Es war gar nicht das Mittelalter, das so grausam und finster war und an jeder Ecke einen Galgen sah. In seiner „Geschichte des Tötens“ zeigt der Bielefelder Historiker Peter Schuster, dass die Frühe Neuzeit, vor allem das 16. Jahrhundert, blutige Blütezeit der Todesstrafe war. Für historisch Interessierte ist das vielleicht eine Binsenweisheit. Doch die spannende und kontroverse Kernthese des Buches ist: Die Kirche hat entscheidenden Einfluss auf Todesurteile und deren Vollstreckung gehabt.
Den Randgruppen der spätmittelalterlichen und vormodernen Gesellschaft widmet sich Schuster schon seit seiner Dissertation. „Verbrecher, Opfer, Heilige“ sind laut Titel seines neuesten Buches diesmal dran. Die Verbrecher zeigen, dass es um Justiz geht. Mit den Opfern deutet Schuster die vielfach ungerechten Prozesse an. Unter Folter erzwungene Geständnisse waren damals keine Seltenheit. Und die Heiligen demonstrieren, wie extrem religiös eine Hinrichtung sein kann. Der Untertitel „Eine Geschichte des Tötens“ ist allerdings irreführend, denn es geht allein um die Todesstrafe, fast nur um die Zeit zwischen 1400 und 1700 und vor allem um Deutschland.
Die Kirche hat allem Anschein nach bis ins Mittelalter die Todesstrafe abgelehnt. Hingerichtete wurden entweder als Märtyrer heiliggesprochen, von anderen Heiligen vor dem Strick gerettet oder von den Toten wiedererweckt.
Mit den eigenen Innereien verwemst, weil er mit der falschen Konfession sprach
Ab dem 15. Jahrhundert aber wuchs die Bedeutung der Seelsorge für die DelinquentInnen. Schließlich wollte man ihnen nur Gutes: Durch Beichte und körperliche Buße konnte ihre Seele schließlich gen Himmel fahren statt in der Hölle zu schmoren. Dadurch entdeckten die Geistlichen aber auch neue Möglichkeiten, Einfluss auf das Rechtswesen zu nehmen. Hinrichtungen wurden zum „religiösen Ritual“. Die Reformation und eine restriktivere Gesellschaft trugen dazu bei, dass sich geistliche und weltliche Rechtsprechung verzahnten.
So beginnt dieses Buch, das als Plädoyer gegen die Todesstrafe gedacht war und sich auch stark antiklerikal lesen lässt, mit einem besonders dramatischen Beispiel: 1604 wurde in Braunschweig ein gewisser Henning Brabant hingerichtet, weil er in einem politischen Streit ein Rechtsgutachten von der calvinistischen Uni Marburg in Auftrag gegeben hatte. Dabei war Braunschweig doch lutherisch geprägt! Nach einigen Martern wurde ihm sein eigenes Herz um die Ohren geschlagen, bevor man seinen Körper in vier Teile trennte.
Wahrscheinlich hat Brabant nicht gewusst, was wenige Jahre zuvor in Dresden in ein neues Richtschwert graviert worden ist: „Cave Calviniane“ – Hüte dich, Calvinist!
:Marek Firlej
Infobox: Todesstrafe heute
2015 hat die Zahl der vollstreckten Hinrichtungen einen neuen Höchstwert erreicht: Mindestens 1.634 Menschen seien laut Amnesty International (AI) im vergangenen Jahr staatlich getötet worden. Das sei ein Anstieg von über 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Exekutionen in China sind dabei nicht eingerechnet, da keine Zahlen vorliegen. „Amnesty befürchtet, dass im vergangenen Jahr erneut Tausende Menschen in China hingerichtet worden sind“, so AI-Menschenrechtsexperte Oliver Hendrich. 90 Prozent der registrierten Vollstreckungen entfallen dabei allein auf Iran (mehr als 977), Pakistan (326) und Saudi-Arabien (mindestens 158). In den USA fanden im vergangenen Jahr 28 Menschen den staatlich verordneten Tod.
Auf der anderen Seite haben vier Staaten die Todesstrafe abgeschafft: Madagaskar, Fidschi, Suriname und die Republik Kongo. Damit halten immer noch 58 Länder daran fest.
Peter Schuster: „Verbrecher, Opfer, Heilige. Eine Geschichte des Tötens“
Klett-Cotta, 2015
Gebunden, 416 Seiten, 26,95 EUR
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