Protest. Der Hambacher Forst wird weiter gerodet, den Versprechen eines Rodungsstopps zum Trotz. Am 19. September war ein Journalist tödlich verunglückt. Am Wochenende protestierten wieder tausende Menschen gegen den Braunkohleabbau.
„Ueber allen Gipfeln / Ist Ruh‘, / In allen Wipfeln / Spürest Du / Kaum einen Hauch; / Die Vögelein schweigen im Walde. / Warte nur! Balde / Ruhest du auch.“ heißt es in Goethes berühmten Werk. In den Wipfeln des Hambacher Waldes ist dieser Tage an Ruhe kaum zu denken. Zu laut die Proteste der Klimaschützer*innen, das Rattern der Kettensägen und die Rufe der Polizeieinheiten. Nur am vergangenen Mittwoch, den 19. September; war es auf einmal ganz still im Wald. Um genau 15:45 Uhr stürzte der Journalist und Student der Kunsthochschule für Medien Köln, Steffen Meyn aus 15 bis 20 Metern Höhe hinab. Er erlag seinen schweren Verletzungen noch bevor der angeforderte Rettungshubschrauber den Wald verlassen konnte. Eigentlich wollten sich die Besetzer*innen nicht auf einer politischen Ebene zu diesem Unglücksfall äußern, doch nachdem Innenminister Herbert Reul und die Polizei Aachen den Todesfall instrumentalisierten und eine freiwillige Räumung des Waldes forderten, sah sich die Pressestelle der Besetzung gezwungen, Stellung zu nehmen, wie es heißt. Zwar hieße es vonseiten der Aachener Polizei, dass es zur Zeit des Unfalls zu keinem Einsatz in der Nähe des Unglücksortes gekommen sei, doch dies müsse man zurückweisen. Entsprechendes Videomaterial, das den Unfall dokumentiert, wurde in zensierter Form zur Verfügung gestellt. Auch Meyn selbst dokumentierte etwa zehn Minuten vor seinem Unfall einen Polizeieinsatz in der Besetzung „Beechtown“. Die „taz“ berichtet gar von einem Zeugen, der ausgesagt habe, dass ein SEK-Beamter unmittelbar vor dem Unfall an Seilen, das zum Baumhaus an der Unfallstelle führte, gewackelt habe. Auf Twitter melden zahlreiche Besetzer*innen, Unterstützer*innen und Journalist*innen, dass die Polizei Kletter- und Sicherungsmaterial beschlagnahmt habe, auch Meyn war zum Zeitpunkt des Sturzes nicht gesichert, in der Vergangenheit habe er jedoch stets Sicherungsmaterial genutzt. Warum der 27-Jährige auf die Bäume geklettert ist, berichtete er noch am 18. September auf Twitter. Dort heißt es: „Nachdem die Presse in den letzten Tagen im #HambacherForst oft in ihrer Arbeit eingeschränkt wurde bin ich nun in 25m Höhe auf Beechtown um die Räumungsarbeiten zu dokumentieren. Hier oben ist kein Absperrband.“
Rückhalt schwindet
Obwohl RWE Eigentümer des Hambacher Forstes ist, und zumindest rein rechtlich dazu befugt ist, den Wald abzuholzen und die darunter befindliche Braunkohle zu fördern und zu verstromen, steht der Konzern derzeit weltweit in der Kritik. Dabei geht es den Kritiker*innen nicht nur um den einen, bereits zu mehr als 95 Prozent gerodeten Wald und die laut BUND 142 geschützten Arten, die sich in den verbliebenen 200 Hektar Wald befinden, sondern auch – und vor allem – um die Verstromung der klimaschädlichen Braunkohle. Laut Wirtschaftswoche zeigt eine aktuelle und exklusive Studie, dass bereits 500 Windräder ausreichen würden, um den gesamten Tagebau rund um den Hambacher Forst ersetzen zu können. Anderslautende Aussagen von RWE wären damit widerlegt. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass vor allem wirtschaftliche Interessen für den Energiekonzern im Vordergrund stehen. Bei Maybritt Illner ließ Rolf Martin Schmitz, Vorstandsvorsitzender von RWE, verlauten, dass ein sofortiges Ende des Hambacher Tagebaus vier bis fünf Millarden Euro Verlust für RWE bedeuten würde. Bereits jetzt sank der Börsenwert des Unternehmens um etwa 500 Millionen Euro, da sich Investor*innen von RWE aufgrund des Vorgehens im Hambacher Wald abwenden.
Auch die Polizei sieht sich vor Problemen, denn mehrere Firmen haben die Benutzung ihrer Hebebühnen und anderen Gerätschaften untersagt. Die Hagener Firma Cramer schrieb in einer Pressemitteilung zur Hambacher-Forst-Räumung: „Von diesem Einsatz hatten wir vor diesen Hinweisen keine Kenntnis, auch hätten wir niemals von uns aus Bühnen vor dem Hintergrund des zu erwartenden Einsatzzwecks in den Hambacher Forst vermietet.“ Der Mieter, eine andere Firma für Arbeitshebebühnen, habe angegeben, dass die Maschinen für Arbeiten im Mobilfunkbereich im Raum Düsseldorf genutzt werden sollten. „Nach dem Bekanntwerden der tatsächlichen Verwendung der Maschine haben wir den Vermieter mit Nachdruck aufgefordert, die Bühne sofort von den Räumarbeiten abzuziehen und umgehend zurück zu bringen. Auch die weitere Verwendung des Fahrzeugs im Gebiet des ‚Hambacher Forst‘ haben wir untersagt“, heißt es vonseiten der Firma Cramer. Auch die Firma Gerken, eine ihrer Arbeitsbühnen war an der Unfallstelle in „Beechtown“ im Einsatz, bezog Stellung zum Einsatz ihrer Geräte: „Da auch wir mit der Vorgehensweise im Hambacher Forst absolut nicht einverstanden waren und sind und wir auch den Einsatz unserer Bühnen dort nicht weiter rechtfertigen können, haben wir heute beschlossen, dass wir unsere Geräte dort stilllegen.Wir machen das, obwohl wir es rein rechtlich nicht dürfen, und setzen uns damit womöglich hohen Schadenersatzforderungen unseres Kunden aus.“ Außerdem betont Gerken, dass nicht die Polizei die Arbeitsbühnen gemietet habe. Laut Informationen der „Aachener Zeitung“ ist die RWE Power AG Auftraggeberin der Großgerätemiete.
Falls auch andere Firmen die Nutzung ihrer Geräte untersagen, steht die Polizei vor einem weiteren Problem, denn eine Räumung der Baumhäußer wäre ohne Weiteres nicht mehr möglich.
Fortsetzung der Räumung?
Laut weiteren Informationen der „Aachener Zeitung“ soll die Räumung am Montagmorgen, den 24. September [nach Redaktionsschluss der :bsz, Anm. d. Verf.] fortgeführt werden. Bereits am Sonntag beteiligten sich wieder bis zu 7.000 Menschen an Protesten gegen die Räumung und Rodung des Waldes. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul sei eine Räumung unumgänglich. Dem WDR-Magazin „Westpol“ sagte Reul, dass der Räumungsstopp nach dem Tod Meyns genutzt worden sei, neue Baumhäuser anzulegen. „Die Räumungen werden weiter gehen. Das hat ja auch mit den Rodungen gar nichts zu tun“, verkündete Reul. Dass diese Aussage nicht der Wahrheit entspricht, beweisen von der Aachener Polizei verhängte Platzverweise, die „bis zum Ende der Rodungsmaßnahmen“ ausgestellt wurden. Reul machte schon in der Vergangenheit kein Geheimnis aus seiner Abscheu gegen die Besetzer*innen, im „Kölner Stadtanzeiger“ warf er ihnen vor: „Sie wollen nicht die Bäume retten, sondern unseren Staat abschaffen.“
Von Deeskalation ist beim ehemaligen Aufsichtsratsmitglied der Rheinenergie AG nichts zu hören. Über allen Wipfeln ist Unruh.
:Justinian L. Mantoan
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