Seit 2008 schmieden Uni-Leitung, KommunalpolitikerInnen und die Bochumer Immobiliengesellschaft „Verein für Bauen und Wohnen GmbH“ (VBW) konkrete Pläne zur Expansion des RUB-Campus‘ in die Lennershof-Siedlung hinein. Die BewohnerInnen befürchten Schlimmstes: So sollen die geplanten Baumaßnahmen stark in die seit den 50er Jahren gewachsene Struktur der Siedlung östlich des ID-Gebäudes der Ruhr-Uni eingreifen: Fast der gesamte Baumbestand soll vernichtet sowie ein Teil der Bebauung abgerissen und durch bis zu fünfgeschossige Neubauten ‚ersetzt‘ werden. Die umliegenden Immobilien würden verschattet werden – von der erwartbaren Verkehrszunahme durch geplante Gewerbeansiedlung in dem Wohngebiet ganz zu schweigen. Die Position der gegen das Projekt protestierenden AnwohnerInnen ist eindeutig: „CampusQuartier NEIN DANKE!“
Immer wieder hat sich die Bochumer Kommunalpolitik in der jüngsten Vergangenheit über den Willen eines Großteils der BürgerInnen hinweggesetzt: Dies zeigte zuletzt die Vernichtung des wertvollen Baumbestandes an der Marienkirche, wo sämtliche Platanen kurzerhand entfernt wurden, obwohl ein Ratsbeschluss über die Einleitung eines BürgerInnenentscheids gegen das fragwürdige Musikzentrum noch aussteht. Vergangene Woche wurde nun nach einer BürgerInnenanhörung in der Bezirksvertretung Bochum Süd der Bebauungsplan für die im Kern aus sechs Straßen bestehende Lennershofsiedlung auf den Weg gebracht. Auf Antrag von SPD, CDU und Grünen wurde einstimmig beschlossen, lediglich Anregungen zu einer Begrenzung der zu befürchtenden Verkehrsvermehrung sowie zur Reduzierung des höchsten geplanten Gebäudes um eine Etage bei der Weiterarbeit zu berücksichtigen. Wenn eine solche ‚BürgerInnenbeteiligung‘ ähnlich aussähe wie im bisherigen Planungsverlauf, wäre hiervon allerdings nicht viel zu erwarten.
Eliteorientiertes CampusQuartier-Konzept
Die RUB-Leitung sucht im Zuge ihrer zunehmenden ökonomischen Ausrichtung indessen ihr Interesse geltend zu machen, dass im Rahmen des Masterplans „Universität – Stadt“ Bedingungen für UnternehmensstarterInnen geschaffen werden, die in unmittelbarer Campusnähe Firmen gründen wollen. Wie diese aber eine Spitzenmiete von 13 Euro/m² aufbringen sollen, welche die VBW laut dem städtischen „Büromarktbericht 2012“ erzielen könne, steht in den Sternen. Ein Konzept für Wohnen, das einen Gewerbeanteil von bis zu 50 Prozent zulässt, dient sicherlich eher den Profitinteressen der VBW als denen der AnwohnerInnen und Studierenden. Während die VBW als Hauptinvestor auftritt, trüge die Stadt Bochum ohne konkret berechnete Nutzen- und Risikoanalyse jedoch Kosten in Millionenhöhe in Form von Fördergeldern und Folgekosten für Kanal- und Wegebau. Die Ruhr-Uni dagegen wird erst dann zur Kasse gebeten werden, wenn sie wie geplant weitere Räumlichkeiten in der umgestalteten Lennershofsiedlung anmietet, wo sich in den Siedlungshäusern u.a. bereits das Geothermische Zentrum der RUB befindet.
Schildbürgerstreich
Neu gebaut werden soll neben einem „Boarding House“ für künftige Gast-AkademikerInnen in postmoderner Stahl- und Glasarchitektur ein bis zu fünfstöckiger Rundturm unweit des ID-Gebäudes sowie eine drei- bis vierstöckige schlangenförmige Gebäudewand, die sich – wie sämtliche Neubauten – kaum ins architektonische Umfeld einpasst. Das Argument, im Zuge des herannahenden doppelten Abiturjahrgangs neuen campusnahen Wohnraum schaffen zu wollen, wirkt angesichts der zu erwartenden Mietsteigerungen, zahlreicher Leerstände in der benachbarten Hustadt sowie der Tatsache, dass die Baumaßnahme für den kommenden Ansturm zu spät kommen wird, völlig verfehlt. Das Ganze wirkt vielmehr wie ein obsoleter Schildbürgerstreich im Nachklang der wiederholt gescheiterten Elite-Ambitionen der Uni-Leitung. Über die genaue Höhe der einzelnen Geschosse, die sich am ID-Gebäude orientieren könnte, kann die Verwaltung jedoch trotz des fortgeschrittenen Planungsstandes keine verbindliche Aussage treffen. Somit könnten noch größere Teile der Siedlung als bisher angenommen durch die geplanten Hochbauten verschattet werden. Entschädigungszahlungen für umliegende WohneigentümerInnen sind hingegen nicht vorgesehen.
Schluss mit familienfreundlich?
Der am 28. November (15 Uhr, Ratssaal) im Ausschuss für Wirtschaft, Infrastruktur- und Stadtentwicklung zur weiteren Beratung eingebrachte Bebauungsplan sieht eine weitreichende Ansiedlung von Gewerbe im Lennershof und mit seiner hohen Bebauungsdichte eine weitgehende Flächenversiegelung vor. Auch würde eine Umsetzung der Planung erhebliche Verkehrsprobleme schaffen: Zwar wird das Gebiet seitens des Investors VBW als „autoarm“ deklariert; dies habe, so die Initiative gegen das CampusQuartier, jedoch vor allem die Funktion, den gesetzlichen Stellplatzschlüssel nicht erfüllen zu müssen. Auch wenn der Bebauungsplan einen anderen Eindruck erwecken wolle, würde der zu erwartende Gewerbe- und Parkplatzsuchverkehr die Lebensqualität im bislang familienfreundlichen Lennershof-Viertel, wo derzeit 170 Kinder leben, erheblich beeinträchtigen. Insbesondere für die Jüngeren ginge das, was ihre Lebensqualität ausmacht, unwiederbringlich verloren – Fußballspielen auf der grünen Wiese zwischen den Siedlungshäusern wäre Geschichte.
Und mehr noch: Auch das durch eine ausgewogene Mischung von Menschen unterschiedlicher Alters- und Einkommensstufen, Bildungsniveaus und Kulturen bestens funktionierende soziale Gefüge am Lennershof steht auf dem Spiel. Bald schon könnte es vorbei sein mit der vorbildlichen ‚Kultur vor dem Haus‘ auf den zahlreichen Bänken in den großzügigen Grünflächen zwischen den Siedlungshäusern. Die Stadt zerstöre mit ihrer ‚Vision‘ alles, was den Wert der Lennershofssiedlung ausmachte, heißt es aus dem Kreis der protestierenden AnwohnerInnen. Das widerspreche auch den Zielen des Stadtumbaus West, im Zuge dessen das Projekt mit mehr als einer Million Euro gefördert werden soll: Segregation zu bekämpfen, Lebensqualität zu erhöhen, Grünflächen zu schützen und Städte für Familien attraktiv zu machen. Dies alles solle nun unwiederbringlich den Profitinteressen der VBW geopfert werden.
Baumbestand soll vernichtet werden
Geradezu zynisch erscheint die politische Diktion, dass das Viertel durch die geplante Umgestaltung „aufgewertet“ werde solle, angesichts der hiermit verbundenen Naturvernichtung: „Im Zuge der ‚Aufwertung‘ unseres Gebietes wird zudem fast der gesamte – zumeist schützenswerte und über 50 Jahre alte – Baumbestand zerstört“, ist Gerhard Merkens von der AnwohnerInnen-Initiative gegen das CampusQuartier entsetzt. Von den derzeit 91 gelisteten Bäumen im Lennershof-Viertel würde es 81 schon bald nicht mehr geben. „Aber nicht nur die Bäume sind schützenswert, sondern auch die vielen Vögel und jede Menge Schmetterlinge, die hier in Bäumen und Hecken leben. Auch das Kriechgetier wird vertrieben und kann auf den versiegelten Flächen nie wieder existieren“, ergänzt Merkens. Von der Politik fühlt sich der Lennershof-Bewohner verraten und verkauft: „Kein Aufschrei der Grünen ist zu hören. Wie kommt das wohl?“
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