Bild: Schlechte Karten mit Hartz IV: Nicht alle HartzerInnen hängen nur rum., Die Journalistin Undine Zimmer schildert ihre Kindheit und Jugend am Existenzminimum Karikatur: ck/koi

Flachbildschirme, Fastfood, Kinder vernachlässigen und keinen Bock auf Arbeit: So sind sie die Hartz-IVer. Weiß man doch, kennt man doch. Oder etwa nicht? Spätestens nach der Lektüre von Undine Zimmers Buch sind solche Vorurteile jedoch nicht mehr so leicht zu fällen – denn die Autorin beschreibt einfühlsam, wie es sich lebt, wenn alle Anstrengungen vergeblich sind und wie es sich anfühlt, nicht Teil der Gesellschaft sein zu dürfen.

Acht Jahre ist es mittlerweile her, dass die frühere Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Arbeitslosengeld II, besser bekannt als Hartz IV, zusammengeführt wurde. Aus der Amtssprachenvokabel ist längst ein vermeintlich eigener ‚Menschenschlag’ geworden. Und ‚diese‘ Menschen genießen nicht gerade ein gutes Image. ‚Die müssten ja nur wirklich wollen’ – so das Credo, das Aussagen wie diese ermöglicht: „Die deutsche Unterschicht versäuft die Kohle ihrer Kinder.“ (Heinz Buschkowsky, SPD). „Wer arbeiten kann, aber nicht will, der kann nicht mit Solidarität rechnen. Es gibt kein Recht auf Faulheit in unserer Gesellschaft!“ (Gerhard Schröder, SPD). „Die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze ist ein Anschub für die Tabak- und Spirituosenindustrie.“ (Philipp Mißfelder, CDU). Und die Liste ließe sich endlos erweitern. Aber es sind längst nicht nur „die da oben“ – meinen nicht auch wir hier unten über jene, die wirklich unten sind, bestens Bescheid zu wissen? Schließlich führt sie einem RTLII doch vor: ‚Die‘ sind immer die anderen, denn auch an der Uni bleiben die Einkommensstarken unter sich. Und so kann das Schreckensszenario Hartz IV zwar durch die Flure der GeisteswissenschaftlerInnen geistern – später wirklich ‚zu denen‘ zu gehören, davon geht keineR aus. Was es aber wirklich heißt, als ‚eine von denen‘ aufzuwachsen, davon schreibt Undine Zimmer.

Von der Kundin zur Bittstellerin

„Als ich das erste Mal neben meiner Mutter auf der breiten Holzbank eines Wartesaals saß, war ich nicht einmal drei Jahre alt. (…) Wir hatten schon lange gewartet, vielleicht eine Stunde, vielleicht zwei Stunden. Also hat sie zaghaft an eine Tür geklopft, um nachzufragen, ob sie vielleicht doch schon aufgerufen wurde. Hinter der Tür hatte der Sachbearbeiter gerade seine Stullen ausgepackt und die Zeitung aufgeschlagen. Er hat sie gleich angeschnauzt. Da hat sie angefangen zu weinen.“ Es ist eine von vielen alltäglichen Demütigungen, die Zimmer hier beschreibt. Dabei sind es nicht nur die Behördengänge, die die „KundInnen“ zu „BittstellerInnen“ machen, die dankbar zu sein haben und die es mit Sanktionen zu disziplinieren gilt. Es sind auch so banale Sachen wie Trinkpäckchen, die ihre Mutter, die alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin, nicht wie die anderen Mütter an die Kinder verteilen kann. In Zimmers Buch ist Armut keine Diagnose, sie ist ein Gefühl.

Zimmers Schilderung ihrer Kindheit und Jugend hat nichts mit Super-Nanny-Szenen gemein. Fastfood ist viel zu teuer und statt des Fernsehers läuft klassische Musik. Den Musikunterricht für die Tochter spart sich die Mutter buchstäblich vom Mund ab. Auch ihre Eltern haben nichts mit den „Hartzern“ gemein, die durch die Medienlandschaft geistern. Stattdessen werden hier zwei Menschen porträtiert, die, trotz aller Anstrengungen, „nicht vermittelbar“ bleiben und sich notgedrungen weiter bemühen. Dabei idealisiert die Autorin sie keinesfalls – beide haben ihre Fehler und treffen zuweilen Fehlentscheidungen. Wie wir alle. Das macht sie aber nicht zu Menschen zweiter Klasse – außer für das ‚Jobcenter‘.
Entgegen aller Statistiken hat es die Autorin geschafft, ihre Herkunft hinter sich zu lassen, hat einen Uni-Abschluss, spricht mehrere Fremdsprachen und arbeitet als Journalistin. Doch die Erinnerung an Armut bleibt. Berührend und mutig schildert Zimmer, wie sie mit ihrem, wie sie es nennt, „Hartz-IV-Komplex“ lebt: Dem nagenden Gefühl nicht dazuzugehören, den Selbstzweifeln, der Angst wieder abzusteigen. Und der bitteren Erkenntnis, dass FreundInnenschaften auch daran scheitern können, dass die eine meint, Armut wäre, am Monatsende seine Eltern anzupumpen, während die andere weiß, wovon sie spricht.

Die Anderswelt von Hartz IV

Im Epilog erklärt die Autorin, dass sie ihrem Namen, Undine, der mythologischen Grenzgängerin zwischen den Welten von Wasser und Land, alle Ehre machen möchte: „Undinen sind in keiner Welt wirklich zu Hause, in keiner werden sie erlöst. Vielleicht aber, das hoffe ich, können sie gerade deshalb der einen Welt von der jeweils anderen erzählen, Übersetzerinnen sein, aufklären und vielleicht sogar ein bisschen Mut machen.“ Zimmers Buch ist eine sensible Aufklärungsschrift, die mit gängigen Klischees aufräumen möchte und keine wütende Anklageschrift, die zur Verantwortung ziehen will. Der imaginierte LeserInnenkreis besteht dabei aus denjenigen, für die der Ausflug in die ‚Anderswelt‘ ein exotischer bleiben wird. Undinen mögen zwischen den Welten stehen – diese Undine hat sich aber klar für eine entschieden, der sie nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen möchte. Vielleicht reicht es aber auch schon, dass „die müssten nur wollen“ nach diesem lesenswerten Buch (hoffentlich) nur schwer über die Lippen geht.

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