Im April 2007 wurde ein Meilenstein neoliberaler Flexibilisierung und Deregulierung des Wissenschaftsbetriebs gesetzt: Das „Wissenschaftszeitvertragsgesetz“ (WissZeitVG) wurde auf Bundesebene verabschiedet und hat bis 2013 dafür gesorgt, dass inzwischen – mit weiterhin steigender Tendenz – 83 Prozent aller rund 150.000 hauptberuflichen WissenschaftlerInnen befristet beschäftig sind. Etwa die Hälfte der befristeten wissenschaftlichen Arbeitsverträge hat lediglich eine Laufzeit von weniger als einem Jahr. „Eine solche Beschäftigungspraxis führt zu einer mangelhaften Planbarkeit in der Qualifizierungsphase, zu Familienfeindlichkeit der Arbeitsbedingungen und damit zur Unattraktivität einer wissenschaftlichen Karriere“, so NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD). Diese desolate Situation will sie nun mit einer am 3. Mai in die Länderkammer einzubringenden Bundesratsinitiative grundlegend verbessern.
„Beschäftigte in Wissenschaft und Forschung verdienen gute Arbeitsbedingungen“, unterstreicht die Ministerin. Das NRW-Ministerium wolle „mit der Bundesratsinitiative den Druck auf die Bundesregierung erhöhen, die Defizite des geltenden Wissenschaftszeitvertragsgesetzes zu beheben“, betont Svenja Schulze. Bislang habe die Bundesregierung keinerlei Konsequenzen aus einer von ihr selbst in Auftrag gegebenen, teils sehr kritischen Evaluation der arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen für ForscherInnen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen gezogen.
Schluss mit Dauerqualifikation!
Im Sommer 2008 hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) mit der Auswertung des WissZeitVG beauftragt, um die Auswirkungen der hierdurch eingeführten Befristungsvorschriften untersuchen zu lassen. Auf der arbeitsrechtlichen Grundlage einer „Befristung in der Qualifikationsphase“ des WissZeitVG können wissenschaftlich Beschäftigte vor der Promotion bis zu sechs Jahre und nach deren Abschluss über einen ebenso langen Zeitraum (in der Medizin bis zu 9 Jahre) „befristet eingestellt werden“ (HIS-Evaluation). Dass eine solche ‚Qualifikationsphase’ über einen Zeitraum von zwölf (in der Medizin 15) Jahren zu befristeten Kettenarbeitsverträgen führen kann, nach deren Ende die Betroffenen nicht selten vor dem beruflichen Aus in der Wissenschaft stehen und nicht weiterbeschäftigt werden können, ist arbeitsethisch nicht vertretbar. So wird die ‚Qualifizierung’ Promovierender oder Habilitierender vielfach offenbar als Vorwand für befristete Arbeitsverträge benutzt, die laut HIS-Studie „in einer Größenordnung von 85 bis 90 Prozent auf Grundlage der Befristung in der Qualifikationsphase abgeschlossen“ werden.
Akademische ‚BilligarbeiterInnen‘
Dies betrifft laut der Studie häufig auch Beschäftigte an Hochschulen, „die gemäß Landesgesetzgebung zwar zum wissenschaftlichen Personal zu zählen sind, deren Tätigkeitsfelder aber nicht mit dem Strukturmerkmal der wissenschaftlichen Qualifizierung harmonieren“: „Betroffen sind u. a. Beschäftigte, deren wissenschaftliche Dienstleistungen größtenteils oder ausschließlich darin bestehen, Lehrveranstaltungen anzubieten und Studierende zu betreuen“ und bei denen „unklar“ sei, „in welchem Maße“ diese überhaupt „Gelegenheit zur wissenschaftlichen Qualifizierung“ hätten, heißt es in der Studie. Häufig dient eine ‚wissenschaftliche Beschäftigung‘ offensichtlich also als Vorwand für eine befristete Anstellung zur Ausübung von Lehrtätigkeiten, sodass mit DoktorandInnen und Habilitierenden, die kaum oder gar nicht zu einer Weiterqualifizierung kommen, vielfach Lücken in der grundständigen Lehre gestopft werden. Somit wird der ehemalige Mittelbau, der früher aus festangestelltem wissenschaftlichem Personal bestand, durch prekär beschäftigte akademische ‚BilligarbeiterInnen‘ ohne Kündigungsschutz ersetzt.
Umsonstarbeit stoppen!
Aber das ist noch nicht alles: Nicht selten werden DozentInnen auch dazu gedrängt, die eine oder andere Seminarveranstaltung umsonst zu unterrichten, um sich wissenschaftliche Meriten zu erwerben. Dies betrifft vielfach auch sogenannte PrivatdozentInnen, die gezwungen sind, ihre Lehrbefugnis („venia legendi“) durch eine zweistündige Veranstaltung pro Semester zu ‚verteidigen‘. Da hierfür – so wird nicht selten argumentiert – kein Budget bestehe, wird den Betroffenen oftmals nahegelegt, umsonst zu unterrichten. Auch diese maximal ausgebeutete Gruppe des akademischen Prekariats sollte die Ministerin bei ihrer künftigen politischen Arbeit verstärkt in den Blick nehmen.
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