In Zeiten der Krise haben Bücher des Echauffierens Konjunktur. „Empört euch“, hieß der Bestseller von Stéphane Hessel. „Der kommende Aufstand“ (verfasst von Tiqqun-Mitgliedern unter dem Pseudonym „Unsichtbares Komitee“) fand eine weite Verbreitung. Und der Trend scheint nicht abreißen zu wollen. „Bürger erhebt Euch!“ von Markus Metz und Georg Seeßlen erschien in diesem Jahr; ebenfalls „Die kommende Revolte“ von Michael Ley, der das erfolgreiche linke Empörungs-Format nutzt, um seine neurechten Ressentiments gegen den Multikulturalismus in Szene zu setzen. Schwer, da noch durchzublicken. Besser man bleibt beim Original und das heißt nun mal Tiqqun.
Theorie und Aktivismus
Aber was ist Tiqqun eigentlich? – Das anonyme Autorenkollektiv Tiqqun (hebräisch für „Verbesserung“ oder „Reparieren“) gründete sich 1999. Der poetische Stil und das politisch radikale Engagement wurden stilprägend für das Kollektiv, das sich in der Tradition der Situationisten und des Lettrismus verordnet. Die essayistisch-poetisch gestalteten politischen Schriften wenden sich von der systemimmanenten Kritik der klassischen Linken an der gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaft radikal ab und proben stattdessen den transgressiven Widerstand, das spielerische, undogmatische Überschreiten von Grenzen. Unter dem Einfluss der postmodernen Philosophie (insbesondere Giorgio Agamben) propagieren sie ein Durchbrechen der Informationsströme und nicht deren kontraproduktive Intensivierung. Ein Umstand, mit dem der intermittierende poetische Einbruch der Form, der so typisch für Tiqqun werden sollte, erklärt werden kann.
Doch nicht nur publizistisch erheischt das Kollektiv Aufmerksamkeit. Unlängst stellte das ehemalige Tiqqun-Mitglied Claire Fontaine in Frankreich seine Backsteinskulpturen aus und weitete somit den experimentell-revolutionären Ansatz des Kollektivs auf die Museen und Galerien aus. Was mag wohl als Nächstes kommen?
Rauschen im Blätterwald
Vier Jahre nach seiner Gründung kam das Autorenkollektiv in der deutschsprachigen Verlagslandschaft an. Zuerst erschienen zwei Bände bei Diaphanes, etwas später einer bei Merve, dann erfolgte mit dem Manifest „Der kommende Aufstand“ des prominenten Seitenarms „Unsichtbares Komitee“ der Hype. Zuerst als freier Download und in fotokopierter Form in der Szene verbreitet, landete der Verlag Nautilus mit einer neuen Übersetzung schließlich einen Bestseller damit.
Die „Anleitung zum Bürgerkrieg“ ist nun im LAIKA-Verlag erschienen. Der junge Hamburger Verlag, der von dem „Cinema“-Redakteur Willi Baer und dem Filmemacher Karl-Heinz Dellwo vor drei Jahren gegründet wurde, bietet für die Tiqqun-Texte eine ideale Plattform, agiert der Verlag doch unabhängig von jeglichen Fördermitteln der öffentlichen Hand. Schon sind weitere 400 Seiten des Autorenkollektivs angekündigt.
Bei der nun erschienenen abstrakten Theorie vom Bürgerkrieg handelt es sich um Fragmente, die Zeugnis von der Militanzdebatte innerhalb des Kollektivs ablegen, kurz bevor es sich entschied, nach den Ereignissen vom 11. September 2001 unterzutauchen: „Schluss mit dem passiven Widerstand, mit dem inneren Exil, mit dem Konflikt durch Entwendung, mit dem Überleben. Wieder anfangen!“ – Es handelt sich um Texte, die durch ihre Radikalität begeistern wollen, wobei besonders die mikropolitischen Selbstbeobachtungen stilistisch sehr gelungen sind. Beim Lesen spürt man die Kraft, die es gekostet haben muss, sich der Form der herrschaftsorientierten Sprache der Kommunikation zu verweigern.
Inhaltlich bietet das Buch jedoch wenig Überraschendes. Erneut arbeitet sich das Kollektiv an Giorgio Agamben ab, und manchmal erscheint im Hintergrund Carl Schmitt als Schreckgespenst. Das Imperium scheint übermächtig, aber es ist besiegbar. Die Lösungswege, die das Kollektiv anbietet, sind in gewohnter Manier diffus. War im „Kommenden Aufstand“ der Ausweg des konsumkritischen Landlebens schon nicht besonders sexy, so bleiben auch bei der „Anleitung zum Bürgerkrieg“ Fragen offen. Insgesamt kann man die Fragmente als Ergänzung zum bisherigen Werk lesen. Eine Wahl, die bei dem gegenwärtigen publizistischen Output an Revolutionsromantik nicht leicht fallen dürfte.
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