Wären die Internationalen Spieltage selbst ein Spiel, käme die diesjährige Edition – bereits Nummer 33 – in einer noch größeren Box daher als letztes Jahr, denn sie braucht ja Platz für ein gewachsenes Spielbrett, mehr Figuren, Würfel, Kärtchen und sonstiges Zubehör, damit auch die vielen zusätzlichen MitspielerInnen am Spaß teilhaben können. Alles natürlich liebevoll gestaltet, hochwertig produziert, aber eben auch mit entsprechendem Preisschildchen versehen. Das gilt im Großen und Ganzen auch für die über tausend Spieleneuheiten, die bis Sonntag in den Essener Messehallen vorgestellt werden. Die 910 AusstellerInnen aus 41 Nationen – mehr als je zuvor – und nicht zuletzt die erwarteten 160.000 Spielebegeisterten, die auf den Spieltagen zusammenkommen, machen diese zu einem Event der Superlative.
„Die SPIEL ist das größte Branchen-Get-Together und ein einzigartiges Spiele-Happening, das wir gemeinsam feiern“, sagt Dominique Metzler vom Friedhelm Merz Verlag, der die Spieltage organisiert, auf der gestrigen Pressekonferenz. „Spielen ist in, und das in jeder Altersgruppe“, so Metzler. Auch bei den Kindern lägen Brett- und Kartenspiele an erster Stelle bei den Freizeitaktivitäten. Zudem verbinde das Hobby Menschen unterschiedlicher Altersgruppen und Nationen.
Krisen nur auf dem Spielbrett
Die Spielebranche strotzt nur so vor Selbstbewusstsein. Das klassische Autorenspiel, aufgrund seiner deutschen Wurzeln international häufig als „German Game“ kategorisiert, sei längst ein „Euro Game“, erklärt Metzler. Selbst das hinke schon der Gegenwart hinterher, ergänzt sie: „Die Welt spielt, und sie spielt in Essen.“
58 Prozent der AusstellerInnen kämen aus dem Ausland, viele davon aus der unmittelbaren Nachbarschaft, gerade aus den Niederlanden, Frankreich und Polen.
Hermann Hutter, Vorsitzender des Spieleverlage e. V., sieht seine Branche im Aufwind, auch qualitativ. „Die Spielmaterialien werden immer besser“, sagt er. „Wir sind gespannt, was der 3D-Druck noch mit sich bringt in den nächsten Jahren.“ Schon jetzt könnten kleine Verlage mit den technischen Möglichkeiten auch kleinere Auflagen herausbringen.
Auch Schwarmfinanzierung spielt dabei offenbar eine immer wichtigere Rolle. Der Doppeldenk-Verlag zum Beispiel hat seinen Erstling „Euro Crisis“ auf diese Weise realisiert. In dem Spiel schlüpfen SpielerInnen in die Rolle einer Bank, mit dem Ziel, in vier Krisenländern Staatsvermögen zu privatisieren. Dazu ist jedes Mittel recht: Die Banker können auf den Bankrott eines Landes wetten, mit der Brüssel-Karte die Regierung austauschen oder in Moskau Waffen kaufen, um Aufstände niederzuschlagen, wenn das Volk gegen die Reformpolitik aufbegehrt.
„Man hätte es so zynisch nicht bei einem Verlag unterbringen können“, ist sich Simon Eich, einer der Entwickler, sicher, auch wenn er manchen Verlagen damit vielleicht Unrecht tut, sagt er: „Das hätte man politisch entschärfen müssen, aber wir wollten da keine Abstriche machen.“
Auch der Pole Tom Stasiak gehört zu denen, die ihre Spielidee per Crowdfunding umgesetzt haben. Es sie eine gute Methode zur Finanzierung und um sich einen Überblick über die Nachfrage nach einem neuen Spiel zu verschaffen. Durch die Unterstützung der Crowd konnte Stasiak von seinem kooperativen Spiel „Assault on Doomrock“, das in einem humoresken Fantasysetting angesiedelt ist, in diesem Jahr eine zweite Auflage und die Erweiterung „Doompocalypse“ produzieren. Die dabei gespielten HeldInnen werden durch zwei Karten – Charakterklasse und Eigenschaften – zufällig generiert, was viele Kombinationsmöglichkeiten ergibt. Gemeinsam müssen sie dann verschiedene Abenteuer bestehen.
Damit fügt sich das Spiel in eine ganze Reihe anderer, die versuchen, das gewöhnlich mit vielen Regeln überfrachtete Rollenspiel-Genre auf ein schnell zu spielendes Brett- oder Kartenspiel herunterzubrechen, wie es „Legenden von Andor“ vor einigen Jahren vorgemacht hat.
Zwischen Tie-Ins und TIE-Fightern
Rollenspiele wie „Pathfinder“ und „Iron Kingdoms“ sowie das Sammelkartenspiel „Magic – The Gathering“ versuchen auf der SPIEL mit eigenen Brettspiel-Adaptionen ihrer Spielwelten in dieses Marktsegment vorzustoßen. Auch der deutsche RPG-Marktführer „Das Schwarze Auge“ (DSA) versucht dies mit gleich zwei Titeln, doch liegt der Fokus auf der SPIEL besonders auf der langerwarteten fünften Regeledition des klassischen Pen&Paper-RPGs. Bei der Entwicklung ging der Verlag Ulisses Spiele stark auf Wünsche und Kritik der Rollenspielgemeinde ein und gab der Beta-Version des Regelwerks nach einer Spieltest- und Feedbackphase noch einmal den nötigen Feinschliff. Ob es wirklich „Schneller! Schlanker! Besser!“ ist, wie das dünne Schnellstartheft verkündet, muss sich erst noch zeigen, denn das fertige Grundregelwerk ist über 400 Seiten stark. Wie ist das nun mit der Einsteigerfreundlichkeit?
„Es geht so“, sagt Thomas Echelmeyer von Ulisses. „Mit den Schnellstarterregeln kann man einfach so loslegen. Dann aufs Grundregelwerk umzusteigen, ist schon ein relativ großer Schritt, der Arbeit für Neulinge erfordert.“
Einen sanfteren Einstieg ins Rollenspiel-Hobby und speziell Das Schwarze Auge bieten die beiden Tie-Ins (bei Filmen und Serien würde man wohl Spin-Off sagen) , die sich des detailliert beschriebenen Hintergrunds der DSA-Spielwelt Aventurien bedienen.
„Wenn man so ein Universum hat wie Aventurien, das seit 30 Jahren besteht, warum sollte man nicht für weitere Spiele nutzen“, so Echelmeyer. Im Kartenspiel „Aventuria“ schlüpfen die SpielerInnen wie im normalen DSA ebenfalls in die Rolle von HeldInnen, doch die Abenteuer erfordern weniger Zeit als übliche Rollenspielrunden. Dass die Kartendecks dabei alte Abenteuer wie „Silvanas Befreiung“ oder „Das Wirtshaus zum Schwarzen Keiler“ wiederverwerten, soll zudem bei DSA-VeteranInnen nostalgische Gefühle an frühere Editionen wecken.
„Orkensturm“ greift ebenfalls eine alte DSA-Abenteuer-Kampagne wieder auf – ein Krieg Orks gegen Menschen bei gleichzeitigem Thronfolgestreit – und überträgt sie in die Mechanismen eines ursprünglich italienischen Brettspiels, erklärt Echelmeyer.
Andersherum versuchen Verlage auch, Spiele an Film- und Serien-Franchises anzudocken. So herrscht etwa an Spielen, die im „StarWars“-Universum angesiedelt sind, nicht gerade Mangel. Das „X-Wing“-Brettspiel etwa simuliert Raumschlachten und besticht dabei mit detailreichen, aber auch entsprechend teuren Modellen von X-Wings, TIE-Fightern und anderen Raumschiffen, wohingegen „StarWars“-Editionen von dem Domino-ähnlichen „Qwirkle“ oder dem Strategie-Klassiker „Carcassonne“ – zumindest auf den ersten Blick – reichlich aufgesetzt wirken.
Infobox Comic Action
Zusammen mit den Spieltagen findet auch wieder die Comic-Messe „Comic Action“ statt. SammlierInnen können dort versuchen eine der limitierten und/oder exklusiv für die Messe herausgegebenen Comic-Editionen aus den Marvel- und DC-Universen zu erstehen – viele mit verschiedenen Covervarianten. Darunter sind etwa Ausgaben der „Avengers“ und „X-Men“ beziehungsweise von „Batman“ und „Superman“ und „Green Arrow“. An allen vier Messetagen geben zudem die folgenden Comic-ZeichnerInnen Signierstunden: Chad Hardin, Scott Koblish, Francis Manapul, , Pop Mhan, Philippe Luguy, Apriyadi Kushiantoro, Gwendal Lemercier, Jérôme Lereculey.
Würfel als Setzstein
Ein neuer Strategie-Klassiker könnte vielleicht der Gewinner in der Hauptkategorie des Deutschen Spiele Preises werden. „Auf den Spuren von Marco Polo“ nutzt die Reise des Namensgebers von Venedig nach China als historischen Aufhänger für ein ausgeklügeltes so genanntes Worker-Placement-Spiel. Hier kommt es darauf an, mit der geschickten Platzierung der Setzfigur Ressourcen wie etwa Handelsgüter zu generieren, um Aufgaben auf der Reise nach China zu erledigen. Da die Setzfiguren in diesem Fall Würfel sind, kommt ein Zufallselement in einem ansonsten vor allem strategisch angelegten Spiel hinzu, doch auch der Zufall lässt sich durch die vielen Setzmöglichkeiten geschickt nutzen. „Es ist nicht so abhängig vom Würfelwurf wie bei anderen Spielen“, erklärt Anke Brunner für den Spieleverlag Hans im Glück.
12 Stunden, 15 Kilo, 18 Kulturen
Ein interessantes Strategiespiel, das in seinen Dimensionen jedoch etwas aus dem Rahmen fällt, ist „Mega Civilization“ von 999 Games. Die über acht Jahre entwickelte Riesenversion von „Civilization“ bringt 10 Kilo auf die Waage und kostet 180 Euro; das ist der Messepreis. Dafür bekommt man ein Spielbrett in Tischgröße, auf dem fünf bis 18 SpielerInnen gleichzeitig antike Kulturen von der Stein- bis in die Eisenzeit zu bringen, und das nicht nur in Europa und Nordafrika, sondern auch in Asien.
„Die Indus-Zivilisation war zum Beispiel nicht im Original-Civilization, aber es war eine der wichtigsten Kulturen der Geschichte“, sagt Niederländer Flo de Haan und betont die viele Recherche, die in das Spiel floss, um historisch möglichst genau zu sein. Die Spieldauer beträgt 12 Stunden und selbst das reicht nur, um in einer Partie gerade mal die Hälfte der kulturellen Fortschritte zu entwickeln.
Doch selbst die Größe von „Mega Civilization“ verblasst gegen die „Siedler von Catan“. Am Samstag und Sonntag will nämlich Catan-Erfinder Klaus Teuber zum 20-jährigen Jubiläum des Spieleklassikers einen Weltrekord versuchen, eine Partie mit über tausend MitspielerInnen. Dann wird die Spiel letztlich eben doch zu einem ganz großen Spielbrett.
:Johannes Opfermann
Einige genannte sowie weitere Spiele werden noch im Laufe der Messe ausführlicher behandelt.
Infobox SPIEL ‘15
Der Status als weltgrößte Besuchermesse für Brett- und Kartenspiele lässt sich auch an Zahlen festmachen. Bei der 33. Ausgabe der Internationalen Spieltage in Essen präsentieren 910 AusstellerInnen aus 41 Ländern über tausend Neuheiten. Die Ausstellungsfläche wurde noch einmal erweitert auf 63.000 Quadratmeter. Es wird mit über 160.000 BesucherInnen an den vier Messetagen gerechnet; so viele kamen vergangenes Jahr.
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