Prof. Dr. Heiner Flassbeck ist einer der international bedeutendsten deutschen Wirtschaftswissenschaftler. Von 2003 bis 2012 war er Chef-Volkswirt der UNO-Organisation für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Seine wissenschaftlichen Publikationen und Vorträge drehen sich stets um denselben Kern: Nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik, auch Keynesianismus genannt. Diese nach dem britischen Ökonomen John Maynard Keynes benannte Wirtschaftstheorie kann als Antwort auf die schwere globale Wirtschaftskrise Ende der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts verstanden werden.
Keynes „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ von 1936 beschäftigt sich mit der Frage, wie Wirtschaftspolitik nach den Exzessen des Kasino-Kapitalismus Ende der 20er Jahre vernünftig in einer demokratischen Gesellschaftsordnung zu organisieren sei. Dabei schlägt Keynes einen anderen Weg ein als die klassische Wirtschaftstheorie. Diese geht nämlich davon aus, dass das Zentrum der Wirtschaft das Unternehmen sei, das zur Gewinnmaximierung investiere und Arbeitskräfte einstelle, um seine Güter am Markt zu verkaufen (Angebotsorientierung). Keynes hingegen nimmt als Ausgangspunkt die Nachfrage nach Wirtschaftsgütern: Erst wenn Nachfrage nach Gütern vorhanden ist, also Menschen durch ihren steigenden Lohn in die Lage versetzt werden, mehr Güter zu kaufen, lohnt es sich für Unternehmen, mehr und teurere Güter zu produzieren. Was wie ein Henne-Ei-Problem klingt, hat allerdings nicht nur maßgeblichen Einfluss auf die Verteilung der steigenden Produktivität in einer Gesellschaft, sondern nach Keynes auch auf den Erfolg einer Wirtschaft insgesamt.
Euro-Krisen-Pause?
Die politisch-ökonomische Krise in Europa (auch „Euro-Krise“ genannt) ist in den vergangenen Monaten etwas aus dem medialen Fokus gerückt. Deutschland als Dreh- und Angelpunkt der „Euro-Rettungspolitik“ schien im Vorfeld der Bundestagswahl eine Art Krisenpause angeordnet zu haben. Über einen neuen fälligen Schuldenschnitt in Griechenland wurde nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen. Nun ist der neue Bundestag gewählt und konstituiert und trotzdem nimmt die Diskussion über den Euro kaum an Fahrt auf. Das mag daran liegen, dass die Koalitionsverhandlungen sich als schwieriger und langwieriger herausstellen als vor der Wahl erhofft. Aber das Thema ist die Rettung des Euro auch in der Berichterstattung über die Verhandlungen zwischen SPD und CDU nicht. Die „alternativlose“ Austeritätspolitik der liberal-bürgerlichen Bundesregierung scheint nicht infrage gestellt zu werden. Austeritätspolitik oder „Sparpolitik“ verfolgt das Ziel, Staatsschulden zu senken, indem der Staat weniger Geld ausgibt. Flassbeck weist auf das Paradox hin, dass gerade durch die Sparpolitik die Schulden steigen, weil die Wirtschaft ohne Impulse durch den Staat kaputtgespart wird. Die Folgen dieser Politik sind in fast allen Euro-Krisen-Ländern seit fünf Jahren zu sehen: Menschen werden aus ihren Häusern geworfen, bekommen ihre Krebs-Medikamente nicht mehr, stürzen in den privaten wirtschaftlichen Abgrund. Ganze Volkswirtschaften taumeln, die Arbeitslosigkeit grassiert in Europa und als Reflex darauf verzeichnen rechtsgerichtete Parteien Wahlerfolge. Die Krise ist da. Nur nicht in der deutschen politischen Debatte.
Wie funktioniert eine Währungsunion?
Flassbeck erklärt die Währungsunion vom Inflationsziel her. Bei der Gründung des Euro einigte man sich auf ein paar Regeln: Zum Beispiel sollte die Staatsverschuldung nicht mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen und die Inflation bei 1,9 Prozent liegen. Heiner Flassbeck legt in seiner Analyse den Schwerpunkt auf das zweite Kriterium und stellt eklatante Abweichungen fest. Griechenland, Spanien und Portugal haben das Inflationsziel klar gerissen, indem sie – durch den Euro beflügelt – Lohnsteigerungen weit über ihrer tatsächlichen Produktivität erlaubt haben. Auf der anderen Seite steht Deutschland, das seinerseits das gemeinsam vereinbarte Inflationsziel massiv unterschossen hat. Die Deutschen haben in den letzten Jahren darauf verzichtet, ihre Löhne im Verhältnis zur steigenden Produktivität angemessen zu erhöhen. Diese beiden Entwicklungen passen überhaupt nicht zusammen und sind geeignet, den Euro zu sprengen. Den Euro einzurichten, ohne eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in den Euro-Staaten zu schaffen, war der Grundfehler bei der Einführung des Euro – nicht der Euro an sich. Der Fehler ist von den einzelnen Staaten gemacht worden: Die ‚Südstaaten‘ haben sich Lohnzuwächse gegönnt, die sie sich gemessen an ihrer Produktivität nicht hätten leisten können und Deutschland hat durch seine Lohnzurückhaltung seinen Beitrag dazu geleistet, dass es ein Bilanzdefizit in den südlichen Staaten gibt.
Wer ist schuld?
Bei der Schuldfrage muss man zwei Seiten betrachten: Einerseits haben die Süd-Euro-Staaten in der Lohnentwicklung weit über ihren Verhältnissen gelebt – andererseits hat Deutschland weit unter seinen Verhältnissen gelebt. Die „Schuldfrage“ ist daher recht komplex. Klar kann man die GriechInnen und Co dafür abmahnen, dass sie sich Lohnsteigerungen gegönnt haben, die (gemessen an der jeweiligen Produktivität) überdimensioniert waren. Auf der anderen Seite muss nach Flassbeck aber auch gesagt werden, dass Deutschland durch seine extreme Lohnzurückhaltung ebenfalls dazu beigetragen hat, dass sich die Euro-Zone auseinanderentwickelt. Die allgemeine Darstellung in den Medien, dass Deutschland Griechenland rettet, kann vor diesem Hintergrund keinen Bestand haben.
Was passiert in Europa wirklich?
Auch wenn PolitikerInnen das nicht gerne sagen, geschieht in Europa gerade eine Umverteilung zwischen Staaten, die eine wirkliche Umverteilung von unten nach oben bedeutet. Länder wie Griechenland können sich keine U-Boote und teuren Autos aus Deutschland leisten. Das müssen sie aber, damit das deutsche Export-Modell weiterhin funktioniert. Also werden „Rettungspakete“ geschnürt, die nichts anderes zum Ziel haben, als die Rettung der hoffnungslos verlorenen deutschen Export-Wirtschaft. Wer seine Wettbewerbsfähigkeit innerhalb einer Währungsunion massiv steigert, muss sich nicht wundern, wenn die weniger wettbewerbsfähigen Mitglieder auf der Strecke bleiben und irgendwann auch als Importeure wegfallen. Deutschland erstickt an seinem Export-Weltmeistertum. Das Ende vom Lied wird ein Schuldenschnitt in Griechenland sein und der deutsche Steuerzahler wird die Kredite für alle VWs und U-Boote bezahlen müssen, die sich die Griechen nie hätten leisten dürfen.
Deutscher Elefant im Porzellanladen
Flassbeck hat einen klaren Plan, der den ArbeitgeberInnen in Deutschland nicht gefallen wird: Für die nächsten 10 Jahre muss Deutschland sein Lohndumping aufgeben, damit die Eurozone wieder zusammenwächst. Gleichzeitig müssen die Süd-Euro-Staaten von nun an moderatere Lohnerhöhungen akzeptieren. Die Zukunft Europas kann jedenfalls nicht darauf aufgebaut werden, dass sich alle Staaten an der Lohnverzichtspolitik der Deutschen orientieren, weil das letztlich in eine Deflation führen würde, die Europa für lange Zeit in den wirtschaftlichen Abschwung führen würde. Innerhalb einer Währungsunion ist ein Kampf der Nationen um Wettbewerbsfähigkeit sinnlos und schädlich.
Literatur: Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas: „Die systemische Krise des Euro – wahre Ursachen und effektive Therapien“
Veranstaltungshinweis: Heiner Flassbeck wird am 12. November an der Ruhr-Universität einen Vortrag zum Thema „Der europäische Traum und ein schlimmes Erwachen“ halten. Ort: HZO 50 – Zeit: 18 Uhr
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