern‘ wie den JuLis die Auslieferung der BILD-Zeitung zu verhindern?
Dikman: Das ist eine interessante Frage. Mein Papa kommt von den ‚68ern‘ . Er hat mir immer viel davon erzählt. Irgendwie sind wir damit aufgewachsen. Wenn ich mir heutzutage die Studierendenschaft anschaue, dann fände ich es ganz cool, wenn wir solche Aktionen machen würden. Und persönlich: Hätte ich damals gelebt, hätte ich da auch mitgemacht. Mit dem heutigen Gedankengut wäre es schwierig, mit einigen hochschulpolitischen Listen so was zu machen.
Wie sieht denn das Gedankengut von Studierenden heute aus?
Dikman: Viele Studierende sind ja nicht wirklich politisiert. Das sieht man auch anhand der Wahlen von Jugendlichen, viele gehen oft nicht mehr wählen. Nicht nur in Hinblick auf die StuPa-Wahlen, sondern auch auf die Landes- und Bundespolitik.
Herr Zimmermann, Ihr Vorgänger Christoph Zöpel hat neulich auf einer Veranstaltung erklärt, die Studierenden von heute sind brav geworden. Sehen Sie das auch so?
Zimmermann: Die meisten, mit denen ich damals zu tun hatte, waren auch brave Studenten. Sie haben bloß gelernt, Themen zu pushen, die man wirklich wichtig findet. Ein Unterschied ist, dass wir einen anderen Hintergrund hatten. Die meisten hatten noch die finstere Zeit des Nationalsozialismus im Hinterkopf. Im Zusammenhang mit den Schüssen bei der Schah-Demo in Berlin haben sie gelernt, dass in unserem Staat vieles nicht in Ordnung ist – auch Leute, die bis dahin keine große politische Meinung hatten. Dass Gefahren für die Demokratie in diesem Staat lauern, ist vielen da erst bewusst geworden. Wir hatten konservative Elternhäuser und nicht die Freiheiten, die man heute hat. Es war ein Stück Selbstbefreiung, in der Zeit aktiv zu werden. Wir mussten uns gegen Autoritäten durchsetzen. Heute brauchen sich die Jugendlichen in dem Sinne meist nicht mehr selbst befreien.
Dikman: Da würde ich widersprechen. Wir haben aktuell ein Problem mit der Landesregierung: Die Hochschulnovellierung ist angesetzt und da gab es ja viele Proteste unter den Studierenden.
Zimmermann: Das gibt es schon. Das sind die eigenen Interessen, die sich aufs Studium beziehen.
Dikman: Genau. Aber allgemeinpolitisch geschieht sehr, sehr wenig als Studierendenschaft. Im Vergleich zu den „68ern“. Wenn es die eigene Person betrifft, dann wird was gemacht. Dieses Gefühl habe ich persönlich zumindest.
Aktuell gibt es das Konzept des „offenen AStAs“. Das heißt, Referent*innen arbeiten offiziell unabhängig von einer Listenzugehörigkeit. Wäre das zu Ihrer Zeit auch denkbar gewesen?
Zimmermann: Das war damals auch ähnlich. Die Referenten waren aus den verschiedenen Gruppen. Aber bei geplanten Aktionen kamen aus den Gruppen verschiedene Leute, die mit im Aktionskomitee waren. Es ging darum, wer aktiv war. Jeder hatte das Recht, mitzuentscheiden. Wir haben nicht gesagt: Halt, wir sind der AStA, wir müssen bestimmen, sondern dann kamen eben 20 Leute in die Baracke. Dort haben wir diskutiert, entwickelt und gemacht. Ich habe dann meinen Kopf hingehalten, weil ich es meistens auch gut fand. Man freut sich über jeden, der mitmacht. Das waren letztlich die Multiplikatoren.
Dikman: Das wollten wir eigentlich auch mit dem „offenen AStA“ erreichen.
Aber hat nicht geklappt, ne?
Dikman: Es gibt eine selbst ernannte Opposition, die da nicht wirklich mitmacht.
Zimmermann: Natürlich machten die RCDS-Leute bei uns nicht mit. Aber vielleicht haben die bei bestimmten Sachen wie Springer auch mitgemacht. Das kann ich gar nicht mehr sagen. Aber es war eine Zeit, in der Formalia keine Rolle gespielt haben. Diese Vollversammlungen waren ja in der Satzung überhaupt nicht vorgesehen. Aber die Entscheidungen dort haben den AStA natürlich politisch gebunden. Dafür muss man natürlich eine Situation haben, in der die Leute zu hunderten in den Saal kommen und mitentscheiden wollen. Das hat man heute ja so nicht mehr.
Dikman: Digital hat man das. Der AStA hat mal versucht, auf Instagram so eine Art Umfrage zu machen, was sich die Studierenden wünschen. Während der „Greenweek“ haben wir das auch versucht und die Studierenden gefragt, was sie sich wünschen. Was am meisten gesagt wurde: Partys auf dem Campus. Das wünschen sich die Studierenden.
Aber um 1968 waren doch Partys sicher auch ein Thema, oder nicht?
Zimmermann: Partys gab es immer in den Studentenheimen. Ich habe längere Zeit im Tannenhaus gewohnt. Freitagabend sammelten sich alle in der Bar und dann wurde geschwoft. Wir haben hier auch Studentenfeste gemacht. Früher war man gewohnt, Partys mehr im kleinen, privaten Rahmen zu machen. Aber es war nicht so wichtig, weil wir eben auch so viele andere aktive Sachen hatten. Bei den Demos gegen die Notstandsgesetze und so weiter hat natürlich niemand an Tanzfeste gedacht. Aber wo man konnte, hat man natürlich geschwoft. Es gab auch in den Cafeterien manchmal so Schwofabende.
Aber heute will wahrscheinlich niemand „Schwofabende“, oder?
Dikman: Wahrscheinlich. Wir wurden auch gefragt, warum wir nicht noch eine Mensa-Party machen. Aber mit Blick auf den AStA, der das damals gemacht hat, wollen wir das natürlich nicht.
Eine letzte Frage an beide: Warum lohnt sich hochschulpolitisches Engagement?
Dikman: Mit der Erfahrung, die ich jetzt habe, hätte ich das rückblickend vor einem Jahr nicht gemacht. Da bin ich offen und ehrlich: Es ist sehr viel Verantwortung als AStA-Vorsitzende und als Vorstand. Und wenn der gesamte AStA nicht mitzieht und man sich da auf die Leute nicht verlassen kann, ist das ein Problem. Dann muss man ständig alles selber machen. Ich weiß aber nicht, wie es sein wird, wenn ich in 20 bis 30 Jahren auf meine AStA-Zeit zurückblicke. Vielleicht werde ich dann sagen, es war eine positive Erfahrung. Eine Erfahrung für's Leben ist es auch: Allgemein, wie man mit Menschen umgehen sollte, wie man sprechen sollte, wie man sich zu verhalten hat – gegenüber Menschen in höheren Positionen, etwa im Hinblick auf das Rektorat. Ich habe früher gedacht, ich gehe zum Rektor, sage ihm meine Meinung ins Gesicht und dann akzeptiert er das und geht.
Aber das macht er nicht..
Dikman: …das macht er nicht, nein. Er akzeptiert unsere Meinung nicht. Wir hatten diverse Gespräche. Was sie dann gesagt haben – nicht wörtlich, aber meiner Auffassung nach: ja, die Studierenden wollen wieder was. Und dann denkt man sich: Natürlich wollen die Studierenden was, weil sie das Uni-Leben mitgestalten wollen. Wir wollen mehr mitbestimmen und mitreden. Den Leuten würde ich sagen: auf jeden Fall engagieren – wenn nicht hochschul-, dann gesellschaftspolitisch. Es wird heutzutage ja viel gemeckert, aber wenig unternommen. Das ist schade. Heutzutage sitzt man eher zuhause und kritisiert etwas auf Facebook. Dann hat man seinen Soll getan und schaut sich auf Netflix irgendwas an. Oder mittlerweile gibt es auf Facebook diese Hashtags, die man mit auf diese Fotos packen kann. Nach dem Motto: So, jetzt habe ich meine Meinung kundgetan, ich stehe hinter „Hambi“. Aber alles, was danach kommt, das interessiert mich nicht.
Herr Zimmermann, wie blicken Sie zurück?
Zimmermann: Wenn man jung ist und wenig Erfahrung, aber trotzdem viele Ideale hat, dann ist die Mitarbeit in der Studentenschaft ein wunderbarer Weg zu lernen. Man lernt sich selbst kennen, wie man sich verhält mit anderen Leuten, wie man aktiv in Gruppen arbeitet. Man lernt reden und ganz viel für das spätere Leben. Für mich war das ein ordentlicher Schub nach vorne, eine Befreiung von alten Zwängen und Ängsten. Für mich haben diese Jahre viel an Erfahrungen und Druckblick über politische Zusammenhänge gebracht. Ich kann jedem nur empfehlen, sich in dem Bereich, wo er studiert, zu aktivieren. Man kann mitentscheiden und dafür sorgen, dass Dinge umgesetzt werden. Für jeden einzelnen ist das eine unheimlich gute Erfahrung. Das kann ich für mich sagen. Ohne diese AStA-Zeit wäre ich ein ganz anderer Mensch.
:Benjamin Trilling
Info:Box
Reinhard Zimmermann schrieb sich nach je zwei Semestern Jura in Berlin und in Lausanne zum SoSe 1967 an der RUB ein.
Er wurde als Jura-Fachschaftsvertreter 1967 in das Studierendenparlament und von diesem Anfang 1968 für den Sozialdemokratischen Hochschulbund (SHB) zum AStA-Vorsitzenden gewählt.
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