Bild: Mit ihm lief es besser: Ein Jahr nach Hugo Chavez‘ Tod steckt Venezuela in einer tiefen Krise. , Venezuela: Chávez-Nachfolger Maduro in der Krise Quelle: flickr.com, Andreas-Lehner

Kein Tag ohne Einsatz von Wasserwerfern und Pfefferspray: Während die Welt gebannt auf die Ereignisse an der Krim schaute, ging mitunter verloren, dass es auch in Venezuela täglich zu Gewalteskalationen zwischen Regierungstruppen und demonstrierenden StudentInnen kommt. Die Proteste halten schon seit Anfang Februar an. Die Opposition kritisiert vor allem die ausufernde Kriminalität, Korruption in den Behörden, Güter- wie Ressourcenknappheit und die ökonomische Misere im Land. Entscheidende Kraft der Proteste sind die venezolanischen Studierenden, die seit Jahren von Perspektivlosigkeit betroffen sind.

„Venezuela brennt und niemanden kümmert es“, schrieb der regierungskritische Autor Francisco Toro in seinem Blog. Seit Beginn der Proteste sind bisher 20 DemonstrantInnen gestorben, 300 wurden verletzt. 700 Studierende wurden verhaftet. Die Regierung lässt zunehmend schwer bewaffnete PolizistInnen und Nationalgarden eingreifen und patrouillieren. „Es gibt bewaffnete Gruppen, die Colectivos, die der Regierung nahe stehen und Bürger attackieren, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen“, so Esperenza Hermida von der Menschenrechtsgrupppe Provea: „Sieben Menschen wurden durch Kopfschüsse getötet – das ist kein Versehen. Wir glauben, es ist Teil der Regierungsstrategie.“ Zuletzt forderten die Straßenschlachten in Caracas zwei Todesopfer bei einer Demonstration, als Schüsse fielen. Dabei kam es zum Tod eines Polizisten der militanten Polizei Guardia Nacional und eines Motorradfahrers. Nach wie vor herrscht Verwirrung darüber, wer das Feuer eröffnete. Der Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz zufolge sei der Motorradfahrer durch einen Schuss in die Brust getötet worden, der Schütze sei allerdings unbekannt. Dagegen kontert Parlamentspräsident Diosdado Cabello, dass Scharfschützen, die auf dem Dach eines Gebäudes positioniert waren, dafür verantwortlich seien. Der Motorradfahrer operierte für eine regierungsnahe Gruppe, die Straßenbarrikaden der RegierungsgegnerInnen wegräumen wollten.

Repressionen und Verschwörungsvorwürfe

Ein friedlicher Dialog zwischen Opposition und der chavistischen Regierung um Nicolás Maduro scheint momentan unrealistisch. Zwar bot Maduro eine „nationale Friedenskonferenz“ an, diese wurde allerdings von der Opposition als „Scheindialog“ kritisiert und abgelehnt. Stattdessen erfahren nun viele Oppositionelle harte Repressionen: So wurde der anti-chavinistische und neoliberale Oppositionsführer Leopoldo Lopez, der schon 2002 den Putsch gegen Chavez initiierte, verhaftet. Mit Schlachtrufen versuchte auch Lopes, Menschen zu Straßenprotesten zu bewegen und zu agitieren. Maduros Staatsapparat reagiert überfordert: Nach der Unklarheit darüber, wer nun für die Schüsse während der Proteste verantwortlich war, versicherte Maduro nur, keinen Schießbefehl erteilt zu haben. Nervös entließ der Regierungschef seinen Geheimdienstchef. Außerdem wurde Panamas Botschaftspersonal ausgewiesen, genauso wie drei Mitarbeiter der US-Botschaft, denen Maduro vorwarf, Kontakte zu RegierungsgegnerInnen und protestierenden StudentInnen gehabt zu haben.

Vor allem hinsichtlich des Konspirationsvorwurfes bemüht Maduro eine konstruierte Klassenkampfrhetorik stalinistischer Provenienz: Protestierende Studierende und neoliberale Wortführer einer kapitalistischen Restauration vermengt der venezolanische Regierungs­chef undifferenziert als faschistische Putschisten. Gerne erwähnt er auch das Schreckgespenst einer Marionetten-Militärdiktatur des US-Imperialismus à la Pinochet.

Chavismus in der Sackgasse?

Einstweilen versucht Maduro den ersten Todestag Hugo Chávez’ dafür zu nutzen, die Lage zu entspannen und sich als Nachfolger des verstorbenen Comandante zu profilieren: „Der Comandante hat mich kurz vor seinem Tod beauftragt, den Weg fortzuführen. Wo ich bin, ist auch Chávez, das Volk Venezuelas und dessen Kampf für das Vaterland.“ Aber wohin führt Venezuelas Weg? Ist eine ähnliche Eskalation wie in der Ukraine zu befürchten? In den Protesten drückt sich weniger ein Zusammenhang mit der Krise in Kiew aus als vielmehr eine Analogie zu den Protesten in Chile und Brasilien. Auch dort begehrten Studierende und Jugendliche aufgrund von Inflation, Arbeitslosigkeit und infrastrukturellen Mängeln auf. Die Regierenden reagierten mit Konzessionen. Die stalinistische Kaste um Maduro reagierte bisher ausschließlich mit Repressionen. Diese sind ein Punkt, warum das Projekt, das mit Chávez begann, stagniert. Von den planwirtschaftlichen Umverteilungen des Ölreichtums hat die lohnabhängige Klasse in Venezuela profitiert; trotzdem hat der bürokratische Parteiapparat zu einer intransparenten, staatlichen Kontrolle von Institutionen und anhaltender Wirtschaftskrise geführt. Ein Dialog mit den fortschrittlichen Kräften der Opposition scheint erforderlich, um die Krise und die Gewalteskalationen zu überwinden.
 

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