Vom Hipster zum Bürgerrechtler: Die Ikone des Black-Power wurde vor 50 Jahren erschossen, das FBI schaute weg. Malcolm X machte verschiedene Wandlungen durch: Vom kleinkriminellen Dealer über den nationalistischen Prediger einer islamistischen Sekte bis hin zum antikapitalistischen Wortführer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung – ein Leben mit und gegen den Rassismus in der US-Gesellschaft. Seine Reden und Ideen beeinflussten Intellektuelle und AktivistInnen – und sind aktueller denn je.
Von den vielen einschneidenden Erfahrungen mit dem Alltagsrassismus des jungen Malcolm Little lässt sich eine kurze Unterhaltung mit seinem Lehrer exemplarisch anführen: Malcolm wächst im Jugendheim auf (sein Vater starb sehr früh, seiner Mutter wurde das Sorgerecht erzogen) und ist hochmotivierter Schüler, der die Ungerechtigkeiten des Systems von klein auf zu spüren bekommt; sein Berufswunsch: Anwalt. Als sein Lehrer das erfährt, klärt er ihn auf: „Ein Anwalt – das ist kein realistisches Ziel für einen Nigger. Du muss an etwas denken, was du sein kannst. Du bist geschickt mit deinen Händen. Warum planst Du nicht eine Zimmermannslehre?“ Was als banales alltagsrassistisches Beispiel erscheint, darf als bezeichnend für das Leben des späteren Bürgerrechtlers gesehen werden. Diesem System, das den „amerikanischen Traum“ predigt, aber die meisten unterdrückt, wird er später in wütenden Reden die Leviten lesen – bis hin zur bitteren Erkenntnis, was das Wesen des Rassismus ist: „Ihr könnt keinen Kapitalismus haben ohne Rassismus.“
Prediger der Nation of Islam
Als Jugendlicher unterliegt er dem Assimilationsdruck, für eine stolze schwarze (Sub-)Kultur gibt es keinen Raum: Er glättet sich die krausen Haare, trägt die angesagte Mode „der Weißen“ und sucht den Kontakt zu weißen Frauen. Als Hipster, als Karikatur des Lifestyles der weißen Mittel- und Oberschicht steigt er als Kleinkrimineller in die New Yorker Unterwelt ab. Von den schlechten Jobs – denn andere blieben für Schwarze nicht übrig – hat Malcolm schließlich genug, er sucht andere Einnahmequellen, fängt an, mit Gras zu dealen, später schließt er sich Einbruchbanden an. Irgendwann wird er aber erwischt und zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Als Hauptanklagepunkt betrachtet der Richter weniger die Einbrüche, sondern: „Sex mit weißen Frauen.“ Im Gefängnis beschäftigt er sich mit der Geschichte (der Sklaverei) oder der Philosophie; er begegnet dort dem Sektenführer der Nation of Islam (NOI), Elijah Muhammed. Er schließt sich der NOI an, die einen schwarzen Islam predigt, wo er nach seiner Entlassung rasch als führender Prediger der NOI zum Agitator der Schwarzen Moslems aufsteigt. Von nun an nennt er sich Malcolm X; das „X" als Symbol dafür, dass der eigentliche Name unbekannt ist und der Sklavenname abgelehnt wird. Genauso wie seine wütenden Reden steht auch diese stolze Rückbesinnung auf die schwarze Herkunft, ein schwarzer Nationalimus, für die Mentalität vieler Schwarzer, die, als eigentlich rückschrittliche Ideologie, der Lage der Schwarzen ein Sprachrohr verleiht. Zu verstehen ist das nur vor dem Hintergrund der katastrophalen Situation der Schwarzen: Eine doppelte so hohe Arbeitslosigkeit wie in der durchschnittlichen Bevölkerung, ein um etwa 40 Prozent niedrigeres Jahreseinkommen und eine Kindersterblichkeit, die um über 75 Prozent (!) höher war.
Engagement in der Bürgerrechtsbewegung
In der 60ern bringt die Bürgerrechtsbewegung die Verhältnisse in Bewegung und erfährt 1963 beim „Marsch auf Washington für Freiheit und Arbeit“ ihren Höhepunkt. Malcolm X ist mittendrin, auch wenn er mit den Wortführern der Bewegung um Martin Luther King nicht viel anfangen kann. Die Haltung der NOI, die Bürgerrechtsbewegung zu boykottieren, kann Malcolm nicht mittragen. Spätestens als er Demos organisiert und ArbeiterInnen in Krankenhäusern und auf Baustellen unterstützt, sich gewerkschaftlich zu organisieren, kommt es zu einem Bruch zwischen Malcolm und der NOI. Er kritisiert die Linie und vor allem die Korruption innerhalb der NOI, ihr Sektenführer hatte sich jahrelang einen privaten Reichtum angehäuft, obwohl er einen asketischen Lebensstil predigte; sogar mit dem Ku-Klux-Klan oder der „Amerikanischen Nazipartei“ wurden Geschäfte gemacht. Auch aus Angst vor Verfolgung von seinen einstigen „islamistischen“ Weggefährten flieht er aus den USA nach Mekka, wo er die simple wie für seinen Wandel entscheidende Erfahrung macht: es auch weiße Moslems. Sein strikter schwarzer Nationalismus, „ein umgekehrter Rassismus“, findet in Mekka sein Ende. Von nun an predigt er einen Islam für alle, gleich welcher Hautfarbe.
„Mit allen nötigen Mitteln“
Nach seiner Rückkehr gründet er eine nicht-muslimische Organisation, die „Organization of African-American Unity“, mit der er in der Bürgerrechtsbewegung mitmischen will, wie er in der Gründungsrede klar macht: „Wir erklären unser Recht auf dieser Erde, ein menschliches Wesen zu sein, als solches respektiert zu werden, und die Rechte eines menschlichen Wesens in dieser Gesellschaft zu besitzen, auf dieser Erde, an diesem Tag, das werden wir durchsetzen – mit allen nötigen Mitteln …“. Mit allen notwendigen Mitteln! Denn anders als die Liberalen um Martin Luther King, die einen friedlichen Protest wollen, eine „entwaffnende Philosophie der Gewaltlosigkeit“ wie er kritisiert, spricht er sich für die Bewaffnung der Schwarzen aus, Gewalt im Kampf gegen die Apartheid in den USA: „In Gegenden, wo die Regierung sich als entweder nicht willens oder unfähig erwiesen hat, das Leben der Neger zu verteidigen, ist es Zeit für die Neger, sich selbst zu verteidigen. Der zweite Zusatz der Verfassung gibt Euch und mir das Recht, ein Gewehr oder eine Schrotflinte zu besitzen.“ Auch in der Frage nach Zusammenarbeit der Bürgerrechtsbewegung mit weißen Liberalen grenzt sich Malcolm von King und Co ab. Er setzt auf die ArbeiterInnen-Solidarität (auch mit Weißen)und ist von der antikolonialistischen Bewegung inspiriert, besonders die linksnationalistische Idee eines „afrikanischen Sozialismus“ inspiriert ihn. Es ist sein Versuch, den antikolonialisischen Kampf der „dritten Welt“ mit dem antirassistischen in den USA zu verbinden und eine revolutionäre Schwarzenorganisation aufzubauen, die seinen Beitrag zur Bürgerrechtsbewegung ausmacht. Es sind vielmehr die Reden zum Ende seines Lebens, die seine Ideen so aktuell machen – scharfe Analysen des Phänomens, das ihn Zeit seines Lebens begleitete und beschäftigte: Was ist Rassismus, wie entsteht Rassismus? Seine Antwort fällt radikal aus: „Das System in diesem Land kann nicht Freiheit für einen Afroamerikaner produzieren. Es ist unmöglich für dieses System, dieses Wirtschaftssystem, dieses politische System, dieses Gesellschaftssystem. Es ist unmöglich für eine weiße Person, an den Kapitalismus zu glauben und nicht an den Rassismus zu glauben. Ihr könnt keinen Kapitalismus haben ohne Rassismus.“ Das ist seine radikale Schlussfolgerung, die auch heute brandaktuell ist: Keine rassistische Ideologie ohne Ausbeutung „postkolonialer“ Länder, keine Bild-Zeitung, kein Sarrazin ohne das Ziel, lohnabhängig Beschäftigte rassistische zu spalten. Seine Reden gingen am Ende auch der NOI zu weit. Am 21. Februar 1965 wird Malcolm X von seinen einstigen Weggefährten erschossen. Das FBI wusste Bescheid, ließ die „Islamisten“ aber gewähren. Seine Idee lebten jedoch unmittelbar später mit der Black Panther Party weiter, die mit Waffengewalt und Anknüpfung an die antikoloniale Bewegung den Kampf weiterführte, nachdem die Bürgerrechtsbewegung am Ende war. Damit wurden manche Visionen Malocolms realisiert.
Ein Traum liberaler schwarzer Bürgerrechtler hat sich dagegen erfüllt: Ein Schwarzer ist Präsident der USA. Aber verbessert hat es die soziale Lage der lohnabhängigen Schwarzen nicht. Die feige Ermordung des Jugendlichen Michael Brown führte in Ferguson im letzten Jahr zu wütenden Protesten gegen den polizeilichen Rassismus in den USA. Gleichzeitig spiegelt sich dieser Rassismus auch in der gesellschaftlichen Lage vieler Schwarzer wider; so hat sich z.B. die Einkommensschere zwischen Weißen und Schwarzen in den letzten Jahren weiter auseinander bewegt: Dem Durchschnittseinkommen von Weißen mit 61.175 Dollar (2011) stehen nur durchschnittlich 35.760 Dollar bei schwarzen Lohnabhängigen gegenüber. Ob Obamas Präsidentschaft da weiterhilft? Vermutlich hätte Malcolm X darüber das gleiche gesagt wie über den Ruhm von Martin L. King: „Er hat den Friedenspreis, wir haben das Problem.“
:Benjamin Trilling
Lest passend dazu auch die Filmbesprechung zu „Selma".
0 comments