Bild: Die am weitesten verbreitete Darstellung der Ereignisse in Chicago können keinen genaueren Hinweis auf die Umstände der Explosion liefern: eine Darstellung in der „Harper’s Weekly“. , Hinaus zum ArbeiterInnenkampftag Bild: Public Domain

Geschichte. Aller Anfang war der Streik: Zwar ist der 1. Mai  der Kampftag der ArbeiterInnenschaft, doch die konkrete Ausgestaltung dessen wandelte sich innerhalb der Geschichte. Eine Spurensuche.

„Als Tag erinnert der 1. Mai an den 1. Mai 1886, an die Haymarket Riots in den Staaten“, beginnt Jan Kellershohn. Der Doktorand am Institut für Soziale Bewegungen in Bochum hat sich in einem Aufsatz bereits mit dem Thema Streik als Erinnerungsort auseinandergesetzt und kennt den Grund, warum der 1. Mai traditionell im Zeichen der (streikenden) Gewerkschaften steht. An jenem 1. Mai demonstrierten amerikanische 

ArbeiterInnen für die Einführung des Acht-Stunden-Tages bei vollem Lohnausgleich. „Was dann aber schief ging: Es kam – und das ist bis heute nicht ganz geklärt – vor allem in Chicago, das den Schwerpunkt der Streiks bildete, zu Schießereien zwischen Polizei und Arbeitern.“ Die Situation eskalierte, als eine Bombe in der Menschenmenge explodierte. Mehrere Menschen starben. Anarchisten wie der Exildeutsche August Spiess wurden hingerichtet, obwohl sie nicht für die Bombenzündung verantwortlich waren. Prof. Michael Schneider vom Bonner Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie ergänzt: „Die als schweres Unrecht empfundenen Polizeiangriffe und die Urteile zündeten den Funken zu einer weltweiten Solidaritäts- und Protestbewegung, die den Weg zur 1. Mai-Bewegung ebnete.“

Deutungshoheiten?

Zum Gedenk- und Kampftag erklärte die 2. Internationale, ein Verbund aller sozialistischen Gruppen, den 1. Mai im Jahr 1889. Es ging den MarxistInnen auch um die Deutungshoheit der Ereignisse; in der zeitgenössischen Wahrnehmung wurde 1886 „für etwas Gerechtes gestreikt und dann gab es welche, die das kaputt machten“. Mit der Ausrufung des Gedenktages vonseiten der 2. Internationalen verschob sich die Deutung des Tages von einem anarchistischen zu einem sozialistischen Tag für ArbeitnehmerInnen. Bis 1933 bemühten sich SozialistInnen und SozialdemokratInnen vergeblich um die Ausrufung eines nationalen Feiertages. Paradoxerweise machten die NationalsozialistInnen den Tag zum Tag der nationalen Arbeit. „Der 1. Mai 1933 wird von Teilen des Gewerkschaftsbunds noch mehr oder weniger mit der SA begangen“, erklärt Kellershohn. Bereits am nächsten Tag wurden die Gewerkschaften vonseiten des Regimes zerschlagen und gleichgeschaltet. „In den folgenden Jahren, bis zum Beginn des Krieges, nutzten die Nationalsozialisten die Mai-Feier zur Selbstdarstellung des Regimes, das – angeblich – die ‚Arbeiter der Stirn und der Faust‘ zusammengeführt habe“, fasst Schneider zusammen.

Nach Kriegsende behielten BRD und DDR den Feiertag bei. Rekurriert wird im Falle der BRD auf die Funktion eines Streik- und Gedenktages, wie die SozialdemokratInnen ihn zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch begangen haben. Damit werde aber „diese ganze anarchistische, revolutionäre Tradition“ ausgeklammert. In der DDR wiederum, so Schneider, erstarrten die Maifeiern rasch „in einem festen Schema organisierter Kundgebungen“. 

Bedeutung heute?

Seitdem erfüllt der Feiertag vor allem einen ritualisierten Zweck im Rahmen des verrechtlichten Tarif- und Arbeitssystems der BRD. Der 1. Mai diene laut Kellershohn vor allem der Mitgliederintegration. So versuche man, mit Mitgliedermobilisation eher Konflikte zu inszenieren, „aber tatsächlich zu kooperieren.“ Gerade in Anbetracht schwindender Mitgliedszahlen diene der 1. Mai nicht nur als Kompensationstag, sondern auch als Anlass zur Selbstreflexion. Es sei „ein zwiespältiges Spiel. Einerseits haben sie einen Tag, aber andererseits müssen sie auch noch zeigen, dass sie etwas leisten; dass sie eben Menschen mobilisieren können.“ Abgesehen davon halten aber „die Gewerkschaften als gesellschaftspolitische Akteure […] auch sozialpolitische Themen im öffentlichen Bewusstsein präsent“, schließt Prof. Schneider. Die politische Funktion tritt jedoch mittlerweile zurück; der Tag „wurde zu einem Feiertag, der ebenso wie die kirchlichen Feiertage vor allem als Freizeitzugewinn geschätzt wurde.“ Diese Entwicklung hänge vor allem mit der schwindenden Integrationskraft von Großorganisationen zusammen.       

   :Andrea Lorenz

 

Heraus zum 1. Mai

Arbeitskampf. Wenn im Ruhrgebiet der 1. Mai bevorsteht, beginnt für die lokalen Gewerkschaften die Arbeit zum Tag der Arbeit. RednerInnen müssen gesucht und Programme erstellt werden. Doch neben all diesen Vorbereitungen bleibt eins besonders wichtig: der Inhalt. „Wir werden natürlich auf unsere Erfolge aufmerksam machen, die in zwei großen Tarifverhandlungen erreicht wurden“, betont ver.di -Gewerkschaftssekretärin Bettina Gantenberg, „aber auch das, was noch vor uns liegt.“ Gemeint sind weitere Ziele und Herausforderungen der gewerkschaftlichen Arbeit in den Betrieben und der Politik. 

Dass gewerkschaftliche Arbeit mehr ist als Streik und 1. Mai, wird deutlich, wenn man die Arbeit der Gewerkschaftsjugend beobachtet. Alle DGB-Mitgliedsgewerkschaften verfügen über eigene Jugendgruppen, in denen junge Mitglieder organisiert sind und die Geschicke der Gewerkschaften mit lenken. Auch an der Ruhr-Universität sind die jungen GewerkschafterInnen aktiv, mehrere Hochschulgruppen, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und die DGB-Hochschulgruppe. Neben der inhaltlichen Arbeit der einzelnen Gruppen berät das Hochschulinformationsbüro (HIB) der GEW außerdem Studierende mit dem Berufsziel Lehramt.
 
Auch beim 1. Mai sind die Jugendgruppen alljährlich vertreten, in Bochum bilden sie traditionsgemäß den lautesten Teil des Demonstrationszuges vom Bergbaumuseum zum Rathaus. Das diesjährige Motto 

der Gewerkschaftsjugend ist „Diese jungen Leute“. Aufmerksam machen will man – nicht nur am 1. Mai – auf die Notwendigkeit des solidarischen Miteinander, nicht nur in Beruf und Ausbildung, sondern auch an der Universität. Auch das von gewerkschaftlicher Seite lange geforderte Azubi-Ticket zu gleichen Konditionen wie das NRW-weite Semesterticket steht momentan im Fokus der Arbeit.
Auf die Frage, warum sich junge Leute gewerkschaftlich engagieren und nicht etwa bei „Stühle raus“ im Bermuda3Eck sitzen sollten, weiß Jugendbildungsreferent Philipp Siewert eine eindeutige Antwort: „Wenn wir alleine nichts machen, wird es nicht besser! Gewerkschaften sind notwendig, nicht nur im Betrieb, sondern auch an der Uni.“ Dass der Spaß bei der DGB-Jugend nicht zu kurz käme, könne Siewert ebenfalls versprechen. Doch ebenso wichtig seien auch die jungen Stimmen innerhalb der Gewerkschaften. Diese würde man auch in Zukunft hören.         
    :juma  

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