Recht ist starr und jeglicher Einflussnahme entzogen – soweit das Vorurteil. Dass das nicht stimmt, zeigt die größte deutsche Fachtagung der JuristInnen. Um mitzuwirken und dem Gesetzgeber Anstöße zu geben, kommen sie regelmäßig zusammen und diskutieren erforderliche Reformen. Am Dienstag, den 13. September, eröffnete djt-Präsident Thomas Meyen die Tagung, die nach 50 Jahren nach Essen zurückkehrte.
Während in den Abteilungen für die Erörterung komplexer Rechtsfragen besonderes Fachwissen erforderlich ist, bot der Kongress auch eine Reihe von Rahmenveranstaltungen mit allgemeineren Themen. Als Reaktion auf aktuelle politische Entwicklungen fand am Donnerstagabend in der Essener Grugahalle eine Sonderveranstaltung statt. Unter der Überschrift „Brexit – Herausforderungen für Europa“, diskutierten ExpertInnen die wirtschaftlichen Folgen der britischen Entscheidung.
Mit der Frage nach den Ursachen eröffnete Moderator Reinhard Müller von der „FAZ“. Werner Hoyer, Präsident der europäischen Investitionsbank, sprach von einem „Vertrauensloch“ der BürgerInnen hinsichtlich der Europäischen Union, an dem auch die deutsche Politik eine Verantwortung trage. Staatsrechtler Ingolf Pernice von der Humbold-Universität Berlin sah den eigentlichen Motor der Brexit-Bewegung in innenpolitischen Problemen. Von Nigel Farage und Boris Johnson hätte er sich „mehr Ehrlichkeit“ gewünscht.
„Game Over!“
Eine ganz klare Position zeigte Sylvie Goulard, französische Europaabgeordnete, als nach Möglichkeiten der weiteren Entwicklung gefragt wurde. Sie sei zwar über die Entscheidung traurig gewesen, halte eine Abkehr davon aber für ausgeschlossen:„Die britischen Wähler sind erwachsen und haben entschieden. Game Over!“ Eine Gefahr sah Werner Hoyer in den mangelnden Bestrebungen Großbritanniens, den Austritt zu erklären und damit den Mechanismus des Artikel 50 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) in Gang zu setzen. Die damit einhergehende Unsicherheit für den europäischen Kapitalmarkt nannte er „unerträglich“. Am Ende waren sich die PodiumsteilnehmerInnen einig, dass die Entscheidung zu bedauern sei und die „EU als Friedenskonzept“ unbedingt aufrechterhalten werden müsse.
Innenminister diskutiert Flüchtlingskrise
Dass das Flüchtlingsthema die Deutschen noch lange und intensiv beschäftigen würde, ahnten die OrganisatorInnen bereits vor zwei Jahren, als sie eine Podiumsdiskussion unter dem Titel „Flüchtlingskrise in Europa – eine Krise des Rechts?“ in das Tagungsprogramm aufnahmen. Für diese konnten schließlich namhafte und debattierbereite GästInnen gewonnen werden. Vor allem Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Verfassungsrichter Ulrich Maidowski begaben sich in eine lebhafte Kontroverse. Sie diskutierten die Möglichkeiten der Politik und der Rechtsprechung
zwischen Obergrenzen, Integrationsproblem und Transitzonen.
Damit endete der 71. Deutsche Juristentag. Rund 2.200 TeilnehmerInnen und 80 akkreditierte JournalistInnen waren nach Essen gekommen. Die nächste Tagung des Vereins findet 2018 in Leipzig statt.
INFOBOX
Der Deutsche Juristentag (djt) ist ein eingetragener und als gemeinnützig anerkannter Verein mit 7.000 Mitgliedern aus allen juristischen Berufsgruppen. Er tagt seit 1860 alle zwei Jahre. Der rechtspolitische Kongress dient dem Meinungsaustausch und soll darlegen, wo die Rechtsordnung reformbedürftig erscheint.
Im Vorfeld erarbeiten ehrenamtliche GutachterInnen und ReferentInnen Thesen, die dann in den verschiedenen Fachabteilungen vorgestellt werden. Bei der öffentlichen Diskussion können aber alle TeilnehmerInnen ihre Expertise einbringen – ob PraktikantInnen oder Studierende.Was den djt von anderen Tagungen unterscheidet: Im Anschluss an die Diskussionen stimmen die Mitglieder am Ende jedes Juristentages über Beschlüsse ab. Diese sollen dem Gesetzgeber als Vorschlag zur Fortentwicklung des Rechts dienen.
:Katrin Skaznik
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