Bild: Ein Teil der literaturundfeuilleton-Redaktion: (von links nach rechts) Sylvia Kokot, Esra Canpalat, Nadine Hemgesberg, Katja Papiorek, Lina Brünig., RUB-Studierende setzen in eigenem Blog Komparatistik-Theorie in die Praxis um Foto: mar

Als ich zum Treffen der Blog-Redaktion in einem Café im Bermudadreieck eintreffe, unterhalten sich die Komparatistik- Studentinnen gerade über Berufsaussichten, über „Stellen, die es nicht gibt“. Meine Frage, ob es denn jemals Stellen für LiteraturwissenschaftlerInnen gegeben habe, löst ein paar Lacher aus, Lacher mit leicht verzweifeltem Unterton. Das typische Lachen der GeisteswissenschaftlerInnen als Reaktion auf die Frage nach ihren Berufsperspektiven. Eine Handvoll Studentinnen der Komparatistik an der Ruhr-Uni hat die Leitung über den Rezensions- und Kritikblog „literaturundfeuilleton“ in die Hand genommen, das ihnen einerseits schon zu Studienzeiten Referenzen für später verschafft, zum anderen aber auch eine Plattform für das ist, was viele PhilologInnen eint und antreibt: Die Liebe zum Buch, die Leidenschaft für das geschriebene Wort.

Mit dem Blog verdienen die RezensentInnen kein Geld, sondern ihre Sporen und ein paar Rezensionsexemplare. Denn längst ist der in einem gleichnamigen Seminar von Dr. Stephanie Heimgartner im Wintersemester 2011/12 entstandene Blog (damals allerdings noch auseinander geschriebene) groß genug, dass die Verlage Ausgaben ihrer Bücher zur öffentlichen Besprechung auf der Seite rausrücken – und auch weiter beachten: Kürzlich erst, erzählt Lina Brünig den anderen Redaktionsmitgliedern, hätte der Verlag Kiepenheuer & Witsch ihren Blog unter den Pressestimmen zu einem seiner Bücher zitiert. Ein Zeichen dafür, dass „literaturundfeuilleton“ ernst genommen wird und als Autorität herhalten kann. „Jeder Rezensent freut sich, zitiert zu werden“, sagt Sylvia Kokot.

Vom gegenseitigen Lernen profitiert die Güte

Da die meisten AutorInnen des Blogs Studierende der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft (Komparatistik) sind, haben sie von Ausbildung wegen ein fundiertes Wissen von der Materie. „Wir versuchen aber, nicht den Literaturwissenschaftler raushängen zu lassen“, erklärt Sylvia. Das Wissen über Literatur ist da, den Anspruch an Beiträge fasst Lina prägnant zusammen: „Die Artikel sollten gut geschrieben und gut lesbar sein.“ Als Qualitätssicherung dient eine Redaktion von sieben KomparatistInnen, die in Kontakt untereinander und mit den „freien MitarbeiterInnen“ (die nicht unbedingt einen philologischen Hintergrund haben müssen) die Artikel besprechen, bevor sie veröffentlicht werden. Dies begreifen die jungen Frauen auch als „Prozess des gegenseitigen Lernens“. Dabei profiliert sich der Blog nicht nur durch diese Genese aus Anspruch, Fachwissen und Liebe zur Literatur heraus. Längst beschränkt sich die Seite nicht nur auf Literatur-Rezensionen. Da wurde auch schon über Poetry-Slams und Lesungen, über Theaterstücke und Buchpreisverleihungen geschrieben. Auch konzeptionell sei eine „stetige Entwicklung“ zu sehen, wie Nadine Hemgesberg sagt. Seit den Seminartagen vor zwei Jahren, als sich Rezension über Rezension stapelte, hat sich einiges getan. Unter der Kategorie „Erlesene Städte“ werden Werke vorgestellt, die in einer Stadt spielen und von RezensentInnen mit einer Vorliebe für Athen oder Lissabon behandelt werden. Die Idee zur Kategorie „Bücherverbrennung“ stammt ebenfalls aus einer Lehrveranstaltung am Germanistischen Institut der Ruhr-Uni. Wie auch die erlesenen Städte werden in dieser Rubrik weniger bekannte AutorInnen und Werke vorgestellt. Es gibt nach wie vor Literatur, die darauf wartet, sich aus der Asche der durch die NationalsozialistInnen verbrannten Bücher zu erheben. In ihrer „Kolumne“ verknüpft Nadine Hemgesberg speisen und schmökern (schließlich werden Bücher ja auch verschlungen) und teilt ihren weiten und subjektiven Blick auf die Welt der geschriebenen Wörter mit – wenn nicht gerade Sylvia einspringt und uns über den Charakter einer Kolumne aufklärt und darüber, „warum es keine Kolumnenvertretung geben kann“.

Das Problem der zu räumlichen Sequenzen angeordneten Zeichen

„Wir behandeln alles, was man unter Literatur fassen kann. Und dazu zähle ich jetzt auch einfach mal Comics und graphic novels“, fasst Sylvia zusammen. Die Meinung, dass Comics minderwertig seien, ist hier schon längst überholt. Diskutiert wird höchstens, ob ein enger Literaturbegriff Comics auch einschließt. Die Redaktion ist sich einig: Comics sind eine wichtige Form narrativen Schaffens und gehören auch auf „literaturundfeuilleton“. Auch gegenüber anderen Medien ist die Redaktion aufgeschlossen, wie etwa Filmen oder Computerspielen. Letztlich haben aber alle, die zum Blog beitragen, ihre persönlichen Vorlieben und ein Gebiet, auf dem sich auskennen. So gibt es zurzeit zwar keineN Poetry-Slam-ExpertIn, dafür kennt sich Hannah Konopka mit Comics aus, Esra Canpalat hat sich Abgründigem und Abwegigem verschrieben, Katja Papiorek nimmt sich gerne die dicken Wälzer vor. Und vielleicht findet sich bald auch jemand, der eine weitere Stadt – „Paris, London, New York sollen auf jeden Fall kommen“ – „erlesen“ will.

literaturundfeuilleton.wordpress.com

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