Es gibt Städte, in denen man gerne Urlaub macht, weil sie nahe am Meer liegen, weil das Bier dort billig ist oder die Kultur so pädagogisch wertvoll. Und dann gibt es Städte, wie das mexikanische Ciudad Juárez. Die kennt man nur aus dem Fernsehen und ist froh dort nicht wohnen zu müssen.
Ciudad Juárez ist kein guter Ort, um eine Frau zu sein. In der im Norden Mexikos gelegenen Stadt starb 1993, nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Observatorio Ciudadano Nacional del Feminicidio (OCNF), alle zwölf Tage eine Frau – zehn Jahre später bereits alle 20 Stunden. OCNF geht davon aus, dass sich dieser Trend weiter fortsetzen wird. Die Opfer bleiben verschwunden oder werden in Straßengräben entdeckt, wo sie buchstäblich „wie Müll“ entsorgt wurden. Die Aufklärungsrate ist so gering, dass man eigentlich nicht von einer sprechen kann. Viele dieser Frauen und Mädchen waren Indigenas, viele Arbeiterinnen in Fabriken ausländischer Investoren für einen Minimalstlohn. Doch obwohl die Taten solche Ähnlichkeiten aufweisen, werden mexikanische wie ausländische AktivistInnen und PolitikerInnen nicht müde zu betonen, dass nicht die Lebenssituation der Opfer ausschlaggebend für die Morde war, sondern einzig und allein die Tatsache, dass sie Frauen waren, weshalb auch längst von Feminizid gesprochen wird. Denn Ciudad Juárez ist kein Einzelfall: Der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ zufolge wurden zwischen 2006 und 2009 insgesamt 3.726 Frauen in Mexiko ermordet.
So schrecklich die Morde auch sein mögen (oder vielleicht gerade deshalb?), die künstlerische Auseinandersetzung mit ihnen hat mittlerweile Tradition: Tori Amos singt über sie in „Juárez“, Roberto Bolaño schreibt über sie in „2666“, Jennifer Lopez nutzt sie, um sich in „Bordertown“ mal ausnahmsweise nicht als Diva zu zeigen (was den Film nicht besser macht). Sogar Sat.1 hat sie für sich entdeckt. Doch wird das grausame Schicksal der Frauen damit nicht zur bloßen Vorabendunterhaltung?
Autorin und Zeichnerin Peggy Adam legt mit ihrer Graphic Novel „Luchadoras“ eine sensible Auseinandersetzung mit der Thematik vor, die den/die LeserIn in einen düsteren, in sich geschlossenen Kosmos entführt. Eine schrecklich gut erzählte Geschichte, die so nicht passiert ist, aber so passiert sein könnte. Weshalb man das Buch auch so ungern zwei Mal lesen möchte, nicht weil es so schlecht, sondern weil es so gut ist und nicht vorgibt etwas anders zu sein als das, was es nun einmal ist: eine Geschichte. Bereits 2006 auf Französisch erschienen, ist es mittlerweile auf Englisch, Spanisch und jetzt auch auf Deutsch erhältlich. Der Titel ist eigentlich irreführend: Luchadoras sind mexikanische Wrestlerinnen. Sie werden im Buch nicht auftreten. Aber man wird eine Kämpferin kennen lernen, die jeden Tag eine Show abliefern muss, um als solche durchzugehen. Der Titel ist eigentlich sogar recht passend. Aber bei Adam ist nichts so wie es zunächst scheint oder man es gerne hätte: Ihre Protagonistin Alma zum Beispiel. Alma ist eine junge Frau und Mutter, die sich in Ciudad Juárez durchschlägt, koste es, was es wolle. In der Bar, in der sie arbeitet, lässt sie sich von den Machos nicht unterkriegen, sondern pariert alles mit einem abgebrühten Spruch. Ihre Schwester, verschüchtert und verträumt, wirkt dagegen wie ein Bilderbuchopfer. Aber eine wie Alma, die lässt sich nicht rumschubsen, die ist kein Opfer, denkt man, bevor sie nach Hause zu ihrem Verlobten geht, der sie verdrischt. Gewalt funktioniert nicht nach dem Prinzip Gut gegen Böse, sondern im System, scheint einem Adam zu sagen. Genau das Systemdenken verhindert, dass „Luchadoras“ zum bloßen Schauermärchen verkommt: Adam skandalisiert die Frauenmorde nicht, sondern zeigt eine grausige Welt, in der Gewalt gegen Frauen – von sexistischen Sprüchen über die häusliche Ohrfeige bis hin zum spurlosen Verschwinden – Alltag ist. Umso mehr wünscht man sich als LeserIn nichts sehnlicher als eine Heldin, die das böse Patriarchat besiegt. Mit Alma scheint man sie zunächst auch gefunden zu haben, doch auch wenn man für sie hofft, sympathisch ist sie nicht immer und viele ihrer Entscheidungen machen einem Kopfschmerzen. Die blanken schwarz-weiß Zeichnungen (fast) ohne Schraffuren, die stark an den Stil von Marjane Satrapi erinnern, stehen damit im deutlichen Kontrast zu den zahlreichen Grautönen der Figuren und betonen diese nur umso mehr. Sie erzeugen eine Beklemmung, die einen noch lange verfolgt, wenn man das Buch längst weggelegt hat.
Das letzte Bild zeigt Alma, die zurück ins Haus geht. Das Flugzeug mit dem verirrten Touristen ist abgeflogen und mit ihm die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Er kann, wie wir, zwar mitfühlen mit Alma und ihrer schrecklichen Lage, aber er kann eben auch wieder nach Hause gehen – Alma nicht. Sie wohnt dort. Es scheint wie der abschließende Kommentar der Autorin. Ein ziemlich guter Kommentar, wie ich finde.
Peggy Adam: „Luchadoras“,
avant-Verlag,
91 Seiten, 17,95 Euro
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