Sonntag, elf Uhr vormittags. Mit einer Gedenkveranstaltung und einem öffentlichen Stadtrundgang wollen Zeitzeug*innen am Dortmunder Phoenixsee an das ehemalige NS-Straflager, an Zwangsarbeit und an die Arbeitskämpfe im Hoesch-Stahlwerk erinnern. Die etwa 50 Teilnehmenden, unter ihnen viele Rentner*innen, kommen nicht weit: Die Stadt hat das Gelände mit einem Bauzaun abgeriegelt, es wird von der Polizei bewacht. Den Zeitzeug*innen und ihren Unterstützer*innen bleibt nichts anderes übrig, als ihre Gedenktafel am Bauzaun anzubringen. Sie soll an die Opfer der Gestapo-Morde im März 1945 erinnern.
Eine Stadt und ihre Nazis
Es ist ein entwürdigender Umgang mit der Gedenkveranstaltung am Phoenixsee, und doch steht er exemplarisch für die Politik der Stadt Dortmund in diesen Tagen. Auch der Tremoniapark am Rande des Stadtteils Dorstfeld ist mit Bauzäunen abgeriegelt. Hier sollte eigentlich seit Freitag ein Zeltlager gegen Rechts stattfinden, zu dem Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet aufgerufen haben. Ordnungsrechtliche Bedenken hätten zu dem faktischen Verbot geführt, erklärt Oberbürgermeister Ullrich Sierau. In einer Pressemitteilung schürt das städtische Presseamt Ängste: So heißt es dort, „dass nach gesicherten Erkenntnissen von der Anreise gewalttätiger Mitglieder der links-autonomen Szene in einer Größenordnung von bis zu 300 Personen auszugehen ist.“ Außerdem, so ein weiterer Grund für die Camp-Absage, hätten Neonazis eine Gegendemonstration angemeldet.
Damit hat die Stadt Dortmund eine bundesweite Empörungswelle losgetreten. Die Begründung für die Verhinderung des Zeltlagers sei vorgeschoben und „eine Farce“, erklären über 200 Organisationen und Einzelpersonen in einer gemeinsamen Protestnote. „Insbesondere die Erklärung, dass eine von Neonazis angemeldete Demonstration ein Ablehnungsgrund gewesen ist, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die sich gegen militant rechte Strukturen engagieren“, heißt es in der Solidaritätserklärung, die neben etlichen linken Gruppen auch Kulturinitiativen, der Bundesverband der verdi-Jugend, Vertreter*innen von DGB und den Grünen, Studierendenvertretungen sowie Landtags- und Bundestagsabgeordneten unterzeichnet haben. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Sollten die Stadt und die angeblichen Sicherheitsbehörden damit durchkommen, würden sie ein Signal an die rechte Szene senden, dass die Neonazis antifaschistische Aktivitäten verhindern können. Wir sehen es als unsere Verantwortung an, auf dieses Totalversagen der städtischen Verantwortlichen zu reagieren, indem wir unser Engagement in Dortmund verstärken.“
Nach der vorläufigen Verhinderung des Zeltlagers in Dortmund haben die Initiativen, die das Camp tragen, eine provisorische Infrastruktur rund um das AZ Mülheim aufgebaut. In dem linken Zentrum stehen Übernachtungsplätze für die weiterhin anreisenden Gäste zur Verfügung. Hier tagt auch das tägliche Plenum. Die in der Szene europaweit bekannte mobile Mitmachküche „Le Sabot“ sorgt für die Verpflegung. Ein Großteil der geplanten Camp-Veranstaltungen findet weiterhin in Dortmund statt, zum Beispiel im lokalen Kulturzentrum Taranta Babu in der Humboldtstraße.
Auf die Straße!
Dass Engagement gegen Rechts in Dortmund und der Region mehr als notwendig ist, das ist in diesen Tagen erneut mehr als deutlich geworden. Wie in den vergangegen Jahren nutzt die extrem rechte Szene die Woche vor der geplanten Neonazi-Demonstration am 1. September dazu, um in Dortmund und der Umgebung mit Aufmärschen und gewalttätigen Aktionen ihre Gegner*innen einzuschüchtern. Um den rechten Angsträumen etwas entgegenzusetzen, haben die Camp-Aktivist*innen alleine in den ersten drei Tagen gegen Neonazi-Aktionen in Dortmund, Wuppertal und Essen protestiert.
Und auch das Zeltlager in Dortmund ist noch nicht endgültig vom Tisch. Die Antifacamp-OrganisatorInnen haben erneut eine Dauerkundgebung für den Tremoniapark angemeldet. „Wir werden unser Recht auf Versammlungsfreiheit notfalls auch juristisch durchsetzen“, so Anna Potzetzki. Insbesondere zum kommenden Wochenende erwarten die Organisator*innen einen massiven Zustrom. Dann geht es nämlich darum, in Dortmund den zentralen Naziaufmarsch am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen 1939 zu verhindern.
Verfasser*in der Redaktion bekannt.
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