Einst begeisterte es die Ehefrau des Entdeckers im Selbstversuch: Nach einer Pille steigerte sich ihre Leistung auf dem Tennisplatz merklich. Mittlerweile ist Ritalin das Lieblingsmedikament vieler Eltern von Kindern mit ADHS. Neuerdings ist es unter AkademikerInnen als die „smarte Droge“ schlechthin bekannt – eher unklug, wie bisherige Forschungsergebnisse zeigen.
Menschen mit Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) sind impulsiver, unkonzentrierter, emotional instabiler und insgesamt aktiver als ihre AltersgenossInnen. Im Gehirn spiegelt sich dies in einer zu geringen Dopaminkonzentration wieder: Zirkuliert zu wenig von diesem Botenstoff, können Impulse schlechter unterdrückt und die Aufmerksamkeit nicht fokussiert werden.
Wach statt ruhig gestellt
In solchen Fällen hilft Methylphenidat. Das besser als Ritalin bekannte Betäubungsmittel dämpft ADHS-Symptome und ermöglicht vor allem Kindern eine bessere Integration im familiären, schulischen und sozialen Kontext. Das Medikament ist jedoch extrem gesundheitsschädlich, weswegen es ohne Diagnose nicht verordnet werden darf und eine streng einzuhaltende Höchstdosis festgeschrieben ist.
„Mein kleiner Bruder leidet unter ADHS, daher ist es für mich kein Problem, Ritalin in der Prüfungsphase zu bekommen. Ich spare Unmengen an Zeit, ich schlafe und esse nicht. Mein Körper fühlt sich stark; erst beim Runterkommen merke ich immer wieder, was ich ihm antue – tagelang schlafe ich danach durch.“
Rafael, 26, Jurastudent, konsumiert gelegentlich Ritalin
Bei Menschen ohne ADHS kehrt sich der beruhigende Effekt um: Rund vier Stunden lang wirkt eine Dosis anregend und unterdrückt Hemmungen, Müdigkeit sowie Appetit. Damit gleicht es dem Kokain, was wenig verwundert – stammen doch beide aus derselben Stoffklasse, nämlich der der Amphetamine.
Die „smarte Droge“ für den Lernrausch
Laut Studien konsumieren bis zu 16 Prozent der Medizinstudierenden und 20 Prozent der ForscherInnen illegal Ritalin, um ihre Leistung zu steigern. Dass dies tatsächlich funktioniert, konnte wissenschaftlich nicht belegt werden. Zwar erhöht Ritalin – vor allem bei bereits Müden – die Wachheit und Aufmerksamkeit; es wirkt jedoch nicht auf das Denkvermögen.
„Als Geigenspielerin muss ich am besten 200 Prozent geben, das habe ich nach einer Weile nicht mehr gepackt. Ritalin hat mich aufgeweckt, mir Kraft gegeben, aber mich auch mindestens die doppelte gekostet.“
Liliane, 23, Musikerin, seit drei Monaten clean
Gleichzeitig beherbergt der Beipackzettel jedoch abschreckende Nebenwirkungen: Schlafstörungen, depressive Störungen, Wahnvorstellungen und erhöhte Suizidalität.
Prinzipiell funktioniert Ritalin als „Roboter-Droge“, weil es Erschöpfung, Schlafbedürfnis und Schmerzen unterdrückt – allesamt wichtige Warnsignale eines ermüdeten Körpers. Ignorieren wir diese über einen langen Zeitraum, zahlt es uns der Organismus mit ernsteren Krankheitszeichen heim. Außerdem lauert bei allen Psychopharmaka die psychische Abhängigkeit: Nur noch „auf Ritalin“ richtig lernen oder arbeiten zu können, führt langfristig in die schwer zu bewältigende Betäubungsmittelsucht.
:Melinda Baranyai & :Katharina Cygan
Steckbrief: Ritalin
Erstmals hergestellt: 1944 in der Schweiz
Wirkstoff: Methylphenidat
Wirkung: stimulierend, fokussierend
Zu sehen in: „Ohne Limit“ (ähnliche Droge)
In unserer Drogenreihe stellen wir Euch die Wirkungsweise verschiedener Substanzen vor – Erfahrungsberichte treffen auf Wissenschaft.
Lest hier auch den anderen bisher erschienenen Artikel der Reihe:
„Schmetterling trifft Handgranate“
„Die Droge der Reichen und Schönen“
„Vom Gift nur das Allerfeinste“
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