(Christoph Koitka) Weltweit werden jährlich Milliarden für Menschen bezahlt. Homo sapiens, eine von unzähligen Waren auf dem globalen Markt. Der Autor und ehemalige Stern-Chefredakteur Michael Jürgs („Seichtgebiete“, „BKA: Die Jäger des Bösen“) hat sich für sein neues Buch „Sklavenmarkt Europa“ die mafiösen Geschäfte einmal genauer angesehen. Seine Recherchen haben ihn dabei tief in die Abgründe (un-)menschlichen Handelns geführt. Die :bsz hat mit ihm gesprochen.
Beim Thema „Moderne Sklaverei“ denken viele zunächst an Zwangsprostitution. Zwar sind 60 Prozent der Menschen in Arbeitssklaverei Frauen, von denen auch viele zur Prostitution gezwungen werden; dennoch ist das Problem wesentlich vielschichtiger.
So ist Jürgs, der selbst in Hamburg wohnt, auch im Ruhrgebiet auf Zustände gestoßen, die er so nicht erwartet hat: „In Dortmund gibt es einen regelrechten Arbeitsstrich, das muss man sich einmal vorstellen“, zeigt er sich im Interview noch immer überrascht. Für uns, die wir selbst in der Gegend wohnen, ist das nichts Neues. Manch einer hat vielleicht schon selbst die arbeitssuchenden Männer auf der Mallinckrodtstraße gesehen, die sich für einen Hungerlohn verdingen. Jürgs bezweifelt, dass die Firmen, die über Subunternehmer die Tagelöhner beschäftigen, dabei wirklich an ein sauberes Geschäft glauben. „Es muss sich moralisch etwas tun!“, ist der Autor überzeugt. Ohne eine aufmerksame und wertstabile Gesellschaft könne sich nichts ändern. Für ihn ist die soziale Ächtung von Unternehmern wie oben beschrieben – und im Übrigen auch Freiern – ein wichtiger Schritt im Kampf gegen die Sklaverei.
Europol gegen globale Krake
In diesem Kampf geht es gegen einen vielarmigen Kraken, der unbezwingbar erscheint. Jürgs zeichnet ein düsteres Bild von einer global operierenden Mafia. Allein 3.500 kriminelle Vereinigungen treiben laut dem Journalisten allein in Europa ihr Unwesen.
Seine Recherche hat ihn in die engsten Kreise derjenigen geführt, die diesem Kraken den Kampf angesagt haben. So wohnte er einer hochrangigen Europol-Strategiesitzung bei – „als erster Journalist überhaupt“. Auch eine Razzia gegen Menschenhändler in der deutschen Provinz erlebte er live mit. Bei seinen Nachforschungen halfen ihm Kontakte aus früheren Recherchen und seiner Zeit als Stern-Chefredakteur.
Doch moderne SklavInnen werden keineswegs von Schlepperbanden aus ihrer Heimat entführt: Viele kommen auf der Suche nach einem Ausweg aus prekären Verhältnissen freiwillig in den vermeintlich goldenen Westen – oft auch auf Grund unrealistischer Versprechen der Banden. Einmal angekommen, ist es für kriminelle Gruppierungen leicht, die ArbeiterInnen zu kontrollieren und auszubeuten.
Lösung: Law & Order
Jürgs sieht sich selbst als „Journalist der altmodischen Sorte“, wie er sagt: Wo es am schwierigsten ist, liegt für ihn der größte Reiz. Und mit seinem aktuellen Thema legt er seine Finger in viele Wunden – auch für ihn selbst war die Recherche stellenweise schmerzhaft und schwer erträglich.
Menschenverachtende Verhältnisse im Bereich der Prostitution: „Die Flatrate mancher Bordelliers, für `nen Zehner `ne Wurst, ein Bier und eine Frau: Das muss verboten werden!“ Dies und ähnliche Missstände in anderen Bereichen haben ihn aufgewühlt. So erzählt er im Interview etwa von der Praxis einiger Waisenhäuser in Bulgarien, die Schutzbefohlene nach Westeuropa verkaufen; oder auch von der Lage in den Flüchtlingslagern dieser Welt: Quasi auf Bestellung werden dort Menschen ausgeschlachtet, um Organe zu liefern. Ein durchaus lukratives Geschäft: Der illegale Organhandel setzt laut Jürgs zwei Milliarden Euro im Jahr um. Immer wieder erscheine die Lage „verzweifelt hoffnungslos“.
Seine Hilflosigkeit angesichts der Umstände macht Jürgs zornig. Seine Wut wird passagenweise auch in seinem Buch deutlich. So fordert er etwa, das Vermögen von Verdächtigen im Sklavereigeschäft einzufrieren. „Wenn sie verurteilt werden, kann das Geld für Therapien und Ausbildungen für die Opfer verwendet werden.“ Ohnehin ist für den Journalisten klar: „Wer der Spur des Geldes nicht folgen kann, hat keine Chance!“ Aus diesem Grund schlägt er auch vor, verstärkt auf Vorratsdatenspeicherung zu setzen. Harte Strafen („Die Höchststrafen müssen verhängt werden!“) und empfindliche Verfolgung und Ächtung sind seine methodischen Empfehlungen für ein perspektivisch sklavenfreies Europa.
Eine gemeinsame Einsatztruppe mit weitgehenden Befugnissen, die „nicht nur ermitteln, sondern auch zuschlagen“ kann, steht weiterhin auf seinem Wunschzettel.
Hoffnung machen Jürgs die zahlreichen NGOs, die sich der Opfer annehmen: „Da wird wirklich gute Arbeit geleistet.“
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