In den letzten Jahren fielen sie recht mau aus, die Teilnehmendenzahlen beim friedensbewegten Ostermarsch, nachdem sie zuletzt nach Beginn des letzten Irak-Kriegs 2003 ein Hoch erfahren hatten. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der friedensbewegte Osterspaziergang nur dann Konjunktur hat, wenn gerade ein großer Krieg angezettelt wird. Doch genau dies könnte das Ergebnis der wachsenden Spannungen zwischen Russland und der Ukraine sein; nicht zu vergessen der permanente Flüchtlingsabwehr-Konflikt im Mittelmeer, der bereits Zehntausenden das Leben kostete. Daher nichts wie hin zum diesjährigen Ostermarsch Rhein / Ruhr!
„Die Erinnerung an den Beginn des I. Weltkriegs vor 100 Jahren und des II. Weltkriegs vor 75 Jahren sind eine Verpflichtung zum Frieden“, heißt es einleitend in der Programmbeschreibung der VeranstalterInnen des Ostermarsches 2014 an Rhein und Ruhr. In den Anfangsjahren der Friedensbewegung in der Bundesrepublik war dies noch ganz anders gewesen: Entstanden in der ersten Hälfte der 50er Jahre im Zuge der Debatte um die Wiederbewaffnung nach dem Zweiten Weltkrieg, brachte die Debatte um eine nukleare Bewaffnung der Bundeswehr im April 1958 in Hamburg rund 120.000 Menschen auf die Beine. 1982/83 wurden durch die Diskussion um eine Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik bis zu eine Million Menschen mobilisiert. Vor diesem Hintergrund scheint es unverständlich, dass sich in den letzten Jahren zwischen Rhein und Ruhr nur einige hundert Friedensaktive zum Ostermarsch aufraffen konnten.
EUROSUR muss baden gehen!
Dabei liegen die brennenden Themen doch auch heute direkt vor der europäischen Haustür: So geht das neue journalistische Datenbank-Netzwerk „The Migrant Files“ nach aktuellen Recherchen davon aus, dass die Zahl seit Januar 2000 vor den europäischen Mittelmeerküsten zutode gekommener afrikanischer Flüchtlinge bei über 23.000 liegt. Angesichts dieses unerklärten Krieges im Süden der ‚Festung Europa‘ liegt ein thematischer Schwerpunkt der Ostermarsch-Aktivitäten 2014 auf der EU-Migrationspolitik mit ihrer verstärkten Überwachung der Außengrenzen im Rahmen von „EUROSUR“. Im Zeichen des Protestes gegen eine zynische Abwehrpolitik gegen MigrantInnen wird am Ostersonntag der Abschluss eines Fahrradkorsos von Gelsenkirchen (Start: 11.30 Uhr im Stadtgarten) über Wattenscheid und Herne ab 16.15 Uhr am Bahnhof Langendreer stehen: „EUROSUR muss baden gehen!“ lautet das Motto.
Koalitionspoker statt linker Antimilitarismus?
Verwunderlich dagegen ist, dass die bereits vor Wochen absehbare Verschärfung der Lage in der Ukraine im Vorfeld des Ostermarsches Rhein / Ruhr 2014 kein Thema zu sein scheint. Auch steht inzwischen der Ausgang der Bundestagsdebatte um die weiteren Einsätze der Bundeswehr im Mittelmeer fest – erstmals haben auch Abgeordnete der Partei Die Linke einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt: 35 Linke-MdB stimmten mit „Nein“ und fünf mit Ja; 18 enthielten sich. Es stellt sich die Frage, ob nun auch der Widerstand der Linken als einziger im Bundestag vertretener Partei, die bislang konsequent gegen Bundeswehr-Einsätze votierte, erodiert – oder ob die partielle Zustimmung eine Ausnahme bleiben wird. Opfert die letzte Friedenspartei ihre pazifistische Grundhaltung auf dem Altar der Koalitionsoptionen? Auch dies könnte beim diesjährigen Ostermarsch Thema sein. Zudem sollten die VeranstalterInnen weiter darüber nachdenken, wie sich der Ostermarsch insbesondere für jüngere (studentische) Friedensaktive attraktiver gestalten ließe – ein bisschen mehr Party-Charme könnte dem Event sicherlich nur nützen!
Online exklusiv:
:bsz-Gespräch mit dem Diplom-Sozialökonomen und Friedensaktivisten Rainer Thomas (Promovent im Fach Sozialwissenschaften an der TU Dortmund und Zweithörer für Philosophie an der Ruhr-Uni Bochum)
bsz: In den letzten Jahren fielen die Teilnehmendenzahlen beim Ostermarsch recht mau aus, nachdem sie nach Beginn des letzten Irak-Kriegs 2003 ein Hoch in den Nuller-Jahren erfahren hatten. Hat der Ostermarsch nur Konjunktur, wenn gerade ein großer Krieg angezettelt wird? Wie könnte man den Ostermarsch aus Ihrer Sicht insbesondere für ein jüngere (studentische) Friedensaktive attraktiver gestalten?
Rainer Thomas: Die Teilnahme am Ostermarsch (OM) steht m. E. in engem Zusammmenhang mit der jeweils aktuellen politischen Lage in bestimmten Teilen der Welt, den Berichten darüber, den ihnen immanenten politischen Tendenzen und Interessensausrichtungen und der Frage, wie sehr sich der eine oder andere Mensch persönlich betroffen fühlt oder sich und andere als betroffen beurteilt. Die Friedensbewegung verzeichnet einen stabilen Kern von politisch und gesellschaftstheoretisch überdurchschnittlich gut informierten und human bzw. gesellschaftlich verantwortlich handelnden Menschen. Hierbei treffen unterschiedliche Weltanschauungen aufeinander, vereinigen sich zu einem außerparlamentarischen Konsens – kraft des ihnen inhärenten allgemeinen politischen Gehaltes. Die politisch links orientierten Haltungen dürften wohl ca. 50% der in der Friedensbewegung ausmachen. Darüber hinaus gibt es auch einige Mitläufer, die nur eine bloße Erfahrung mit dem Ostermarsch oder das bloße, gesellige Dabeisein interessiert. Droht ein Krieg, in den Deutschland in irgendeiner Weise hineingezogen werden könnte, auch wenn es sich nur um einen hohen finanziellen Beitrag, wie beim Golfkrieg 1991 handelt, steigen die Teilnahmerzahlen bei den Friedensaktionen, mit der Zunahme individueller Lebensängste um so mehr. In den Hochphasen der OM-Bewegung der 80er Jahre und später, während der Golfkriegszeit, waren es besonders stark politisch geprägte Studenten, Schüler und Auszubildende, die bei den Ostermärschen dominierten. Die verstärkten Studienanforderungen wohl ab Ende der 90er Jahre, die finanziellen Nöte vieler Studierender (deswegen neben dem Studium arbeiten zu müssen, teils auch für es Studiengebühren zu zahlen) haben merklich zu einer geringeren Beteiligung der Studenten am OM geführt, auch eine gewisse Entpolitisierung von Lehrveranstaltungen trug mit dazu bei. Der OM könnte für Studenten attraktiver sein, wenn
1. Erlebnisfaktor und Entspannungseffekt gegenüber dem Stress beim Studium gesteigert werden könnten, z. B. durch etabliertere Bands, die aber vom Veranstalter nicht bezahlbar sind und die durch ihre Verankerung im Mainstream auch manche Probleme für Friedensaktivisten aufwerfen;
2. studentische Lebensinteressen (Sicherung und Ausweitung des Hochschulbudgets, Abwehr der Auftragswünsche der Rüstungsindustrie, die den Militärhaushalt steigern) durch studentische Vertreter (ASten, Parlamentarier), die beim OM z. B. als Redner mitwirken sollten, öffentlich vertreten werden;
3. wenn die studentischen Vertreter dezidiert an den Hochschul4n für den OM werben würden. bsz: Worauf liegt 2014 aus Ihrer Sicht der Schwerpunkt der thematische Schwerpunkt der Ostermarsch-Aktivitäten? Welchen Stellenwert hat hierbei die am Ostersonntag in Bochum im Fokus stehende EU-Migrationspolitik mit ihrer verstärkten Überwachung der Außengrenzen im Rahmen von "EUROSUR"?
Ein thematischer Schwerpunkt 2014 ist gewissermaßen ausgeblieben, das Ukraine/Krim-Problem war bei der Verabschiedung des Aufrufes noch nicht weit genug gediehen, Deutschlands Interesse an Afrikaeinsätzen erschien noch zu unbestimmt. Das Ostermarschkommitee sieht aber in der Politik der EU generell das Problem, geostrategische und ökonomische Interessen militärisch, teils mit der NATO wahrnehmen zu wollen, Atomwaffen beizubehalten und auf Atomkraft nicht zu verzichten. Es handelt sich also um Optionen und Möglichkeiten, die ggf. in gefährliche Wirklichkeiten umschlagen könnten. Konflikte sollten vielmehr ohne Waffen gelöst werden, die Friedensbewegung votiert für eine zivile
EU.
Das ostersonntagliche Thema in Bochum "EUROSUR muss baden gehen!" ist kein exorbitantes, aber sinnvolles Sujet unter etlichen anderen, die aber nicht alle zum Zuge kommen und deren Artikulation bei einer Aktion immer auch von der Sachkenntnis der Friedensaktivisten vor Ort abhängt. Die Migrationsproblematik hängt aber vor allem wieder mit internationaler ökonomischer Politik und wohl auch Geostrategie zusammen. Menschen, die aus den stark benachteiligten Ländern, z. B. des afrikanischen Kontinents versuchen, dem Elend zu entkommen, werden quasi von den Ländern, die durch ihr Wirken in hohem Maße für die besagten Zustände verantwortlich sind, mit militärischen Mitteln gebremst.
Prinzipiell verfügen die reichen Länder der EU über die Mittel, den Migranten zu helfen, die Frage ist aber, welche sozialen Gruppen die Last zu tragen hätten (die Reichen werden ja in Deutschland immer noch nicht höher besteuert – aber hierüber lässt sich ja, wie über vieles, streiten).
bsz: Auch der Ausgang der Bundestagsdebatte um die weiteren Einsätze der Bundeswehr im Mittelmeer steht inzwischen fest – erstmals haben auch Abgeordnete der Partei DIE LINKE einem Auslandseinsatz der Bundeswehr zugestimmt: 35 LINKE-MdB stimmten mit „Nein“ und 5 mit Ja; 18 enthielten sich. Erodiert nun auch der Widerstand der LINKEn gegen Bundeswehr-Einsätze oder wird die die partielle Zustimmung voraussichtlich eine Ausnahme bleiben? Opfert die letzte im Bundestag vertretene Partei ihre pazifistische Grundhaltung auf dem Altar der Koalitionsoptionen? Wie ist dies aus friedensbewegter Sicht zu bewerten?
Meine persönliche Einschätzung ist, dass es zukünftig noch weitere Abgeordnete der Linken geben wird, die einem BW-Einsatz im Ausland zustimmen werden, dafür aber sehr restriktive Bestimmungen einfordern. Ich nehme an, dass sie schließlich nicht die Mehrheit in der Fraktion stellen. Die Koalitionsoption dürfte dafür der Hauptgrund sein. (Ich persönlich bin übrigens parteilos und votiere gegen BW-Einsätze im Ausland.)
bsz: Die Verschärfung der Lage in der Ukraine war sicherlich bei der Vorplanung des Ostermarschs 2014 noch nicht hinreichend absehbar – wird dies dennoch Thema beim Ostermarsch sein und – wenn ja – mit welcher programmatischen Tendenz?
Die Verschärfung des Konflikts zwischen USA, EU und Rußland hinsichtlich Ukraine und Krim wird wohl an verschiedenen Stationen des OM thematisch einbezogen werden. In Dortmund nahm das Friedensforum, dass stets am OM mitwirkt, vor zwei Wochen öffentlich, per Lautsprecher und Infostand, dazu Stellung (in der Innenstadt).
Was die mutmaßliche politische Tendenz der Ostermarschbewegung zur o. a. Frage betrifft, so kann ich einerseits nur von den im Dortmunder Friedensforum eruierten Positionen ausgehen. Weitgehende Übereinstimmung bestand erst einmal in der Konstatierung eines aktuellen Informationsdefizits über die vöĺkerrechtliche Lage, weil die gegenwärtig relevanten völkerrechtlichen Vertrage in ihrem Wortlaut und der Auslegung uns zu wenig bekannt sind und dass wir Expertenrat einholen müssen.
Auf Bundesebene gibt es vom 'Bundesweiten Friedensratschlag Kassel eine Stellungnahme, die uns vorlag und die sich gegen militärische Aktionen Rußlands gegen die Ukraine und des Westens gegen Rußland wendet. Sie müsste im Internet zu finden sein. Diese Stellungnahme wurde als etwas zu schwammig problematisiert, sie hätte einige Punkte politisch klarer formulieren müssen.
Mehrheitlich war man auf unserer Zuśammenkunft in der ersten Märzhälfte der Meinung, dass man den in Rede stehenden Konflikt historisch betrachten sollte, und zwar unter den Aspekten:
* Wer hat, um russisches Grundinteresse zu verstehen, den ersten Weltkrieg verschuldet?
* Welches ist der Gehalt des Zwei-plus-Vier-Abkommens aus dem Jahre 1990 in Hinblick auf die Absicherung der Ex-Sowjetunion, nach Gewährung der Deutschen Einheit eine Gefährdung ihrer Sicherheitsinteressen nicht befürchten zu müssen, d. h. durch ein spezifisches Verhalten Deutschlands (als Mitglied der NATO)?
* Haben auch die nicht im Vertrag stehenden öffentlichen Willenserklärungen von Bush und Gorbatschow völkerrechtliche Bedeutung? Bush antworte bekanntlich auf Gorbatschows Frage, ob er die Sicherheit der Sowjetunion nach erfolgter Vereinigung Deutschlands garantiere, mit einem ausdrücklichen Ja.
* Können verschiedene ehemalige Sowjetrepubliken, die die NATO befürworten, als legitimes Argument für die NATO-Osterweiterung angesehen werden, oder müsste von den originären NATO-Staaten dazu eine strikte Selbsteinschränkung geboten sein, um russisches Sicherheitsbedürfnis nicht zu gefährden?
* Auf die russischen Miltitäraktionen in Hinblick auf die Ukraine gab es Reaktionen der Empörung. Es gab niemanden, der sie ausdrücklich akzeptierte.
* Die Imagefolgen für Rußland wurden als katastrophal eingeschätzt. Eine andere Politik, ohne militärische Maßnahmen Rußlands, sei erforderlich.
* Die EU-Politik gegenüber der Ukraine sei vom Standpunkt der Regulierung des europäischen Prozesses nicht zu verantworten, weil die EU schon allein mit Griechenland überlastet ist. Die Ukraine steht anscheinend im Visier von ausländischen Unternehmen, die wahrscheinlich, sollten sie Betriebe erwerben, rationalisieren, eine hohe Arbeitslosigkeit erzeugen und, soweit sie durch EU-Poltik unterstützt werden, auch die EU-Steuerzahler belasten. Auch werden wohl die unteren Schichten der Bevölkerung in der EU keine Aussichten auf Verbesserung ihrer Lebenssituation erreichen.
* Grundsätzlich ist die Friedensbewegung von dem Grundsatz geleitet, Frieden zu schaffen ohne Waffen.
bsz: Rainer Thomas, vielen Dank für das Gespräch!
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