Erst am 19. Februar beginnt in Taiwan und China das neue Jahr. Dann wird das Jahr der Ziege das des Pferdes ablösen. In meinem Auslandssemester in der taiwanesischen Hauptstadt Taipei habe ich schon mal den westlichen Jahreswechsel zum Anlass genommen, um ungewohnte Essgewohnheiten, außergewöhnliche Unterrichtsmethoden, sowie unsere wichtigsten Feiertage Weihnachten und Neujahr hier genauer unter die Lupe zu nehmen.
Es ist Silvester, 17:30 Uhr am Abend. Ich sitze an meinem Schreibtisch und lerne für meinen Chinesischkurs. Trotz 15 Grad Außentemperatur ist es kalt. Das liegt an der hohen Luftfeuchtigkeit und daran, dass es in Taiwan keine Heizungen in den Wohnungen gibt. Somit ist die Außentemperatur gleich auch der Innentemperatur. In einer halben Stunde muss ich los zum Kurs.
Chinesisch an Silvester?
Ja! Und da Weihnachten auch an einem Mittwoch war, hätte dort auch Unterricht stattgefunden. Hätte – im Fall, dass jemand hingegangen wäre. Weihnachten und Silvester sind in Taiwan keine offiziellen Feiertage. Trotzdem ist meine Facebook-Wall um den 24. Dezember herum voll mit Fotos von weihnachtlich verpackten Geschenken und Tütchen. Auch finden sich in den großen Supermärkten Regale voll mit Girlanden, kleinen Weihnachtsfigürchen und Lichterketten.
Trotz der immer wieder kalten Tage kommt keine Weihnachtsstimmung auf. Die Geschäfte sind selten dekoriert, die Weihnachtslieder häufig in chinesischer Version. Bei Weihnachtskarten-Sprüchen wie „We would be together with full of blessing“ und „I wish you happy now and always“ muss ich immer wieder schmunzeln. Es fällt mir auf, dass das Glück in allen Karten besonders betont wird. Das rührt wahrscheinlich daher, dass das Streben nach Glück im Konfuzianismus, neben dem Buddhismus eine der beiden vorherrschenden Religionen in Taiwan, eine große Rolle spielt.
101 Stockwerke
Zurück zu meinem Chinesischkurs. Ich könnte mir etwas Schöneres vorstellen für Silvester. Aber was kann man in Taipei überhaupt an diesem besonderen Tag im Jahr machen? Die Partys haben mit umgerechnet 50 Euro Eintritt wie überall auf der Welt an diesem Tag besonders studierendenfreundliche Preise. Es gibt ein Feuerwerk in der Stadt, das überragend sein soll: Es wird vom höchsten Gebäude in Taipei, dem 101 Building abgeschossen. Wir nehmen uns vor, es uns anzuschauen. Unsere taiwanesischen Freunde sind dabei raus – sie haben das Feuerwerk schon einige Male gesehen und keine Lust auf die Menschenmassen.
Ich muss an den Tag denken, an dem ich im 101 Building war. Mit 509 Metern Höhe ist es das höchste Gebäude Asiens und der Stolz Taiwans. Da es neben dem 101 keine weiteren annähernd so hohen Gebäude gibt, ist es von vielen auch weiter entfernten Orten in Taipei aus sichtbar. Rein kommt man nur mit Einladung oder Sicherheitskarte. In der Weihnachtszeit war ich dort im Secret Starbucks. Nicht viele wissen von seiner Existenz wissen, da er sonst wahrscheinlich völlig überfüllt wäre. Mit einer Reservierung kann hier die Aussicht vom 35. Stock des 101 genossen und die 12Euro Eintritt für die Aussichtsplattform im 91. Stock können gespart werden. Lediglich ein Getränk und ein Teilchen müssen gekauft werden. In diesem Starbucks kam bei mir ein bisschen Weihnachtsstimmung auf. Mit weihnachtlicher Deko, englischen Weihnachtsliedern und dem Nebel über den Dächern der Stadt fühlte ich mich etwas wie auf dem Empire State Building in New York. In Gedanken bin ich schon beim Eislaufen am Rockefeller Center, da reißt mich die Starbucks-Rechnung in die Realität zurück. Das obligatorische Getränk und Teilchen erleichtern meinen Geldbeutel um umgerechnet fast sechs Euro. Preise wie in Deutschland – und Starbucks ist in Deutschland teuer.
Sushi zum Frühstück
Das Essen ist ansonsten um einiges günstiger in Taipei. Ein typisches Frühstück gibt es schon für umgerechnet circa einen Euro. In Frühstücksrestaurant gibt es dafür ein Sandwich, einen Hamburger oder pfannenkuchenähnliche Gerichte. Ein Snack zu jeder Tageszeit ist hier ein gefülltes Reisdreieck, das von einem Seetang-Blatt zusammengehalten wird oder auch Sushi. Diese bekommt man wortwörtlich an jeder Ecke: Taiwan hat mit 10.000 Mini-Supermärkten eine der höchsten Supermarktdichten weltweit.
Zum Mittag- und Abendessen ist es üblich, in ein Restaurant zu gehen. Hier wird davon ausgegangen, dass geteilt wird, und so kommen die verschiedenen Gerichte häufig zeitversetzt. Mir gefällt diese Essenskultur. Ich kann mir schon gar nicht mehr vorstellen, Reis und Beilagen mit einer Gabel anstelle von Stäbchen zu essen und solche Gerichte nicht zu teilen. Befremdlich empfinde ich es nur, wenn die Gerichte auch in westlichen Restaurants zeitversetzt ankommen, so dass das Essen kalt wird oder man nacheinander essen muss. Denn den Hamburger oder die Spaghetti zu teilen, scheint keine gute Lösung zu sein.
Von AusländerInnen gefürchteter Tofu
Auch ein beliebter Ort, um sich beim geselligem Beisammensein die Mägen zu füllen, sind die Nachtmärkte. Hier werden Fleisch, Fisch, Gemüse und Tofu frittiert oder in Öl angebraten, Dumplings (gefüllte Knödel) gekocht und Ei-Gerichte fix vor den eigenen Augen zubereitet. Die Preise bewegen sich umgerechnet meist im Rahmen von 0,50 Euro bis 2,00 Euro. Das Exotischste auf den Nachtmärkten sind nicht etwa Hunde- und Katzenfleisch, sondern „lediglich“ Schlangenfleisch und Stinky Tofu. Dieser Tofu macht seinem Namen alle Ehre: Schon Straßen und Ecken im Voraus drängt sich der Geruch auf und das ist wirklich eine unangenehme Sache. Für die meisten AusländerInnen unverständlich, wie jemand so etwas essen kann, ist er in Taiwan eine Delikatesse. Die TaiwanesInnen haben sich an den Geruch gewöhnt und müssen darüber schmunzeln, wie AusländerInnen auf die Frage reagieren, ob sie bereits Stinky Tofu probiert haben.
Skandalös: Abfall-Öl und Apfel-Preise
Der Skandal um verunreinigtes Öl, das im September 2014 tonnenweise als Speiseöl verkauft wurde, sollte dem Nachtmärkte-Essen eigentlich einen schlechten Beigeschmack geben. Auch wenn jedeR davon weiß, haben jedoch nur die wenigsten ihre Essgewohnheiten angepasst. Nicht nur, dass es praktischer ist, Essen zu kaufen anstatt selbst zu kochen: Es ist in Taiwan häufig auch noch günstiger. Vieles wird auf der Insel nicht angebaut und muss kostspielig importiert werden. Besonders Milchprodukte, Gemüse und Obst: Äpfel kosten häufig einen Euro pro Stück – zum Leidwesen vieler meiner westlichen KommilitonInnen.
Hinzu kommt, dass das Obst und Gemüse wie aus dem Ei gepellt aussehen soll. Als Bio-Obst-Einkäuferin in Deutschland empfinde ich ja bereits die Discount-Supermarkt-Äpfel unnatürlich perfekt, aber sie sind nichts gegen die Muster-Äpfel in Taiwan. Hier sieht ein Apfel aus wie der andere und die ganz besonders hochwertigen sind noch Stück für Stück in kleine Polsternetze verpackt, um Macken zu vermeiden.
Frau & Sohn = gut
Inzwischen ist es Zeit, zum Chinesischkurs zu gehen. Wie immer zehn Minuten zu spät stürme ich ins Klassenzimmer. Der Laoshi (Lehrer) sieht das ganz gelassen. Sowieso ist er ein witziger Typ und sieht alles locker. Wenn es mal ernst wird, droht er mit „I cut your finger!“ – So macht das Lernen Spaß, selbst an Silvester. Ich hatte mir die Uni viel strenger vorgestellt als in Deutschland, aber das hängt auch hier vom Lehrer ab. Der Chinesischkurs ist ziemlich intensiv: Neben den Zeichen und ihrer Bedeutung lernen wir auch die Lautschrift Pinyin. Sie hilft dabei, sich die Aussprache der Wörter zu merken. Eindeutiger Nachteil: Neben den schon schwierigen Zeichen muss man sich noch mehr merken. Eine Hilfe ist es meist, die Zusammensetzung der Zeichen zu kennen. Das Zeichen für gut, 好 (Pinyin: hǎo), besteht aus dem Zeichen für Frau (女) und Sohn (子). Die Bedeutung hilft nicht nur dabei, sich die Zeichen besser zu merken, sie verrät auch etwas über die Geschichte der Kultur.
Gnädigerweise beendet der Laoshi den Unterricht heute bereits um 20:30 Uhr. Ich stürme nach Hause, um vor dem Feuerwerk noch gemütlich mit meinen Freunden essen zu können. Wir gönnen uns heute mal eine Pizza. Zum Glück gibt es gerade das „buy one get one free“-Angebot, denn für eine große Pizza kommt man mit unter 15 Euro nicht davon. Wir haben gehört, dass die U-Bahnen überfüllt sein sollen und die U-Bike-Stationen geplündert sein werden, und fahren deshalb mit unseren eigenen Rädern. Ähnlich wie in Bochum mit dem Metropolrad Ruhr gibt es hier die Möglichkeit, sich ein Fahrrad günstig auszuleihen. Die erste Stunde ist sogar umsonst, und da es an jeder U-Bahn-Haltestelle eine Station gibt, werden die U-Bikes auch sehr gut genutzt. Auf dem Weg finden wir tatsächlich alle Stationen leer vor, die Straßen dafür umso voller.
„I wish you happy all the time“
Später fahren wir über die Xinyi Road zum 101 und haben bereits eine gute Aussicht auf das Gebäude. Als die Straßen zu voll werden, parken wir unsere Räder und suchen uns einen Platz mit guter Aussicht. Meine geringen Erwartungen an das nur vier-minütige Feuerwerk werden maßlos übertroffen. Noch nie habe ich ein Feuerwerk um ein Gebäude herum gesehen. Ganze 218 Sekunden lang folgt ein „Oh“ dem „Ah“ und unzählige Smartphones ragen vor mir in die Höhe. Was für ein spektakulärer Start ins Neue Jahr! Auf dem Rückweg rennen wir in gut gelaunte Menschen, „Happy New Year“ schallt aus allen Richtungen, eine Taiwanesin verteilt „free hugs“. Auch in die üblichen Sturzbetrunkenen rennt man hier, die sich wahrscheinlich morgen nicht mehr erinnern werden, wie sie ins neue Jahr gerutscht sind. Bevor wir uns auf unsere Räder schwingen, um uns auf den Rückweg machen, fällt mein Blick auf ein kleines Kärtchen neben meinem Rad. Es zeigt ein paar süße Comic-Figürchen und in verschnörkelter Schrift steht dort: „Happy New Year – I wish you happy all the time“. In diesem Sinne wünsche ich auch Euch LeserInnen: Ein frohes neues Jahr und vor allem viel Freude!
:Lina Nagel
:bsz-Info
:bsz-Redakteurin Lina Nagel befindet sich momentan in einem Auslandssemester über das RUB-Austauschprogramm des International Office. Die Bewerbungsphase für das Wintersemester 2015/16 und Sommersemester 2016 endet am 15. Januar 2015 . Interessierte können sich auf der Seite des IO informieren: http://tinyurl.com/intausstud
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