Bild: Nur essen, was vermeintlich gesund ist: OrthorektikerInnen zwischen Tabus und Zwängen. , Orthorexia Nervosa – nur ein Trend oder bald eine neue psychische Diagnose? Foto: mb / pixabay.com

Bloß keine Weizenprodukte, Obst und Gemüse nur mit Biosiegel und Zucker ist ohnehin tabu – ein möglichst gesunder Lebensstil ist gerade in den vergangenen Jahren dank Nahrungsmittelüberfluss zum Trend geworden. Doch ab wann gilt extrem selektives Ernährungsverhalten als pathologisch?

Der Begriff der „Orthorexia Nervosa“ ist genauso neu wie unter ForscherInnen umstritten. In Anlehnung an das bekanntere Phänomen der „Anorexia Nervosa“ (Magersucht) bezeichnet er den Zwang, sich möglichst gesund zu ernähren. Inwiefern es sich allerdings um eine tatsächliche eigenständige psychische Erkrankung handelt, ist noch unklar.

Wählerisch ist nicht gleich pathologisch

Diplom-Psychologin Friederike Barthels forscht an der Uni Düsseldorf genau zu diesem Thema. „Orthorektisches Ernährungsverhalten ist sehr vielfältig“, erklärt sie im Gespräch mit der :bsz. „Während die einen vor allem vermeintlich ungesunde Lebensmittel vermeiden, legen andere besonderen Wert darauf, vermeintlich gesunde Lebensmittel gezielt auszuwählen. Bei manchen steht auch die Herkunft (z. B. biologischer Anbau) oder eine bestimmte Zubereitsungsart (z. B. nur Rohkost) im Vordergrund.“

Doch wer selektiv einkaufen geht und nicht jeden Mist in sich reinschaufelt, ist noch nicht automatisch orthorektisch unterwegs. Pathologisch ist das Ernährungsverhalten erst, wenn Betroffene einen deutlichen Leidensdruck verspüren und wichtige Lebensbereiche vernachlässigen. Wenn gesundes Essen zum Hauptthema wird, nimmt die Recherche nach vermeintlich Gesundem und dessen Beschaffung viel Raum ein – doch an einem Zeitkriterium ließe sich eine Diagnose laut Barthels nicht festmachen.

Nur Altbekanntes in neuem Gewand?

Auch AnorektikerInnen beschäftigen sich ständig damit, wie viel sie wovon und wann essen. Daher liegt die Vermutung nahe, dass orthorektisches Verhalten keine eigenständige Erkrankung, sondern einen Subtyp der Magersucht  darstellt. Die Befunde der ForscherInnengruppe um Barthels deuten tatsächlich darauf hin, dass die Grenzen verschwommen und daher schwer auszumachen sind.

„Eigentlich würde man annehmen, dass bei der Orthorexie die Qualität der Lebensmittel im Vordergrund steht und bei der Anorexie eher die Quantität“, erläutert die Diplom-Psychologin. Dass das nicht so einfach sei, zeigten die Ergebnisse ihrer Studien: Auch bei der Orthorexie scheine die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und der daraus resultierende Abnehmwunsch eine Rolle zu spielen. Andersherum bemühten sich AnorektikerInnen nicht nur darum, extrem kalorienarme, sondern häufig auch besonders gesunde Lebensmittel zu konsumieren. Das Phänomen bedarf daher weiterer Forschung, wie Barthels betont: „Unser Ziel ist es, orthorektisches Ernährungsverhalten in all seinen Facetten zu verstehen und, wenn es sich als behandlungsbedürftiges Störungsbild herausstellt, Diagnosekriterien festzulegen und geeignete Behandlungsmethoden zu entwickeln.“

Eher zwanghaft als realistisch gesund

Doch wie könnte die Therapie für jemanden aussehen, der sich zwanghaft gesund ernähren möchte? Die Düsseldorfer Psychologin verrät: „Ein paar Anhaltspunkte haben sich aus unserer Forschung schon ergeben: Ähnlich wie bei der Anorexie sollte die persönliche Liste verbotener Lebensmittel abgebaut werden. Auch scheint es wichtig, einen realistischen Gesundheitsbegriff zu erarbeiten.“
Denn die subjektive Vorstellung von gesunder Ernährung weiche bei OrthorektikerInnen mitunter sehr weit von dem ab, was von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlen wird, so Barthels.

 

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