Bild:

 

bsz: Ryan, was machst du hier?
Ryan Harvey: Vor fünf Tagen habe ich ein Konzert in Porto gegeben, vor drei Tagen eins in Lissabon. Das war der Abschluss meiner Tournee namens „Occupy and Beyond“ mit knapp 30 Shows, die seit Juli läuft. Ich war unter anderem in Portugal, Spanien, Griechenland, Irland und Ägypten. Wie der Name schon sagt, ist die Tour von der Occupy-Bewegung, aber auch dem Arabischen Frühling und anderen sozialen Bewegungen inspiriert.

Wie war die generelle Stimmung in den verschiedenen Orten, wo du gespielt hast?
Nun ja, ich glaube, dass überall sehr ähnliche Gespräche über sehr ähnliche Probleme geführt werden. Die Leute denken: „Wir hatten dieses verrückte Jahr aus Protest und Revolution – was machen wir jetzt?“ In Europa hat die junge Bewegung immer noch das Gefühl am Anfang zu stehen, während in Ägypten eher der Eindruck vorherrscht, am Ende einer Entwicklung zu sein. Dort ist man einen Diktator losgeworden, aber es ist immer noch irgendwie das gleiche. Ägypten hat gerade einen milliardenschweren Kreditvertrag mit dem IWF unterschrieben. Sowas führt bei vielen Leuten zu Desillusion, Depression und Frustration. Ich meine, 900 Leute wurden bei den Protesten getötet. Wenn man sowas miterlebt hat, verändert sich das Denken. Das System bleibt das gleiche, aber die Gesellschaft hat sich verändert. Viele Entwicklungen bereiten mir Sorge: In Tunesien und Ägypten haben Islamisten gewonnen, in Griechenland erleben die Faschisten einen Aufschwung. Die Partei „Goldene Morgenröte“ hat mit rassistischem Unsinn und nationalistischen Anti-Europa-Reden einige Stimmen gewonnen. Ich halte vieles der EU-Politik für falsch, aber wenn man sowas hört, kann man echt zum Fan der EU werden.

Wo liegt die Verbindung zwischen deiner Musik und den Demonstrierenden?

Ich sehe mich als Cultural Player in dieser Welt. Manchmal spiele ich vor hunderten Leuten, manchmal vor 20 – in Dublin hab ich vor acht Leuten gespielt. Aber solange es bei einem Menschen „Klick!“ macht, reicht mir das. Und das sieht man. Oft sagen mir Fans nach dem Konzert, wie gut es tut, diese Art von Musik zu hören. Es hilft ihnen die Opfer, die sie bei ihren Kämpfen machen, zu rechtfertigen. Sie hören, dass es andere Orte gibt, an denen die Leute ähnlich ticken.

Wie würdest du selbst deinen musikalischen Stil beschreiben?

Das Kollektiv, das ich 2004 mit gegründet habe, heißt Riot Folk. Das ist sozusagen ein Label für diese Art von Musik – wir sind nicht komplett non-profit, aber unkommerziell und antikapitalistisch. Irgendjemand hat das Genre mal Radical Folk genannt, das blieb auch hängen. Folk Punk wäre auch so ein Begriff. Ich mein, jeder, der traditionellen amerikanischen Folk kennt, erkennt das wieder. Wobei ich auch Punk-Einflüsse verarbeite und lyrisch sicherlich auch vom Hip Hop inspiriert bin. Political Folk Music gefällt mir selber ganz gut, weil der Begriff an Political Punk erinnert.

Hast du spezifische Vorbilder oder Inspirationen?

Ja, eine ganze Menge! Auch viele Bücher, die von Howard Zinn zum Beispiel. Musikalisch fallen mir gerade die Punkbands Crass und Operation Ivy ein, Rapper wie Mos Def oder Keny Arkana. Die Latino-Crew Rebel Diaz sind Freunde von mir. Zum Folk hat mich Phil Ochs gebracht, Víctor Jara ist auch eine Inspiration. Ich sag mal: Wenn deine Kunst eine gute politische Message hat, gefällt sie mir im Normalfall.


Wie können Interessierte denn an deine Musik kommen?

Alle meine 14 Alben gibt es kostenlos auf meiner Website. Zwar bin ich meistens bankrott und muss arbeiten, wenn ich nach Hause komme, aber es funktioniert irgendwie. Wer kommt schon in meinem Alter in den Genuss, Europa so ausgiebig zu bereisen? Hauptsache, die Leute haben die Möglichkeit mich zu hören, wenn sie wollen. Einige geben mir etwas Geld für gebrannte CDs, um weiterzuhelfen. Andere können mir gar kein Geld geben, das ist aber auch okay. Ab und zu sagt dann jemand „I dig this“, und gibt mir 50 Dollar.

Bist du persönlich auch in politischen Projekten involviert?
Letztes Jahr habe ich in erster Linie den Kampf an der musikalischen Front geführt. Aber seit 2006 bin ich sehr bei der Civilian-Soldier Alliance involviert, die ich mitgegründet habe. Wir helfen Deserteuren, Verweigerern, veranstalten Outreach-Programme auf Militärbasen. Gerade vor kurzem wurde eine befreundete Soldatin an der kanadischen Grenze verhaftet, die sich weigerte, in den Krieg zu ziehen. Ich bin der Meinung, dass die erfolgreichsten Anti-Kriegs-Bewegungen in irgendeiner Form immer Soldaten involviert hatten. Nimm zum Beispiel die Nelkenrevolution in Portugal. Das waren Soldaten. Und innerhalb eines Jahres wurde der Großteil des portugiesischen Militärs von der ganzen Welt abgezogen. In kulturellen Dialogen haben Soldaten immer eine Stimme, die die Bevölkerung eher wahrnimmt. Das ist in militaristischen Gesellschaften leider so. Wenn man persönlich mit Soldaten arbeitet, bekommt man die Komplexität ihres Lebens auch richtig mit. Die wenigsten wollen in den Krieg ziehen. Oft sind das nur arme Kids, die sich ein Studium finanzieren wollen.

ryanharveymusic.com
riotfolk.org

0 comments

You must be logged in to post a comment.