Das kurdische Stalingrad? In Kobane entscheidet sich viel, nach wie vor droht die Stadt zu fallen: Die Welt schaut zu, wie der IS die demokratische Selbstverwaltung in Rojava (Westkurdistan) bedroht. Vor allem der türkische Staat unterstützt dabei die islamistische Terrororganisation, indem die Grenzen für KurdInnen nicht geöffnet werden. Aber was entsteht überhaupt in Rojava, welche demokratischen Strukturen wurden dort geschaffen? Darüber, wie auch über die Rolle des IS, drehte sich der Vortrag von Historiker Michael Knapp, der am 27. Oktober im KulturCafé vom kurdischen Studierendenverband YXK mit Unterstützung des AStA und des Autonomen AusländerInnenreferates organisiert wurde.
Da bekommt sogar die Kleinstpartei MLPD Applaus: „Wir müssen darum kämpfen, dass Rojava einen internationalen Status kriegt“, ruft der Mann von den MarxistInnen-LeninistInnen ins rappelvolle KulturCafé. „Wir müssen darum kämpfen, dass das PKK-Verbot aufgehoben wird. Wir müssen darum kämpfen, dass Öcalan freigelassen wird“. Der Saal applaudiert; der MLPDler hat auch den Rhetorik-Grundkurs drauf, eine Anapher, wie sie im Bilderbuch steht – ein Wodka auf Genosse Stalin! Damit berührte er auch noch mal wesentliche Punkte, die zuvor der Historiker Michael Knapp über die Lage in Rojava und die Rolle des IS erläuterte.
Der IS: Frankenstein des Imperialismus und vor allem auch der Türkei
Knapp verwies auf die Rolle der Türkei, die wie andere westliche Mächte im Hintergrund operiert: „Von allen Seiten wird der IS unterstützt. Die Türkei hat den IS systematisch aufgebaut, um die Region Rojava zu vernichten. Denn sie sagen, das ist ein kurdisches Projekt, das von der Politik Öcalans inspiriert ist.“ Sowohl kurdischen KämpferInnenn wie auch den Geflüchteten in den kurdischen Gebieten wird verwehrt, die türkische Grenze zu überqueren – ganz anders sieht es für den IS aus: Es gibt etliche Berichte, die bestätigen, „wie Leute über die Grenze transportiert wurden. Die Türkei kann sich da also nicht rausreden“, so Knapp. Die deutsche Regierung steht dem in nichts nach: Die, die von der deutschen Regierung Waffen bekommen haben, schließen die Grenzen.
„Die Befreiung, die umgesetzt wurde, wollen wir verteidigen!“
Die Meldung, dass nun Peschmerga-Truppen der kurdischen Nationalregierung unter Barzani im Nordirak den Kampf der KurdInnen unterstützen, ist daher mit Vorsicht zu genießen. Diese bringen zwar Waffen und Munition nach Kobane, gehören jedoch Barzanis Marionetten-Regime des US-Imperialismus an. Entsprechend verweist auch Knapp auf die Machtinteressen der Türkei: „Erdogans Hintergedanke ist natürlich: Wir lassen die Peschmerga wirtschaftliche Interessen durchsetzen.“ Knapp wies aber vor allem darauf hin, was es da zu verteidigen gilt: basisdemokratische, konföderalistische Strukturen mit sozialer und Geschlechtergleichheit, die sowohl westlichen als auch Regionalmächten im Weg stehen – ein Grund, warum auch hierzulande noch immer das PKK-Verbot gilt. Denn Knapp spricht von einem starken Paradigmenwechsel, der von der PKK ausging, „der auch darin bestand, dass man dieses Modell konföderalistischer Demokratie wollte. Das Projekt in Rojava ist basisdemokratisch – nicht nur in der Region, sondern weltweit einmalig, ein Projekt, in dem es Geschlechtergleichheit oder Rätedemokratie gibt. Der Kampf, die Befreiung, die umgesetzt wurde, wollen wir verteidigen.“
Dem schloss sich schließlich auch einer der Gäste zustimmend an: „Rojava ist der fortschrittlichste Teil des Befreiungskampfes auf der ganzen Welt. Lasst uns da zusammenarbeiten.“ So herrschte ein gemeinschaftliches Solidaritätsgefühl mit dem Kampf in Kobane, als die Veranstaltung zu Ende ging. Nur die MLPD war bereits draußen am Eingang und bot ihr Kampfblättchen „Rote Fahne“ an. Der Schlussapplaus war aber definitiv anderen gewidmet.
Lest dazu auch den Kommentar zum PKK-Verbot.
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Guter Artikel
Ich finde es sehr begrüßenswert, dass der AStA und das Autonome AusländerInnenreferat diese Veranstaltung unterstützt haben. Der Vortrag war informativ und sachkundig. Ich habe gehört, dass diese oder nächste Woche noch eine weitere Veranstaltung zu Syrien stattfindet. Das Thema darf keinen kalt lassen. Der IS muss bekämpft werden, weil er den Rückschritt in die Barbarei darstellt.
Aber es muss hier auch gesagt werden, dass Kobane und der Befreiungskampf der Kurden nicht als Feigenblatt benutzt werden dürfen. Es gibt ein Recht auf Selbstbestimmung der Völker. Dieses Recht haben die Kurden wie jedes andere Volk. Als es um die Auflösung Jugoslawiens vor 20 Jahren ging, haben das auch alle deutschen Politiker gesagt. Slowenen und Kroaten durften sich mit Unterstützung der westlichen Wertegemeinschaft unabhängig machen. Das sollten andere – auch die Kurden – auch tun dürfen und auf deutsche Unterstützung dabei zählen. Dies muss auch dann noch gelten, wenn der IS verschwunden sein wird. Wir müssen den Willen des kurdischen Volkes nach Selbstbestimmung anerkennen – und dürfen diese Anerkennung nicht davon abhängig machen, ob es gerade „nützlich“ gegen Salafisten ist, die Kurden für kurze Zeit zu unterstützen.